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Jean-Christophe Ammann im Gespräch mit Heiner Blum

Heiner Blum (links) und Jean-Christophe Ammann bei der Eröffnung des Norbert Wollheim Memorials, Frankfurt am Main, 2. November 2008'© Jessica Schäfer
Heiner Blum (links) und Jean-Christophe Ammann bei der Eröffnung des Norbert Wollheim Memorials, Frankfurt am Main, 2. November 2008
© Jessica Schäfer

„Ich will Menschen erreichen!“ (Heiner Blum)

 

Jean-Christophe Ammann: Ende 2007 hat Dich die Wollheim-Kommission der Goethe-Universität Frankfurt am Main beauftragt, einen Entwurf für einen Gedenkort für Norbert Wollheim und das KZ Buna/Monowitz zu konzeptionieren.

 

Heiner Blum: Die universitäre Kommission wünschte sich ein Denkmal, in dem die Person und Leistungen Norbert Wollheims gewürdigt werden. Daran knüpfte sich die Geschichte der I.G. Farben und ihres KZ Buna/Monowitz, das Norbert Wollheim überlebt hatte und wo er unter schlimmsten Bedingungen Zwangsarbeit leisten musste. In den fünfziger Jahren verklagte er deswegen die I.G. Farben i.L. auf Entschädigung für entgangenen Arbeitslohn. Vor Ort gab es bereits eine Initiative, die sich intensiv mit dem Themenkomplex und der Forderung nach einer Gedenkform an die Zwangsarbeiter der I.G. Farben beschäftigt hat. Sie bestand aus einer hoch engagierten Studierendengruppe und Mitarbeitern des Fritz Bauer Instituts. In intensiven Gesprächen wurde mir klar, dass dieses Denkmal-Projekt nur mit einem vielschichtigen Zugang realisiert werden konnte.

 

Ammann: Wie bist Du dabei vorgegangen?

 

Blum: Mein Konzept für das Memorial verbindet mehrere miteinander korrespondierende Ebenen: Im Park vor dem I.G. Farben-Haus wurden in den vorhandenen Baumgruppen 13 Fototafeln aufgestellt, die das Thema des absoluten Bruchs im Leben der Deportierten in einer episch-emotionalen Form kommunizieren. Daneben musste ich einen Weg finden, die Komplexität von Geschichte und Gedenken auf wenig Raum zu vermitteln – denn der ehemalige Pförtnerpavillon, der vor Ort zur Verfügung stand, hätte keine entsprechende Ausstellung behausen können. Daher hatte ich von Anfang an die Ent-Örtlichung der Information über eine Website vor Augen: So können Interessierte den Fragestellungen und Zusammenhängen nicht nur in Frankfurt, sondern von überall nachgehen. Darüber hinaus können Auszüge aus der großen Menge an Material und Dokumenten, auf die das Forschungsteam im Zuge der Recherche stieß, im Internet zugänglich gemacht werden.

 

Ammann: Wie habt ihr die Menge an Informationen strukturiert?

 

Blum: Die Website ist in zwei Ebenen gegliedert: Auf der ersten befinden sich einführende Texte zu zahlreichen Aspekten etwa der Themenbereiche I.G. Farben, ihr KZ Buna/Monowitz, biografischen Aspekten Norbert Wollheims und Fragen nach Zeugenschaft und Gedenken. Auf einer zweiten Ebene sind wissenschaftliche Aufsätze versammelt, die die großen Themen und Fragestellungen zu diesen Themen eingehender behandeln. Die zugänglich gemachten Materialien sind jeweils thematisch angegliedert. Die Interviews können über die Website, aber auch im Pavillon auf einem der beiden Monitore angesehen werden.

 

Ammann: Wie gestaltete sich die Arbeit?

 

Blum: Mit Unterstützung des Präsidenten der Universität Frankfurt, Vertreter/innen der Claims Conference, des Fritz Bauer Instituts, Überlebendenverteter/innen und namhaften Stiftungen entstand so ein Projektbüro, in dem eine Gruppe Wissenschaftler/innen das Material recherchierte und bearbeitete. Daneben waren 24 Überlebende des Konzentrationslagers Buna/Monowitz bereit, ein Videointerview über ihre Lebensgeschichte zu geben.

Alle diese Informationen werden den Besucher/innen in einem ehemaligen Pförtnerpavillon, wie das I.G. Farben-Gebäude nach den Entwürfen von Hans Poelzig gebaut, und auf einer Website zugänglich gemacht. Zudem wird in der Bibliothek der Universität ein Forschungsarbeitsplatz eingerichtet.

 

Ammann: Das Memorial wird also aus drei Teilen bestehen. Neben der Website und dem Pavillon stehen die bereits genannten Fototafeln auf dem Gelände. Wie verhalten sie sich zum übrigen Konzept?

 

Blum: Ich wollte einen leisen Zugang zu den Nutzer/innen des Gebäudes finden. Die Fotografien zeigen keine Bilder des Grauens, denen gegenüber viele Menschen abgestumpft reagieren, sondern alltägliche Momente aus der Zeit vor der Verfolgung: glückliche Szenen familiärer Vertrautheit, ausgelassene Kinderspiele, freundschaftliches Zusammensein. Dieses Glück wurde ihnen geraubt und systematisch vernichtet: Die abgebildeten Menschen kamen im KZ Buna/Monowitz ums Leben oder knapp mit dem Leben davon.

Bei der Auswahl der Bilder war es mir wichtig, das Moment der kollektiven Biografie festzuhalten. Für die Betrachter/innen könnten die Szenen auf den Fotos Teil des eigenen Lebens sein – ich will Menschen erreichen! Dennoch muss man sich bewusst sein, dass diese Menschen versklavt, erschlagen oder vergast wurden.

Eine rote, in die Bilder eingravierte Zahl weist darauf hin, dass sie nach ihrer Ankunft in Auschwitz ihres Namens beraubt wurden und fortan nur noch als Nummer angeredet wurden, die ihnen in den Arm tätowiert worden war.

 

Ammann: Dieser Ansatz setzt sich ja mit dem Pavillon fort.

 

Blum: Ja, die Verbindung zwischen den Bildtafeln und dem Pavillon ist deutlich sichtbar. Über dem Eingang des Gebäudes liest man die Häftlingsnummer Norbert Wollheims in exakt derselben Typografie und technischen Ausführung des Namens von Johann Wolfgang Goethe, der sich über dem nahegelegenen Universitätsportal befindet.

Der Innenraum des Pavillons wurde schlicht umgestaltet: Die Möblierung ist bewusst zurückhaltend, um auch größere Gruppen, wie Schulklassen, unterbringen zu können. Daneben kann aber jede/r Interessierte an zwei Screens individuell die vielfältigen Informationen selbst abrufen. An der Wand gegenüber des Eingangs stehen in massiven, in die Wand eingelassenen Lettern die Worte Norbert Wollheims: „Wir sind gerettet, aber wir sind nicht befreit.“ Der Satz überzeugte ebenfalls wegen seiner Schlichtheit, hinter der die andauernden Traumata derer, die die Konzentrationslager überlebten, erahnbar werden.