Glossar

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Militarisierung des I.G. Farben-Konzerns

Im eigenen Interesse der I.G. Farben setzte sich die Konzernführung vehement für die Militarisierung des gesamten Wirtschaftspotentials im Deutschen Reich und für eine damit einhergehende Optimierung der Vorbereitungsmaßnahmen für eine „totale“ Kriegführung ein. Als der inzwischen in den Rüstungsbeirat des Wehrmachtamts berufene Carl Krauch um eine Stellungnahme zur Organisation der wirtschaftlichen Kriegsvorbereitungen gebeten wurde, nutzte er die Gelegenheit und legte im März 1935 ein umfangreiches Gutachten vor, in dem er die konzerninternen Probleme der ersten Aufrüstungsperiode mit den Erfahrungen der I.G.-Manager aus dem Ersten Weltkrieg verknüpfte. Krauch leitete seit der Jahreswende 1934/35 in der Berliner Zentrale der I.G. Farben eine „Vermittlungsstelle“, die den Kontakt der Sparten- und Betriebsleitungen mit den militärischen und zivilen Kriegswirtschaftsbehörden zu koordinieren begann. Er forderte, alle Bereiche der wirtschaftlichen Aufrüstung von den Grundstoffen bis zum „harten“ Kriegsmaterial im Wehrmachtamt zu zentralisieren und diese oberste Steuerungsbehörde gleichzeitig dadurch mit der Industrie zu verschmelzen, dass die in für die Rüstung relevanten Sparten aktiven Manager zu – in Krauchs Begrifflichkeit – „Wehrwirtschafts-Offizieren“ ernannt wurden, die in ihren Betrieben die militärische Kommandogewalt ausübten und die Mobilmachung der Belegschaften und des Produktionspotentials vorbereiteten. Parallel zu dieser „wehrwirtschaftlichen Neuorganisation“ sollte vor allem die Grund- und Ersatzstoffbasis durch den beschleunigten Ausbau der Bereiche Kunstfasern, Kunststoffe, Leichtmetalle, Synthesekautschuk, Treibstoffe und Mineralöle nicht nur verbreitert, sondern auch durch Preissubventionen und Beimischungszwänge verstärkt in den normalen Wirtschaftskreislauf eingeschleust werden.

 

Mit diesen Vorstellungen gab die Spitze der I.G. Farben wichtige Anregungen zur laufenden Debatte über die Optimierung der Kriegsvorbereitung, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Durch die formelle Ernennung Hjalmar Schachts zum „Generalbevollmächtigen für die Kriegswirtschaft“ wurde vielmehr die Trennung zwischen der „harten“ militärischen und der „weichen“ zivilen Kriegsvorbereitung festgeschrieben, und das Wehrmachtamt erlangte keine dominierende Stellung. Dies hielt aber die I.G. Farben nicht davon ab, die Empfehlungen des Leiters ihrer „Vermittlungsstelle“ im Binnenbereich umzusetzen. Im September 1935 wurde die Gründung der „Vermittlungsstelle W[ehrmacht]“ formell beschlossen und unternehmensintern bekanntgegeben. Sie initiierte eine umfassende Mobilmachungsvorbereitung mit „Planspielen“ in den Hauptwerken, setzte ein Korps von „Wehrwirtschaftsführern“ ein, organisierte die konzerninterne Spionageabwehr in Eigenregie und übernahm bis hin zur Überprüfung aller neuen Patente auf ihre „wehrwirtschaftliche“ Verwertbarkeit die Koordination aller Funktions- und Vertragsbereiche, die mit Rüstungsaufträgen zu tun hatten. So folgte zwei Jahre nach der Selbstnazifizierung eine Welle der Selbst-Militarisierung, die in ihrer Intensität selbst die Aktivitäten der schwerindustriellen Rüstungsunternehmen überragte und Modellcharakter annahm.

(GK; erstellt auf der Grundlage von Karl Heinz Roth: Die I.G. Farbenindustrie AG von 1933 bis 1939)



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[pdf] Karl Heinz Roth_Die IG Farbenindustrie AG von 1933 bis 1939

 

Quellen

Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 6, 7, 8.

Carl Krauch: Antworten auf die Fragen an den Rüstungsbeirat. Kurze Zusammenfassung zu den Fragen I–V; Antworten auf die Fragen an den Rüstungsbeirat. Eingehende Stellungnahme zu der Frage II, März 1935. Abgedruckt in: Janis Schmelzer: Die Herren Generale. Bitterfeld: Elektrochemisches Kombinat, Kommission Betriebsgeschichte 1966, S. 39–41, 41–47.

 

Literatur

Drobisch, Klaus: Eine Denkschrift der IG Farben über die „Militarisierung der Wirtschaft“ vom März 1935. In: Jahrbuch für Geschichte. Bd. 1. Hg. v. Ernst Engelberg u.a. Berlin (DDR): Akademie 1967, S. 261–281.