Glossar

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Reinhard Florian (*1923)

Reinhard Florian'© (1994–2008) USC Shoah Foundation Institute
Reinhard Florian
© (1994–2008) USC Shoah Foundation Institute

„Die Wirklichkeit, meine ich, das Lagerleben, diese brutale Vergangenheit. Die steckt im Menschen drin. Die geht nicht mehr raus, selbst wenn wir das wollten, und wir wollen es gerne vergessen – es ist unmöglich, so etwas zu vergessen. […] Unser Leben wird bestimmt von dieser brutalen Vergangenheit.“[1]

 

Reinhard Florian wurde am 24. Februar 1923 in Matheninken, Ostpreußen, in eine Sinti-Familie geboren. Dort wuchs er mit seinen acht Geschwistern und seinen Eltern auf. Der Vater war Pferdehändler und die Mutter hatte ein Wandergewerbe. In Luisenberg im Kreis Insterburg ging er acht Jahre bis 1937 zur Volkschule. Im selben Jahr wurde den Eltern ihr Gewerbe entzogen. Der Vater musste daraufhin in einer Ziegelbrennerei arbeiten und die Mutter blieb mit den jüngsten Geschwistern zuhause. Reinhard Florian selbst durfte als „Zigeuner“ keinen Beruf erlernen und wurde, wie seine älteren Geschwister, der Zwangsarbeit in der Landwirtschaft zugewiesen. Im Alter von 14 Jahren kam er auf einen Gutshof, der 40 Kilometer von seinem Heimatort entfernt war. Bedingt durch die strengen Postkontrollen und durch Besuchsverbote brach der Kontakt zu den Eltern ab; er sah den Großteil seiner Familie nie wieder.

 

Im Februar 1941 wurde Reinhard Florian von der Gestapo verhaftet und zunächst in verschiedenen Gefängnissen in ganz Deutschland inhaftiert, bis er im November desselben Jahres ins KZ Mauthausen deportiert wurde. Er musste dort für drei Monate im Steinbruch arbeiten. Danach wurde er in das KZ Gusen gebracht, wo die Behandlung der Häftlinge und die Lebensbedingungen sehr schlecht waren. Im Juni 1943 kam er nach einer vierwöchigen Quarantäne in Auschwitz ins KZ Buna/Monowitz. Hier musste er für I.G. Farben im „Zementkommando“ arbeiten und unterirdische Kabel verlegen. Die vielen Selektionen im KZ Buna/Monowitz hat er überstanden. Durch seine Geschicklichkeit im Bettenbauen half er regelmäßig Mithäftlingen, durch die Bettenkontrollen zu kommen. Dies sicherte ihm Extraportionen von deren Essen, was ihm das Überleben ermöglichte. Weil er einmal zu spät zur Arbeit kam, wurde Reinhard Florian mit acht Tagen Bunker und mit der Zwangsversetzung in ein Außenlager von Auschwitz, nach Rydułtowe, bestraft, wo er bis Januar 1945 in der Charlottegrube, einer Kohlegrube, arbeiten musste.

 

Auf dem Todesmarsch im Januar 1945 trieb die SS Reinhard Florian bis nach Loslau, von wo aus er wieder nach Mauthausen deportiert wurde. Auch hier blieb er nur kurze Zeit und wurde weiter in das Nebenlager Melk gebracht. Hier ging es Reinhard Florian sehr schlecht. Er magerte stark ab und bekam Lungentuberkulose. Bald näherten sich die Amerikaner dem Lager, weshalb alle Häftlinge in das völlig überfüllte Nebenlager Ebensee deportiert wurden, wo Reinhard Florian nur knapp dem Tod durch Erschießen entging. Es gab kaum noch etwas zu Essen. Die Amerikaner befreiten das Lager am 6. Mai 1945 und Reinhard Florian ging nach kurzer Erholungszeit nach Bayreuth. Er erfuhr, dass neben seinem Vater nur einer seiner acht Brüder und Schwestern den Krieg überlebt hatte. Heut lebt Reinhard Florian in Aschaffenburg.

(BG)

 

 

Reinhard Florian, lebensgeschichtliches Interview

(Deutsch)



Quelle

Reinhard Florian, Lebensgeschichtliches Interview [Dt.], 20.8.1998. USC Shoah Foundation Institute, Survivors of the Shoah Visual History Archive, Code 46313.

[1] Reinhard Florian, Lebensgeschichtliches Interview [Dt.], 20.8.1998. USC Shoah Foundation Institute, Survivors of the Shoah Visual History Archive, Code 46313.