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Politische Einflussnahme der I.G. Farben in der Weimarer Republik

 a  „Hitler sagt zu, dass er unserer Benzinproduktion den nötigen Schutz gewähren würde.“

(Heinrich Gattineau, Eidesstattliche Erklärung, 13.3.1947, NI-4833. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prosecution Exhibits, reel 016, Bl. 227–232, hier Bl. 231.)

Die I.G. versuchte seit ihrer Gründung, ihre Interessen auf politischer Ebene einzubringen und durchzusetzen. Dazu bediente sie sich, wie andere große Firmen auch, der Mitwirkung in unterschiedlichen Vereinigungen, die die Interessen der deutschen Industrie vertraten, und direkter Spenden an verschiedene Parteien. Der nach dem Mitglied des Verwaltungsrates Ferdinand Kalle benannte „Kalle-Kreis“, eine Arbeitsgruppe des Aufsichtsrates, hatte zum Ziel, Verbindungen zur Politik zu pflegen und so die Interessen der I.G. zu vertreten.

 

Mit der Reichstagswahl im Mai 1928 waren fünf I.G.-Manager in den Reichstag gewählt worden: Jakob Haßlacher (der jedoch nicht zum Kalle-Kreis gehörte) für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), für die Deutsche Volkspartei (DVP) Ferdinand Kalle und Paul Moldenhauer, der 1929 Reichswirtschafts-, kurz darauf Finanzminister wurde. Für die katholische Deutsche Zentrumspartei (Zentrum) war das Aufsichtsratsmitglied Clemens Lammers und für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) Hermann Hummel, ebenfalls Aufsichtsratsmitglied, im Reichstag. Damit bestanden zwischen der I.G. und den wichtigsten bürgerlichen Parteien direkte Verbindungen. Die politische Einflussnahme war dabei nicht an eine bestimmte Parteizugehörigkeit gebunden, der I.G.-Vorstand nahm dort Einfluss, wo er es aus pragmatischen Gründen für wichtig erachtete.

 

Die Mitglieder der I.G. waren auch in den wichtigen deutschen Wirtschaftsverbänden vertreten. Carl Duisberg war bspw. Mitglied im Reichsverband der deutschen Industrie (RDI) und trat in seinen Funktionen in den Interessenverbänden der Industrie häufig in der Öffentlichkeit auf. Darüberhinaus war die I.G. Mitglied im „Verein zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands e.V.“.

 

Mit dem Ziel, direkten Einfluss auf die Schnittstellen politischer Macht zu nehmen, begann die I.G., Zahlungen an Parteien des bürgerlich-liberalen und rechten Spektrums sowie an einzelne Politiker zu leisten. Die I.G. ließ der DVP, der DDP und dem Zentrum jährlich Summen zwischen 30.000 und 200.000 Reichsmark zukommen; wenn Reichtags- oder Landtagswahlen anstanden, konnten die Beträge noch aufgestockt werden. Zur Sozialdemokratischen Partei blieb die I.G. in ihren politischen Verbindungen stets auf Distanz.

 

Anfang 1933 fand auf Initiative von Hjalmar Schacht, der kurz darauf zum Reichsbankpräsidenten ernannt wurde, ein Treffen im Haus von Hermann Göring statt. Unter den führenden deutschen Industriellen, darunter Georg von Schnitzler, sollte für die anstehende Reichstagswahl Geld zur Unterstützung der rechts extremen Parteien eingeworben werden. Die deutschen Unternehmer spendeten schließlich 3 Millionen Reichsmark an NSDAP und DNVP. Die I.G. gab mit 400.000 RM die größte Einzelspende. NSDAP und der Kampfbund Schwarz-Weiß-Rot, ein Zusammenschluss aus DNVP, Stahlhelm und Landbund, verfügten nach der Wahl vom 5. März 1933 über 340 von 647 Sitzen im Reichstag.

 

Schon im Juni 1932 trafen Heinrich Bütefisch, der technische Direktor von Leuna, und Heinrich Gattineau mit Adolf Hitler zusammen, um Hitler das Projekt der Treibstoffsynthese in Leuna zu schildern. Dieser sagte sowohl politische als auch finanzielle Unterstützung zu  a , da er seine Pläne, die Unabhängigkeit Deutschlands von Rohölimporten zu erreichen, zusammen mit der I.G. glaubte umsetzen zu können. Carl Bosch und Herrmann Schmitz schlossen am 14. Dezember 1933 den „Benzin-Vertrag“ mit Vertretern des Reichs ab. Die I.G. verpflichtete sich darin, ihre Anlagen zur Kohlehydrierung und somit zur Produktion synthetischer Treibstoffe auszubauen, während sich der Staat für zehn Jahre verpflichtete, einen bestimmten Preis für die gelieferten Treibstoffe zu zahlen und Steuererleichterungen zu gewähren. Eine Kooperation zwischen NS-Regierung und I.G. etablierte sich in den folgenden Jahren auch bezüglich der Buna-Produktion. Diese war anfangs aus wirtschaftlichen Gründen sehr umstritten, da sich die NS-Reichsregierung aber nicht auf den Import von Naturkautschuk verlassen wollte, wurde der Ausbau der Herstellung künstlichen Kautschuks ab 1936 vorangetrieben.

(DOP; erstellt auf der Grundlage von Karl Heinz Roth: Die Geschichte der I.G. Farbenindustrie AG von der Gründung bis zum Ende der Weimarer Republik)



Download

[pdf] Karl Heinz Roth_Die Geschichte der IG Farbenindustrie AG von der Gründung bis zum Ende der Weimarer Republik


Quelle

Heinrich Gattineau, Eidesstattliche Erklärung, 13.3.1947, NI-4833. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, reel 016, Bl. 227–232.

  

Literatur

Borkin, Joseph: Die unheilige Allianz der I.G. Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich. Frankfurt am Main/New York: Campus 1990.

Hayes, Peter: Zur umstrittenen Geschichte der I.G. Farbenindustrie AG. In: Geschichte und Gesellschaft 18 (1992), S. 405–417.

Plumpe, Gottfried: Die I.G. Farbenindustrie AG. Wirtschaft, Technik und Politik 1904–1945. Berlin: Duncker & Humblot 1990. 

Tammen, Helmuth: Die I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft (1925–1933). Ein Chemiekonzern in der Weimarer Republik. Dissertation, Freie Universität Berlin 1978.