Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
(Rundschreiben des Bundesministeriums der Finanzen an die Finanzämter, 3.2.2000, zit. n. Ulla Jelpke / Rüdiger Lötzer: Geblieben ist der Skandal – ein Gesetz zum Schutz der deutschen Wirtschaft. In: Ulrike Winkler (Hg.): Stiften gehen. NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte. Köln: PapyRossa 2000, S. 235–250, hier S. 246–247.)
“With a great relief at having salvaged the agreement, I met the German delegation in their holding room off the main hallway of the Foreign Ministry, expecting congratulations. Instead I was met with a stunning invective few American officials have ever heard from a negotiator in a friendly country, particularly one from the private sector. […] Manfred Gentz [Finanzvorstand bei DaimlerChrysler und einer der Protagonisten der „Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft“] concluded his bill of particulars against the U.S. government by a final insult. He was ‘heavily disappointed’, he said, and far from the partnership we had promised […] to secure legal peace, there had been ‘really a dictatorship of the U.S.’.”[1]
(US-Unterhändler Stuart Eizenstat)
Der Deutsche Bundestag billigte am 6. Juli 2000 das von der Bundesregierung eingebrachte und mit allen Fraktionen abgestimmte Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“.[2] Otto Graf Lambsdorff, der Unterhändler der Bundesregierung in den vorangegangenen Verhandlungen, bezeichnete den Gesetzesentwurf bei dieser Gelegenheit als „große Leistung“ einer „Allparteien-Koalition“ und formulierte die Erwartungen seitens der BRD: „Die von einem US-Richter zusammengeführten Sammel- und Einzelklagen müssen vom Tisch.“ Dass die „Mehrzahl der Unternehmen“ zu diesem Zeitpunkt noch nicht der „Stiftungsinitiativeder deutschen Wirtschaft“ beigetreten war, bezeichnete Lambsdorff als „öffentliches Ärgernis“; es gebe „keinen Grund, sich der Gesamtverantwortung der deutschen Wirtschaft zu entziehen“.[3] Die gesamte CDU/CSU-Fraktion gab eine förmliche „Erklärung zur Abstimmung“ ab, in der sie bekräftigte, dass „sich auch durch dieses Gesetz die Frage der Reparationen nicht neu stellt“.[4]
Wenige Tage später, am 17. Juli 2000, wurden in Berlin zwei Dokumente beschlossen. Zuerst gaben die Regierungen der BRD, der USA, der Republik Belarus, Tschechiens, Israels, Polens, der Russischen Föderation und der Ukraine sowie die Claims Conference und die Stiftungsinitiative eine gemeinsame Erklärung ab. Der Betrag von 10 Milliarden DM wurde als abschließende Obergrenze festgeschrieben und die Bundesstiftung zum einzigen und ausschließlichen Forum zur Geltendmachung von Ansprüchen ehemaliger Zwangsarbeiter/innen bestimmt; ein Rechtsanspruch auf Zahlungen aus dem Stiftungsfonds wurde verneint. In einem Berliner Abkommen zwischen den Regierungen der USA und der BRD erklärte sodann die US-Regierung, keinerlei Reparationsforderungen an die BRD zu stellen und neuerliche aus den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs oder den Verfolgungsmaßnahmen des Nationalsozialismus resultierende Entschädigungsansprüche Dritter abzuwehren. Außerdem kündigte die US-Regierung die Abgabe eines ‚statement of interest‘ an, demzufolge die durch die Stiftungsgründung in die Wege geleitete abschließende Regelung der Frage der Entschädigung von NS-Zwangsarbeiter/innen im „außenpolitischen Interesse der USA“ liege.[5]
Den westdeutschen ‚Wiedergutmachungsleistungen‘ stand seit Beginn der Auseinandersetzung um die Frage der Entschädigung von Zwangsarbeiter/innen eine Gegenleistung in Form der ökonomischen, politischen und militärischen Westintegration der BRD gegenüber. Dieser „Grundsatz von Leistung und Gegenleistung“ wird auch von Seiten der „Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft“ als bestimmendes Strukturelement für die Verhandlungen über die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter/innen benannt.[6] Die Bereitschaft, moralische und finanzielle „Verantwortung“ zu übernehmen, war an die Zusicherung von „Rechtsfrieden“, den Schutz vor Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter/innen in den USA, gekoppelt.
Der langjährige Repräsentant der Claims Conference in der BRD und Holocaust-Überlebende Karl Brozik bezeichnete dies nach seinen Erfahrungen bei den Verhandlungen als ein „vertrautes Muster“[7]. Verhandlungsbereit zeigten sich die betroffenen Unternehmen zumeist erst, nachdem sie von ehemaligen Zwangsarbeiter/innen auf Schadensersatz verklagt worden waren. Das Ziel der Firmenvertreter bei den Verhandlungen war stets, die zu zahlende Entschädigungssumme möglichst gering zu halten. Gezahlt wurde nach jahrelangen Konsultationen meist erst, wenn die amerikanische Presse begann, sich mit dem Vorgang zu befassen, und die ökonomischen Interessen der betroffenen Unternehmen direkt berührt waren. Grundsätzlich betonten die betroffenen Unternehmen, dass ihre ‚Kompromissbereitschaft‘ einer ‚moralisch-humanitären Haltung‘ geschuldet sei und lehnten jede Anerkennung einer Rechtspflicht zur Zahlung von Entschädigungsgeldern ab, während sie im Gegenzug darauf bestanden, dass die Vertreter der Claims Conference für alle Zeiten auf juristische Schritte gegen sie verzichteten.
Mehr als ein Jahr bevor die ersten Zwangsarbeiter/innen Gelder aus dem Stiftungsfonds erhielten, wies der amtierende Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) in einem Rundschreiben alle Finanzämter an, Zahlungen der Industrie an die Stiftung als steuerbegünstigt einzustufen,[8] und stellte bei dieser Gelegenheit noch einmal die Rechtsauffassung der Bundesregierung zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeiter/innen klar.
In der Entschädigungsdebatte hatten sowohl Vertreter der deutschen Wirtschaft als auch der Bundesregierung das nationale Interesse an einer Einigung betont, als deren Hauptziel immer wieder die Wahrung des ‚Ansehens Deutschlands‘ im Ausland beschrieben wurde. Plötzlich fanden sich die Firmen, die auch Monate nach der Einigung noch nicht in die Stiftung eingezahlt hatten, mit dem Vorwurf konfrontiert, sich der nationalen Verantwortung zu entziehen.
Plangemäß hat die Stiftung 2006 nach Abschluss der Auszahlungen an Antragsberechtigte ihre Tätigkeit bis auf die Finanzierung von pädagogischen Projekten durch den Fonds „Erinnerung und Zukunft“ eingestellt. Allein in den Grenzen des Deutschen Reiches wurden 9 Millionen Menschen als Zwangsarbeiter/innen ausgebeutet. Erst mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnten durch die Zahlungen der Stiftung rund 1,66 Millionen Menschen erreicht werden und erhielten Entschädigungsgeld.
(GK/PEH)