Glossar

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Rudolf Wachsmanns Prozess gegen I.G. Farben i.L.

Parallel zu Norbert Wollheims Prozess gegen I.G. Farben i.L. verklagte ein weiterer Überlebender des KZ Buna/Monowitz den Chemiekonzern. Rudolf Wachsmann war im Alter von 14 Jahren im Jahr 1940 von der Gestapo verhaftet und in ein KZ deportiert worden und musste ab April 1943 im KZ Buna/Monowitz Zwangsarbeit für I.G. Farben leisten. Sein Vater wurde von SS-Wachen zu Tode geprügelt. Nach der Befreiung emigrierte Wachsmann in die USA, wo er 1950 die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm und seinen Militärdienst ableistete. Wegen körperlicher Leiden vom Felddienst befreit, wurde er im Herbst 1952 als Feldpolizist nach Mannheim versetzt. Hier reichte er am 23. Juli 1953 über seine beiden Anwälte M. Philip Lorber und Henry G. Vogel Klage gegen die I.G. Farben i.L. beim amerikanischen Gericht der Alliierten Hohen Kommission (AHK) ein. Die Klage gründete sich auf die schweren körperlichen Misshandlungen, denen Wachsmann im Werk I.G. Auschwitz ausgesetzt gewesen war, und auf Gehaltsansprüche für die Zwangsarbeit. Insgesamt forderte Wachsmann 550.000 DM plus 4% Zinsen seit dem 19. Januar 1945.

 

Die Vertreter der I.G. Farben i.L., deren Angst vor einer großen Prozesswelle durch die Klage neue Nahrung erhalten hatte, bauten ihre Verteidigungsstrategie auf die Bemängelung formaler Fehler. Vor allem erklärten sie, das amerikanische Gericht sei in diesem Fall nicht zuständig. Auch die Reaktionen Norbert Wollheims und Henry Ormonds waren ängstlich: Sie fürchteten eine Gefährdung ihres eigenen Prozesses, Ormond hielt Wachsmanns Klage für „in jeder Hinsicht gefährlich für Wollheim, also auch in Bezug auf die öffentliche Meinung“[1], und startete Presseaktivitäten, um Wachsmann öffentlich als Einzelfall darzustellen. Ein erster Verhandlungstag am 17. September 1953 endete mit Vertagung; da Wachsmann zum 1. November 1953 in die USA zurückversetzt werden sollte, erwartete die I.G. Farben i.L. ein rasches Ende des Verfahrens. Nichtsdestotrotz bejahte das Gericht am 16. Oktober seine Zuständigkeit und begann den Prozess mit der Vernehmung Wachsmanns. Nach mehreren Schriftwechseln zwischen den Parteien entschloss sich die Seite der I.G. Farben i.L. im Dezember 1953, einem Vergleich zuzustimmen, nicht zuletzt, weil die Alliierten ihr Interesse an einem solchen zum Ausdruck gebracht hatten und die deutschen Bundesministerien der Justiz und des Inneren daran interessiert waren, keinen Präzedenzfall zu schaffen. Wachsmann verpflichtete sich schließlich Anfang Februar 1954, auf sein Klagerecht zu verzichten, und erhielt im Gegenzug von der I.G. Farben i.L. 20.000 DM.

(SP)



Literatur

Rumpf, Joachim R.: Der Fall Wollheim gegen die I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation. Dissertation, Leibniz Universität Hannover 2007.

[1] Joachim R. Rumpf: Der Fall Wollheim gegen die I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation. Dissertation, Leibniz Universität Hannover 2007, S. 172.