Glossar

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I.G.-Mitarbeiter als Zeugen im Wollheim-Prozess

Die I.G. Farben i. L., die Beklagte im von Norbert Wollheim angestrengten Verfahren vor einer Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main, benannte ihrerseits Zeugen: die einstigen I.G.-Mitarbeiter Rolf Brüstle (Leiter des Werkschutzes und zuständig für die Ermittlungsstelle und Arrestzellen der I.G. Auschwitz), Max Faust (Oberingenieur), Heinz Savelsberg (Leiter der kaufmännischen Abteilung in I.G. Auschwitz), Kurt Eisfeld (Buna-Sparte, Chemiker), Heinz Frank (Leiter der Werksberufsschule von I.G. Auschwitz) und Erich Orlamünde (Abt. Niederdruck, I.G. Auschwitz). Einhellig bekundeten die I.G.-Zeugen, dass der I.G. Farben das Los der Häftlinge, die auf dem Werksgelände für die I.G. und die Subunternehmen arbeiteten, am Herzen gelegen habe. Zu berücksichtigen waren aus der Sicht der Zeugen verschiedene Phasen des Häftlingseinsatzes, die hinsichtlich der durchweg begrenzten Einflussmöglichkeiten der I.G.-Betriebsleitung auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der KZ-Insassen unbedingt zu unterscheiden seien.

 

In der Zeit von April 1941 bis Sommer 1942, als das sogenannte Buna-Kommando noch im Stammlager Auschwitz untergebracht war und die Arbeitskommandos von SS-Posten begleitet und bewacht wurden, habe die I.G. keine Möglichkeit gehabt, die Häftlinge vor Übergriffen der allmächtigen SS und ihrer Handlanger (Kapos) zu bewahren. Durch die Einrichtung des „Lagers IV“ seit Ende Oktober 1942, den Bau eines Zauns um das Werksgelände („Einfriedung“), die Übernahme der Zulieferung von Lebensmitteln für die Lagerküche sowie die Bereitstellung der „Buna-Suppe“ während der Arbeitszeit habe das Unternehmen – nach Auffassung seiner Mitarbeiter – aber wichtige Schritte unternommen, die Situation der Häftlinge zu verbessern. Durch die Unterbringung im firmeneigenen Lager entfiel der strapaziöse Weg vom Stammlager zur Baustelle. Die Umzäunung des Werksgeländes hatte zur Folge, dass die SS während des Arbeitseinsatzes nicht mehr unmittelbar präsent war; ihre Funktion beschränkte sich auf eine nur mit wenigen SS-Angehörigen besetzte „Kommandostelle“ im I.G.-Werk und auf die sogenannte Postenkette, die außerhalb der „Einfriedung“ des Werks zur Bewachung der Häftlinge Aufstellung bezog. Mit der Übernahme der Häftlingsverpflegung und der Ausgabe der „Buna-Suppe“ habe die I.G. den Versuch unternommen, eine ausreichende Versorgung zu gewährleisten und die Arbeitsleistung der Häftlinge zu erhöhen.

 

In ihren Aussagen beteuerten die I.G.-Mitarbeiter häufig ihr Nichtwissen. Von Selektionen hätten sie in I.G. Auschwitz nie etwas gehört, eine besondere Sterblichkeit unter den Häftlingen sei ihnen nicht aufgefallen. Stellten sie bei den Arbeitskommandos einen häufigen Wechsel des Häftlingspersonals fest, so führten sie die Beobachtung durchweg darauf zurück, dass die Häftlinge auf Befehl der SS eine andere Betätigung gefunden hätten. Die Zwangsarbeiterfluktuation als Indiz dafür zu verstehen, dass die Häftlinge als nicht mehr „arbeitseinsatzfähig“ Selektionen zum Opfer gefallen seien, sei ihnen nie in den Sinn gekommen. Die I.G.-Zeugen betonten übereinstimmend, dass der Betriebsleitung, insbesondere Betriebsführer Walther Dürrfeld, die Gleichbehandlung aller für die I.G. Tätigen oberstes Gebot gewesen sei. Habe es Verpflegungsengpässe und fehlende Arbeitsschutzmittel verschiedentlich und unbestreitbar gegeben, sei dieser bedauerliche Umstand auf die allgemeine Mangelsituation im Krieg zurückzuführen.

(WR) 



Quellen

Rolf Brüstle, Zeugenvernehmung, 19.2.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 271–278R.

Kurt Eisfeld, Zeugenvernehmung, 29.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 248R–252R.

Max Faust, Zeugenvernehmung, 4.12.1952. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. I, Bl. 164R–172R.

Heinz Frank, Zeugenvernehmung, 29.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 252R–256.

Erich Orlamünde, Zeugenvernehmung, 15.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 225–226R.

Heinz Savelsberg, Zeugenvernehmung, 15.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 221–225.