Glossar

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Der Fernseh-Vierteiler Väter und Söhne – Eine deutsche Tragödie (BRD/I 1986, R: Bernhard Sinkel)

 a  Heinrich Beck: „Warum willst ausgerechnet du gegen mich aussagen? Gegen deinen eigenen Vater. Willst du dich rächen? Wir – ich war daran beteiligt, das gebe ich zu. Aber niemand in diesem Krieg ist ohne Schuld.“

Carl Beck: „Das einzige was unsere Schuld auslöschen kann, ist mit offenen Augen hinzuschauen und zu sehen, was wir getan haben [...]. Unsere Opfer, all diese Toten verlangen nicht nach Rache. Sie verlangen etwas ganz anderes. Sie warten auf unsere Trauer. Aber all eure Rechtfertigungen hier zeigen nur, dass ihr unfähig dazu seid.“

„Das sehr Deutsche, Faustische an diesen Männern: den großen Traum zu träumen, dabei auch über Leichen zu gehen – woran man dann leidet […]. Hierbei geht es mir nicht um Anklage, kleinliche Beweisführung, Besserwisserei […] und Abrechnung, sondern um die Tragödie unseres Jahrhunderts, eine Tragödie Shakespeareschen Ausmaßes.“[1]

 

In opulentem Format gestaltet Bernhard Sinkel die Geschichte der I.G. Farben von 1911 bis 1947 als fiktive Familiensaga, die er zugleich als ‚Beziehungsgeschichte‘ zwischen Deutschen, der Familie des Geheimrats Deutz, und Juden, der Familie des Bankiers Bernheim, erzählt.

 

In vier Teilen, die jeweils chronologisch ausgewählte Handlungsjahre umfassen (I: 1911–1916: „Lieb Vaterland“, II: 1923–1929: „Der Konzern“, III: 1932–1938: „Macht und Ohnmacht“, IV: 1940–1947: „Auf Ehre und Gewissen“), breitet Sinkel die ‚Verstrickungen‘ der höchst unterschiedlichen Angehörigen beider Familien in die jeweiligen politischen Entwicklungen vor dem Hintergrund der familiären Beziehungen aus. Die Zeichnung dieser Beziehung als ‚Verstrickung‘ gerät vor allem bei den jüdischen Figuren allzu oft klischeehaft: Ausgerechnet der jüdische Bankier Bernheim (Martin Benrath) ist es, der beim Schlürfen einer Auster Geheimrat Deutz (Burt Lancaster) erklärt, wie man nach „amerikanischem Vorbild“ die Demokratie durch eine Diktatur der Wirtschaft ersetzen könnte. Bernheims pazifistische Tochter Judith (Laura Morante) hingegen hat sich zu diesem Zeitpunkt längst aus der Handlung verabschiedet, sich einer auch von den Familien gewünschten Heirat mit Friedrich, dem Sohn des Geheimrats, entzogen – mit jenem Giftgas, gegen das sie als politische Radikale kämpft, das ihrer Liebe zu Friedrich im Wege steht, und das ihr Vater mitfinanziert. Bankier Bernheim wird später nach Auschwitz deportiert und vergast, als bemitleidenswerter, aber auch ein wenig lächerlicher alter Mann, der bis zuletzt ein deutscher Patriot bleibt. Alles dreht sich in diesem Film im Kreise – die Bilder und die Figuren. Das Genre der Familiensaga verlangt den Akteuren ein hohes Maß an Beziehungsarbeit und Promiskuität (möglichst im Kreise der Familien selbst) ab, um die Handlung voranzutreiben.

 

Auch die Beziehung zwischen Bernheims Sohn Max und Geheimrat Deutz’ Enkelin Elli bleibt aussichtlos. Max wandelt sich durch die Folgen der Miniserie hindurch vom deutschnationalen Studenten (der zum Christentum konvertiert) zum Sachverständigen der Ankläger in Nürnberg. Zu seiner Liebe aber, zu Elli, kehrt er nicht mehr zurück. Elli hat sich für ihn geopfert und, um ihm die Flucht aus Deutschland zu ermöglichen, den prototypischen Nazi Sokolowski geheiratet – einen Typ, von dem die Zuschauer noch nicht einmal den Vornamen erfahren. Doch Max nimmt nach dem Krieg keinen Kontakt mit ihr auf, obwohl er weiß, dass sie von Sokolowski wieder getrennt ist. Dass Ellis kleine Tochter sein, Max’ Kind ist, weiß er hingegen nicht. So bleibt Elli am Ende eine jener heroischen deutschen Frauengestalten, die sich selbst (ihre Unschuld) ihrer Liebe zu einem Juden opfern und wie schon Willie Bunterberg (Hanna Schygulla) in Fassbinders Lili Marleen (BRD 1980) am Ende von diesem verraten werden. Und damit wir dies impulsiv als zwangsläufig empfinden, muss die Persönlichkeit von Max jenen Klischees entsprechen, die uns in so manchem Melodram rechtzeitig signalisieren, dass ein Mensch für eine glückliche Liebe (und Heirat) nicht taugt. Elli, die Unschuld, die sich sogar dem Nazi hingibt, um ihre wahre Liebe zu retten, passt nicht zu einem haltlosen Typen, der Witwen verführt und mit Kokain spielt, der erst seine jüdische Identität verleugnet und dann als „jüdischer“ Ankläger auftritt, der als Rennfahrer erst für die Nazis Autoreifen (aus Buna) testet, dann emigriert und als Amerikaner wiederkommt.

 

Das tragische Narrativ entspinnt sich zwischen den Generationen. Heinrich Becks Sohn Carl, im Krieg wie sein Vater Zeuge der Vernichtung in Auschwitz, will in Nürnberg gegen ihn aussagen.  a  Sinkel ist es nach eigenen Worten darum zu tun, den Graben zu den Vätern zu überschreiten. „Und diese Suche ist nicht mit einer Abrechnung verbunden, also nicht damit zu sagen, Ihr habt euch schuldig gemacht, sondern es ist eine Suche mit viel Verständnis.“[2]

 

Sein ‚tragisches‘ Postulat endet somit auch nicht in einem kathartischen Gericht, sondern in dessen Dementi – und bei den Müttern. Die Versöhnung gelingt am Ende zwar nicht mit den Vätern, aber eben doch zwischen den Generationen. Begann der Film mit den großen, staunenden Augen des kleinen Georg Deutz, der seinem Großvater beim alchemistischen Zaubern zusah, so endet er mit einer Umarmung zwischen Georg (Herbert Grönemeyer) und seiner Mutter Charlotte (Julie Christie). Dass Georg, der Filmregisseur und nicht Chemiker geworden ist, das letzte Wort hat, wirft den Film schließlich auch auf seinen Autor zurück. Sinkels Urgroßvater gehörte zu den „Gründerfiguren“ der Chemieindustrie, sein Vater war Prokurist der I.G. Farben und sein Onkel war Fritz ter Meer, der in Nürnberg zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde.[3] Dass ter Meer selbst in Auschwitz war, soll Sinkel erst während der Arbeit an dem Film erfahren haben. Doch in einem Gespräch mit Alexander Kluge ließ er keinen Zweifel daran, dass sein Projekt auf seine eigene „Identität“ zielte, auf die Frage: „Wo sind meine Wurzeln“.[4]

(HL)

 

(Gekürzt aus: Hanno Loewy: Tragische Märchen? Deutsche Generationendramen. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 31 (2003), S. 335–358.)



Filmographie

Titel: Väter und Söhne

Land: BRD / I

Jahr: 1986

Regie und Drehbuch: Bernhard Sinkel

Darsteller/innen: Burt Lancester (Geheimrat Carl Julius Deutz), Martin Benrath (Bankier Bernheim), Laura Morante (Judith Bernheim), Bruno Ganz (Heinrich Beck), Herbert Grönemeyer (Georg Deutz), Julie Christie (Charlotte Deutz), Alexander Radszun (Sokolowski), Dieter Laser (Friedrich Deutz), Rüdiger Vogler (Ulrich Deutz), Tina Engel (Luise Deutz), Christian Doermer (Dr. Körner)

Produktion: WDR

Vierteilige Fernsehproduktion: 134 min / 124 min / 128 min / 133 min

 

Literatur

Grefe, Christiane: Rekonstruktion eines Filmprojektes. In: Bernhard Sinkel: Väter und Söhne. Eine deutsche Tragödie. Frankfurt am Main: Athenäum 1986, S. 394–413.

Kluge, Alexander / Sinkel, Bernhard: Gespräch über die Väter und die Söhne. In: Bernhard Sinkel: Väter und Söhne. Eine deutsche Tragödie. Frankfurt am Main: Athenäum 1986, S. 414–418.

Loewy, Hanno: Tragische Märchen? Deutsche Generationendramen. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 31 (2003), S. 335–358.

Sinkel, Bernhard: Väter und Söhne. Eine deutsche Tragödie. Frankfurt am Main: Athenäum 1986.

http://www.cine-holocaust.de/cgi-bin/gdq?dfw00fbw003343.gd (Zugriff am 25.8.2008).

[1] Bernhard Sinkel, zit. n. Christiane Grefe: Rekonstruktion eines Filmprojektes. In: Bernhard Sinkel: Väter und Söhne. Eine deutsche Tragödie. Frankfurt am Main: Athenäum 1986, S. 394–413, hier S. 407.

[2] Alexander Kluge / Bernhard Sinkel: Gespräch über die Väter und die Söhne. In: Sinkel: Väter und Söhne, S. 414–418, hier S. 414.

[3] Dies war nach der achtjährigen Haft, zu der Otto Ambros und Walter Dürrfeld verurteilt wurden, immerhin die zweithöchste Strafe im Prozess.

[4] Kluge / Sinkel: Gespräch, S. 414.