Glossar

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Interviewprojekt des Norbert Wollheim Memorials

Freddie Knoller, Videostill aus dem Interview für das Wollheim Memorial, 2007'© Fritz Bauer Institut
Freddie Knoller, Videostill aus dem Interview für das Wollheim Memorial, 2007
© Fritz Bauer Institut
Jerzy Kowalewski, Videostill aus dem Interview für das Wollheim Memorial, 2007'© Fritz Bauer Institut
Jerzy Kowalewski, Videostill aus dem Interview für das Wollheim Memorial, 2007
© Fritz Bauer Institut
Ernest W. Michel, Videostill aus dem Interview für das Wollheim Memorial, 2007'© Fritz Bauer Institut
Ernest W. Michel, Videostill aus dem Interview für das Wollheim Memorial, 2007
© Fritz Bauer Institut
Miroslav Ribner, Videostill aus dem Interview für das Wollheim Memorial, 2007'© Fritz Bauer Institut
Miroslav Ribner, Videostill aus dem Interview für das Wollheim Memorial, 2007
© Fritz Bauer Institut

„Anstatt uns zu fragen, inwieweit das Videozeugnis als Beweis dafür, daß bestimmte Ereignisse tatsächlich geschehen sind, aufgefaßt werden sollte oder inwieweit es uns verleitet, eine bestimmte Darstellung der Ereignisse, ein konkretes Konstrukt für glaubwürdig zu halten, sollten wir uns auf den Kern der Sache konzentrieren, auf das, worum es bei diesem Zeugnis eigentlich geht, nämlich darum, wie die Überlebenden ihre Erfahrungen verstehen und ausdrücken, wie sie diese Katastrophe aus heutiger Sicht beurteilen und wie sie die Welt von heute im Schatten des Holocaust verstehen.“[1]

 

Im Mittelpunkt des Norbert Wollheim Memorials stehen Videointerviews mit Überlebenden des KZ Buna/Monowitz, die auf dem Werksgelände der I.G. Farben in Auschwitz Zwangsarbeit leisten mussten. 22 Männer erklärten sich für das Interviewprojekt des Norbert Wollheim Memorials zu einem Gespräch vor der Kamera bereit. Dank der Unterstützung des U.S. Holocaust Memorial Museums und des USC Shoah Foundation Institute konnten aus deren Archiven zwei weitere lebensgeschichtliche Interviews in das Projekt genommen werden.

 

In allen Erzählungen berichten die Überlebenden von ihrer Kindheit, also der Zeit vor der Verfolgung, von ihrer Verhaftung und Lagerzeit und ihrem Leben nach der Befreiung. Diese drei thematischen Blöcke nehmen in den Schnittfassungen der 24 Interviews, die auf dieser Seite zu sehen sind, unterschiedlich viel Raum ein, je nachdem, aus welchem geographischen, kulturellen und sozialen Hintergrund die Menschen stammen, welche Verfolgungsgeschichte sie haben, und worauf sie den Schwerpunkt ihrer Erzählung legten. Das ungeschnittene Interviewmaterial ist im Archiv des Fritz Bauer Instituts auf Anfrage zugänglich.

 

Die Erinnerungen und Berichte dieser Augenzeugen bieten den Betrachter/innen der Videointerviews nicht nur die Möglichkeit einer Annäherung an die Geschehnisse des Holocaust und an verschiedene Arten, an sie zu erinnern und von ihnen zu erzählen. Die Interviews umkreisen den Bruch, den die nationalsozialistische Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen hinterlassen hat. In den Erzählungen scheint die lebendige jüdische Kultur vor allem Mittel- und Osteuropas auf, die durch den Holocaust vernichtet wurde. Einige illustrieren diesen Bruch auch durch die Wahl der Interviewsprache: während gerade die aus besetzten Gebieten Deportierten ihre Muttersprache wählten (beispielsweise Französisch, Norwegisch oder Serbokroatisch), entschieden sich andere für ihre ‚Nachkriegssprache‘, besonders Englisch oder Hebräisch; entweder, weil sie ihre Muttersprache (gerade wenn dies Deutsch war) nicht mehr sprechen wollen, oder mit Rücksicht auf Kinder oder Enkel, die das Interview später ansehen können sollen.

 

In Buna/Monowitz waren nur Männer inhaftiert, zu 90% jüdischer Herkunft, daneben aber auch Sinti und Roma und polnische politische Häftlinge. Die Auswahl der Interviewpartner versucht dies widerzuspiegeln: sie sind in allen Teilen Europas in verschiedenen sozialen Milieus aufgewachsen und leben heute in verschiedenen Teilen der Welt.

 

Die Überlebenden des KZ Buna/Monowitz standen nach der Befreiung meist vor dem Nichts: Fast immer war ihre Familie ermordet, sie hatten kaum eine Ausbildung und litten unter den Folgen der Haft. Für viele war die Rückkehr in ihre Herkunftsländer schwierig. Deutsche, österreichische und polnische Juden emigrierten häufig ins Britische Mandatsgebiet Palästina (später Israel) oder in die USA. Nur wenige kehrten in ihre Vorkriegswohnorte zurück. Viele von ihnen begannen erst in den späten 1980er Jahren über ihre Erfahrungen zu sprechen, als es sich verschiedene Initiativen vor allem in den USA (etwa das Fortunoff Archive an der University of Yale oder das USC Shoah Foundation Institute, aber auch Yad Vashem in Israel) zur Aufgabe machten, Erzählungen Überlebender zu sammeln.

 

Bei unserer Arbeit am Norbert Wollheim Memorial nahmen die lebensgeschichtlichen Interviews mit den Überlebenden des KZ Buna/Monowitz und ihre Berichte einen besonderen, einen zentralen Stellenwert ein. Wir hoffen, dass dies auch in der zukünftigen Beschäftigung mit dem KZ Buna/Monowitz und dem im Norbert Wollheim Memorial dafür zur Verfügung gestellten Material so sein wird.

(SP/MN)



Literatur

Young, James E.: Beschreiben des Holocaust. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997.

[1] James E. Young: Beschreiben des Holocaust. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 255.