Glossar

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Bundesentschädigungsgesetz (1956)

 a  Artikel 5 des Londoner Schuldenabkommens:

„Eine Prüfung der aus dem Zweiten Weltkriege herrührenden Forderungen von Staaten, die sich mit Deutschland im Kriegszustand befanden oder deren Gebiet von Deutschland besetzt war, und von Staatsangehörigen dieser Staaten gegen das Reich und im Auftrage des Reichs handelnde Stellen oder Personen […] wird bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt.“

(Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 27.2.1953, Bundesgesetzblatt, Jg. 1953, Teil II, S. 340. Ein Faksimile findet sich in Klaus Barwig / Günter Saathoff / Nicole Weyde (Hg.): Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte. Baden-Baden: Nomos 1998, S. 215217.)

Unter der Bezeichnung Bundesergänzungsgesetz verabschiedete der Deutsche Bundestag im Juli 1953 das erste bundeseinheitliche Entschädigungsgesetz für Menschen, die während des Nationalsozialismus Enteignung, Zwangsarbeit, Deportation und Lagerhaft erleiden mussten. Aufgrund zahlreicher Interventionen der Westalliierten und der Claims Conference, die sich vor allem gegen die vorgesehenen kärglichen Leistungen an NS-Opfer und den Ausschluss ausländischer NS-Verfolgter richteten, wurde es 1956 unter der Bezeichnung Bundesentschädigungsgesetz (BEG) novelliert. Doch hielt das BEG am sogenannten subjektiv-persönlichen Territorialitätsprinzip fest, wonach nur diejenigen NS-Opfer Leistungen beantragen konnten, die am Stichtag des 31. Dezember 1952 (ursprünglich 1. Januar 1947) in der BRD oder in Westberlin gewohnt hatten oder zur Zeit der Verfolgung in den Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 gelebt und bis zum Stichtag ihren Wohnsitz in der BRD oder Westberlin genommen hatten. Von vornherein von jeder Entschädigung ausgeschlossen waren somit all jene Menschen, die in den von Deutschland während des Zweiten Weltkriegs okkupierten Ländern von den Mordkommandos der Wehrmacht und der SS gejagt worden waren und ihre Heimatstaaten nicht verlassen hatten. Auf der Grundlage der so genannten Hallstein-Doktrin – Walter Hallstein war Staatssekretär im Auswärtigen Amt von 1951 bis 1958 – wurden grundsätzlich keine Entschädigungszahlungen an NS-Opfer geleistet, die in Staaten lebten, mit denen die Bundesrepublik Deutschland keine diplomatischen Beziehungen unterhielt. Somit waren bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein Entschädigungszahlungen in die Länder des früheren Ostblocks ausgeschlossen.

 

Als ‚nicht entschädigungsfähig‘ galten des Weiteren:[1]

 

  1. Opfer von Zwangssterilisationen – ihnen hielt der Wiedergutmachungsausschuss des Bundestags unter Bezug auf Gutachten ehemaliger NS-‚Rassenhygieniker‘ entgegen, dass das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von 1933 nicht im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen gestanden habe und von den ‚Erbgesundheitsgerichten‘ keine rechtswidrigen oder fahrlässigen Entscheidungen getroffen worden seien.
  1. Von den Nationalsozialisten aufgrund abweichenden Sozialverhaltens terrorisierte Menschen (sogenannte Asoziale) sowie Sinti und Roma – letzteren hielt der Bundesgerichtshof (BGH) in einer Grundsatzentscheidung vom 7. Januar 1956 vor, nicht aus „Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung“ (§ 1 BEG) verfolgt worden zu sein, sondern aufgrund ihrer „asozialen Eigenschaften“. Eine rassistische Verfolgung hielt der BGH erst ab 1943, dem Beginn der Einweisung von Sinti und Roma ins KZ Auschwitz, für gegeben.
  1. Kommunist/innen – ihnen wurde nach § 6 BEG die Entschädigung verweigert, da sie als Feinde der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ galten.
  1. Homosexuelle – sie waren auch in der BRD von Strafverfolgung bedroht, da der von den Nazis verschärfte § 175 des Strafgesetzbuchs bis zur Strafrechtsreform von 1969 unverändert Gültigkeit hatte; strafbar blieb Homosexualität bis zur Strafrechtsreform von 1973.

Ehemalige Zwangsarbeiter/innen wurden nur dann nach dem BEG entschädigt, wenn sie zu den aus rassistischen, politischen oder religiösen Gründen Verfolgten zählten und die genannten Wohnsitz- und Stichtagsvoraussetzungen erfüllten, was bei der überwiegenden Mehrzahl nicht der Fall war. Die Forderung nach Auszahlung des vorenthaltenen Lohns für geleistete Zwangsarbeit wurde nach dem Antrag des polnischen KZ-Häftlings Leon Staucher am 26. Februar 1963 vom Bundesgerichtshof mit Verweis auf Artikel 5 des Londoner Schuldenabkommens  a  endgültig abschlägig beschieden. Die Auslegung des Artikel 5, an dem auch die niederländische Verhandlungsdelegation scheiterte, die Lohnforderungen ehemaliger niederländischer KZ-Häftlinge gegen deutsche Arbeitgeber wie die I.G. Farbenindustrie AG unterstützt hatte, zeigte, „dass durch Art. 5 nicht nur die Bundesrepublik als Staat, sondern auch Wirtschaft und Währung der Bundesrepublik geschützt werden sollten“[2].

 

Mit der Ausschlussfrist des BEG Schlussgesetzes vom 31. Dezember 1969 erloschen alle Rechtsansprüche auf Entschädigungsleistungen nach dem BEG.

(GK/PEH)



Download

[pdf] Peer Heinelt_Die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeiter 

 

Quelle

Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 27.2.1953, Bundesgesetzblatt, Jg. 1953, Teil II, S. 340. Ein Faksimile findet sich in Klaus Barwig / Günter Saathoff / Nicole Weyde (Hg.): Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte. Baden-Baden: Nomos 1998, S. 215–217.

 

Literatur

Barwig, Klaus / Saathoff, Günter / Weyde, Nicole (Hg.): Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte. Baden-Baden: Nomos 1998.

Herbert, Ulrich: Nicht entschädigungsfähig? Die Wiedergutmachungsansprüche der Ausländer. In: Ludolf Herbst / Constantin Goschler (Hg.): Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland. München: Oldenbourg 1989, S. 273–302.

Hockerts, Hans Günter: Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa. Eine einführende Skizze. In: Hans Günter Hockerts / Claudia Moisel / Tobias Winstel (Hg.): Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945–2000. Göttingen: Wallstein 2006, S. 7–58.

Pawlita, Cornelius: „Wiedergutmachung“ als Rechtsfrage? Die politische und juristische Auseinandersetzung um Entschädigung für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung (1945 bis 1990). Frankfurt am Main u.a.: Lang 1993.

Pross, Christian: Wiedergutmachung. Der Kleinkrieg gegen die Opfer. Frankfurt am Main: Athenäum 1988.

[1] Zu den einzelnen im Folgenden aufgelisteten Gruppen finden sich detaillierte Nachweise in Peer Heinelt: Die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ([pdf] Peer Heinelt_Die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeiter), S. 11ff.

[2] BGH-Urteil vom 26.2.1963, in: Rechtsprechung zur Wiedergutmachung, Jg. 1963, S. 525–528, zit. n. Ulrich Herbert: Nicht entschädigungsfähig? Die Wiedergutmachungsansprüche der Ausländer. In: Ludolf Herbst / Constantin Goschler (Hg.): Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland. München: Oldenbourg 1989, S. 273–302, hier S. 282.