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Die Verhaftung von Bernhard Rakers und das folgende Ermittlungsverfahren

Bernhard Rakers
'© Fritz Bauer Institut
Bernhard Rakers
© Fritz Bauer Institut

Das erste Verfahren vor einem bundesdeutschen Gericht gegen einen Auschwitz-Täter war der Prozess gegen Bernhard Rakers (1905–1980) vor dem Landgericht Osnabrück 1952/1953.

 

Rakers war Kommando- und Rapportführer im Konzentrationslager Buna/Monowitz in den Jahren 1942 bis 1945 gewesen. Es waren bereits in diesem Fall nicht die Ermittlungsbemühungen der bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden sondern der „Staatsanwalt Zufall“[1], der zur Verhaftung dieses NS-Täters führte. Ein Überlebender des KZs Neuengamme, Hermann Schäfer, wurde vor seinem Haus in Lingen/Ems zufällig Zeuge eines Gesprächs. In der lautstarken Unterhaltung zweier Männer war von einem SS-Angehörigen namens Rakers und seinen Taten im KZ Sachsenhausen die Rede. Der Ohrenzeuge glaubte, den Genannten vom KZ Neuengamme zu kennen. Der aufmerksam gewordene ehemalige KZ-Häftling erkundigte sich bei einem der Passanten, einem ehemaligen Insassen von Sachsenhausen, und brachte in Erfahrung, dass in der Tat von dem früheren KZ-Wächter Bernhard Rakers gesprochen worden sei. Der besagte Rakers arbeite bei einem hiesigen Bäckermeister. Der Ohrenzeuge suchte umgehend Rakers an seiner Arbeitsstelle auf, identifizierte ihn und erstattete bei der Lingener Polizei Anzeige. Er beschuldigte Rakers, an der Erschießung einer angeblich meuternden deutschen U-Boot-Besatzung in Neuengamme beteiligt gewesen zu sein.[2] Rakers wurde noch am Tag der Anzeigeerstattung, dem 24. Juli 1950, festgenommen. Am Tag darauf erließ das Amtsgericht Lingen/Ems Haftbefehl. Anhängig war das eingeleitete Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht (LG) Osnabrück unter dem Aktenzeichen 4 Js 491/50.

 

Die Ermittlungen der Lingener Kriminalpolizei gegen Rakers waren zunächst auf Verbrechen in den Konzentrationslagern Esterwegen und Sachsenhausen beschränkt. Im August 1950 meldete sich Norbert Wollheim bei der Kripo Lingen und machte Angaben über Rakers Verbrechen im KZ Buna/Monowitz. In der in seiner Lübecker Wohnung durchgeführten polizeilichen Vernehmung vom 31. August 1950 nannte Wollheim Namen und Anschrift von sechs weiteren Auschwitz-Überlebenden, unter anderem von Curt Posener (Lübeck), Heinz Galinski (Berlin) und Gustav Herzog (Wien). Wollheim hatte seine „Kameraden“ zum Teil vorab informiert, so dass zwei Zeugen noch am Tag von Wollheims Vernehmung von der Lingener Kriminalpolizei vernommen werden konnten.[3] Durch Wollheim und die von ihm benannten Zeugen verbesserte sich die Beweislage beträchtlich. Insbesondere Curt Posener nannte Namen und Wohnort von über 20 Auschwitz-Überlebenden. Dadurch rückten im Rakers-Verfahren seine in Auschwitz begangenen Mordtaten in den Mittelpunkt.

(WR)



Quellen

Hermann Schäfer, polizeiliche Vernehmung vom 24.7.1950 in Lingen, StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Hauptakten, Bd. I, Bl. 1c–2R (Staatsarchiv Osnabrück, Rep 945 Akz. 2001/054 Nr. 231).

Verfügung der StA b. LG Osnabrück vom 22.11.1950, 4 Ks 2/52, Berichtsheft, Bd. I, Bl. 1.

Schwurgerichtsklage. StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Hauptakten, Bd. V (Staatsarchiv Osnabrück, Rep 945 Akz. 2001/054 Nr. 235).

Urteil im 1. Rakers-Prozess. StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Hauptakten, Bd. VI, Bl. 1–105 (Staatsarchiv Osnabrück, Rep 945 Akz. 2001/054 Nr. 236).

Urteil im 2. Rakers-Prozess. StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Hauptakten, Bd. VII, Bl. 92–103 (Staatsarchiv Osnabrück, Rep 945 Akz. 2001/054 Nr. 237).

Urteil im 3. Rakers-Prozess. StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Hauptakten, Bd. IX, Bl. 1–36 (Staatsarchiv Osnabrück, Rep 945 Akz. 2001/054 Nr. 239).

Begnadigung. StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Gnadenheft (4 Gns 25/56), Bl. 9–9R u. Bl. 20, Bl. 86.

 

Literatur

Dirks, Christian: „Die Verbrechen der anderen“. Auschwitz und der Auschwitz-Prozess der DDR: Das Verfahren gegen den KZ-Arzt Dr. Horst Fischer. Paderborn: Schöningh 2006.

Knoch, Habbo: Die Emslandlager 1933–1945. In: Wolfgang Benz / Barbara Distel (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. II: Frühe Lager, Dachau, Emslandlager. München: Beck 2005, S. 531–570.

Makowski, Antoni: Organisation, Entwicklung und Tätigkeit des Häftlings-Krankenbaus in Monowitz (KL Auschwitz III). In: Hefte von Auschwitz 15 (1975), S. 113–181.

Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945–1999. Hg. v. Christiaan F. Rüter u.a. Amsterdam: Amsterdam UP 1976ff. [Darin: Urteil im 1. Rakers-Prozess. Bd X, S. 346–391; Urteil im 2. Rakers-Prozess. Bd. XIV, S. 733–738; Urteil im 3. Rakers-Prozess, Bd. XVI, S. 60–74.]

Strzelecka, Irena: Arbeitslager Gleiwitz II. In: Hefte von Auschwitz 14 (1973), S. 107–127.

Das Urteil im I.G. Farben-Prozess Der vollständige Wortlaut mit Dokumentenanhang. Offenbach: Bollwerk 1948.

Werle, Gerhard / Wandres, Thomas: Auschwitz vor Gericht. Völkermord und bundesdeutsche Justiz. München: Beck 1995.

[1] Gerhard Werle / Thomas Wandres: Auschwitz vor Gericht. Völkermord und bundesdeutsche Justiz. München: Beck 1995, S. 16f.

[2] Hermann Schäfer, polizeiliche Vernehmung vom 24.7.1950 in Lingen, StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Hauptakten, Bd. I, Bl. 1c–2R (Staatsarchiv Osnabrück, Rep 945 Akz. 2001/054 Nr. 231).

[3] Siehe die Verfügung der StA b. LG Osnabrück vom 22.11.1950, in der es heißt, die Ermittlungen gegen Rakers seien „unter maßgeblicher Einschaltung des stellvertretenden Vorsitzenden des Jüdischen Zentral-Komitees in der Britischen Zone, Norbert Wollheim, Lübeck“ (StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Berichtsheft, Bd. I, Bl. 1) erfolgt.