Glossar

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Gustav Kleinmann (1891–1976)

 a  „Wir kommen im Oktober am Transport nach Auschwitz (in) Oberschlesien, kriegen für 2 Tage Verpflegung und los geht es. Alle sagen, es ist ein Himmelfahrtskommando, nur Fritzl und ich lassen den Kopf nicht hängen, ich sage mir, sterben kann man nur einmal. Im Waggon ist Stefan Heymann, Bauernschreck, Fr. Sondhelm, Jupp Rausch, Leser, lauter polit(ische). In Ausch(witz) angek(ommen), (stehen wir) 8 Stunden auf der bekannten Rampe, endlich in der Nacht laden sie uns aus, alle sagen jetzt geht es uns an den Kragen, da Auschwitz sehr verrufen (ist) wegen seiner Vergasung, aber man lässt uns leben und führt uns ins Lager, da wir 400 Häftlinge sind und alles tüchtige Handwerker.“

(Gustav Kleinmann: Tagebuch eines Konzentrationers. In: Reinhold Gärtner / Fritz Kleinmann (Hg.): Doch der Hund will nicht krepieren… Tagebuchnotizen aus Auschwitz. Thaur: Kulturverlag 1995, S. 11–28, hier S. 18.)

 

 b  Sein Sohn Fritz Kleinmann beschrieb: „Mein Vater hatte sich zu allen nur möglichen Facharbeiten freiwillig gemeldet. Rief der Arbeitseinsatzführer Stolten nach Dachdeckern, lief mein Vater nach vorn; wurden Glaserer gesucht, meldete er sich. Es gab keine Arbeit, die er sich nicht zutraute. Als ich eines Abends zu ihm meinte, daß ich Angst hätte, wenn die SS dahinterkäme, daß er diese Arbeiten nicht beherrsche, erwiderte er mir, daß er die Arbeiten bereits könne, bevor die das merken würden.“

(Fritz Kleinmann: Überleben im KZ. In: Reinhold Gärtner / Fritz Kleinmann (Hg.): Doch der Hund will nicht krepieren… Tagebuchnotizen aus Auschwitz. Thaur: Kulturverlag 1995, S. 34–114, hier S. 67.)

„Täglich fahren bei uns die Transporte vorüber, alles geschlossene und plombierte Waggons. Aber wir wissen Bescheid worum es geht. Es sind alles ungarische Juden, und alles im 20. Jahrhundert.“[1]

 

Geboren 1891 in Saybusch, Oberschlesien, gelangte Gustav Kleinmann als 15-jähriger nach Wien, machte hier die Gesellenprüfung zum Tapezierer und diente im Ersten Weltkrieg als österreichischer Soldat. An der Front wurde er mehrfach verwundet und für Tapferkeit ausgezeichnet. 1917 heiratete er Tini, das Paar bekam vier Kinder. Ab 1923 arbeitete Gustav Kleinmann als Tapezierermeister im zweiten Wiener Bezirk. Gemeinsam mit seinem Sohn Fritz Kleinmann wurde Gustav am 10. November 1938 von ‚Freunden‘ verhaftet, verhört und geschlagen, einen Tag darauf wegen seiner Weltkriegsteilnahme jedoch wieder freigelassen. Ein knappes Jahr später, im September 1939, wurden die beiden Männer ins KZ Buchenwald deportiert. Es gelang ihm, mit seinem Sohn zusammen zu bleiben. Gustav Kleinmann überstand zwei Jahre in Buchenwald, wo er u.a. mehrere Wochen Zwangsarbeit im Steinbruch leisten musste, er beschreibt seine gesamte Haftzeit in einem geheimen Tagebuch: „(Ich) arbeite, um zu vergessen, wo ich mich befinde. Das Lager wird täglich weniger, die Sterblichkeit ist groß, und so geht es weiter.“[2]

 

1942 kamen Vater und Sohn ins KZ Buna/Monowitz, wo Gustav zunächst als Zimmermann, dann als Lagersattler arbeitete.  a  Am 10. Mai 1943 wurde er als Halbjude mit 16 anderen arisiert und ab da als ‚politischer Gefangener‘ betrachtet, was eine Verbesserung der Behandlung durch die SS mit sich brachte. Von den 400 österreichischen Kameraden aus Buchenwald waren nur noch hundert am Leben. Gustav Kleinmann arbeitete an verschiedenen Stellen, zuletzt als Tapezierer im I.G.-Werk, wo er Verdunklungsvorhänge herstellte.  b 

 

Am 18. Januar 1945 wurden Gustav und Fritz Kleinmann mit tausenden weiteren Häftlingen des Lagerkomplexes Auschwitz auf den Todesmarsch getrieben. Nachdem Fritz geflohen war, schleppte sich Gustav alleine weiter über das KZ Mittelbau-Dora in Richtung Celle, wo er am 14. April 1945 von den Briten befreit wurde. Nach zehn Tagen machte er sich am 25. April gemeinsam mit einem anderen Wiener, Josef Berger, auf eigene Faust auf den Heimweg. Zu Fuß und teilweise mit dem Fahrrad gelangte er zurück nach Österreich, wo er seinen Sohn Fritz wieder traf. Nach längerem Kampf erhielt Gustav Kleinmann in Wien wieder eine Wohnung und konnte eine Werkstatt eröffnen. Zwei seiner Kinder, Edith und Kurt, hatten Österreich noch verlassen können. Seine Frau Tini Kleinmann und ihre gemeinsame Tochter Hertha waren im Juni 1942 nach Minsk deportiert und dort ermordet worden. Er heiratete 1948 ein zweites Mal, Olga Steyskal. Neben dem unter großem persönlichen Risiko geschriebenen Tagebuch, hinter dessen stellenweise dürren Formulierungen, Abkürzungen und sachlichen Vokabeln sich die grauenhaften Verhältnisse erahnen lassen, schrieb Gustav Kleinmann 1940 im KZ Buchenwald ein Gedicht, Steinbruchkaleidoskop. Gustav Kleinmann starb am 1. Mai 1976 in Wien.

(SP)



Literatur

Gärtner, Reinhold / Kleinmann, Fritz (Hg.): Doch der Hund will nicht krepieren… Tagebuchnotizen aus Auschwitz. Thaur: Kulturverlag 1995.

[1] Gustav Kleinmann: Tagebuch eines Konzentrationers. In: Reinhold Gärtner / Fritz Kleinmann (Hg.): Doch der Hund will nicht krepieren… Tagebuchnotizen aus Auschwitz. Thaur: Kulturverlag 1995, S. 11–28, hier S. 22.

[2] Kleinmann: Tagebuch, S. 13.