Glossar

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Die Entwicklung der Reparationsregelungen zwischen 1945 und 1953

 a  Über den „außenpolitische[n] Aspekt der Wiedergutmachung“ schreibt Féaux de la Croix 1985: „Die Wiedergutmachung ist häufig als der Preis dafür bezeichnet worden, dass die amerikanische Judenschaft es ihrem Präsidenten gestattete, die Bundesrepublik als Partner in die Gemeinschaft der westlichen Staaten aufzunehmen. Sie ist im gleichen Atemzug als die Voraussetzung für die Bereitschaft der Juden in der Welt genannt worden, die deutsche Wirtschaft mit ihren Waren als Teilnehmer am Welthandel zu akzeptieren. Solche – oft aus deutlicher antisemitischer Tendenz geprägten – Äußerungen waren gewiss in ihrer Absolutheit stark übertrieben. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass hinter ihnen ein wahrer Kern stand.“

(Ernst Féaux de la Croix: Vom Unrecht zur Entschädigung: Der Weg des Entschädigungsrechts. In: Ernst Féaux de la Croix / Helmut Rumpf: Der Werdegang des Entschädigungsrechts unter national- und völkerrechtlichem und politologischem Aspekt (= Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Hg. v. Bundesminister der Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz, Bd. 3). München: Beck 1985, S. 1–118, hier S. 10.)

 

 b  1961 urteilte Hans Gurski, leitender Beamter im Bundesfinanzministerium, Ziel des Londoner Schuldenabkommens sei es gewesen, einen Beitrag zur Entwicklung einer „blühenden Völkergemeinschaft“ zu leisten; um die Bundesrepublik daran teilhaben zu lassen, habe dieser ein „gesicherter Lebens- und Sozialstandard im Innern“ garantiert werden müssen. Forderungen von NS-Zwangsarbeitern, seien sie an den Staat oder private Unternehmen gerichtet, hätten zum einen das Entstehen dieser „blühenden Völkergemeinschaft“ verhindert und zum anderen die Voraussetzungen dafür entfallen lassen, „dass sich die Bundesrepublik an den Verteidigungsanstrengungen der freien Welt, später an der Entwicklungshilfe beteiligen konnte“.

(Hans Gurski: Kriegsforderungen. In: Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters, Januar 1961, S. 14, zit. n. Ulrich Herbert: Nicht entschädigungsfähig? Die Wiedergutmachungsansprüche der Ausländer. In: Ludolf Herbst / Constantin Goschler (Hg.): Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland. München: Oldenbourg 1989, S. 273–302, hier S. 284.)

 

 c  „Vor allem Féaux de la Croix verstand die Wiedergutmachung offenbar als eine Serie von feindlichen Angriffen auf die Festung Bundesfinanzministerium. Für ihn ging es nicht um Opfer, denen schweres Leid zugefügt worden war, sondern um Entschädigungsoffensiven und uferlose Forderungen. Die Festung musste von einigen wenigen unermüdlichen Kämpfern gegen diese Entschädigungsoffensiven der Wiedergutmachungslobby verteidigt werden.“

(Susanna Schrafstetter: Verfolgung und Wiedergutmachung. Karl M. Hettlage: Mitarbeiter von Albert Speer und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium: In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56 (2008), H. 3, S. 431 – 466, hier S. 457.)

Die Notwendigkeit, die NS-Opfer im Rahmen von Reparationen zu entschädigen, war unter den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs unumstritten. So fasste das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 den Reparationsbegriff bewusst sehr weit als Ausgleich von „Verlusten und Leiden“. Das Potsdamer Abkommen leistete der später immer wieder von westdeutscher Seite geäußerten Auffassung Vorschub, dass aus Kriegs- und Besatzungshandlungen resultierende Entschädigungsansprüche nur von Staat zu Staat, nicht aber von Individuen gegen den vormaligen Feindstaat zu erheben seien. Auch das Pariser Reparationsabkommen vom 14. Januar 1946, das die Verteilung der ‚Westmasse‘ regelte, wurde von den beteiligten Staaten als „Abgeltung aller ihrer Forderungen ihrer Staatsangehörigen gegen die ehemalige deutsche Regierung oder gegen deutsche Regierungsstellen“[1] verstanden. Diese Ausrichtung auf ein Verständnis von Entschädigung als Angelegenheit zwischen Staaten und nicht als Regelung der Ansprüche von einzelnen Geschädigten gegen einzelne Schädiger (also Firmen oder Personen) prägte die Auseinandersetzungen um die Entschädigung von NS-Opfern in den folgenden Jahrzehnten.

 

Nach 1948 bestimmte der Kalte Krieg die politische Lage. Die Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland, in die westlichen Bündnissysteme eingebunden zu werden, waren für die Regelung der Entschädigungsfrage bestimmend. Sie wurde sowohl politisch als auch verwaltungstechnisch eng mit der Wiederaufrüstung verbunden, die zur Integration in das westliche Staatenbündnis führen sollte. Ernst Féaux de la Croix, vor 1945 im Reichsjustizministerium für die Definition des Rechtsstatus sogenannter Fremdvölkischer verantwortlich, war in den ersten beiden Adenauer-Kabinetten für Entschädigungsfragen zuständig und avancierte im dritten zum Leiter der Wiedergutmachungsabteilungen im Bundesfinanzministerium, die um die Ressorts „Verteidigungslasten“ sowie „finanzielle Verteidigungsangelegenheiten“ erweitert wurden.

 

Vor allem die USA übten einigen Druck auf die Adenauer-Regierung aus  a , um diese zu Entschädigungszahlungen an Israel und die Conference on Jewish Material Claims Against Germany (Claims Conference) zu bewegen. Im sogenannten Luxemburger Abkommen vom 10. September 1952 verpflichtete sich die BRD schließlich zu Leistungen im Wert von 3 Milliarden DM an Israel – es handelte sich größtenteils um Warenlieferungen – und zur Zahlung von 450 Millionen DM an die Claims Conference – Mittel, die vornehmlich für die Auswanderung, Wiederansiedlung und Integration der entwurzelten NS-Opfer, darunter auch viele vormalige Zwangsarbeiter/innen eingesetzt wurden. Durch die gleichzeitige Ratifizierung des Haager Protokolls Nr. 1 nahm die Claims Conference außerdem Einfluss auf die nationale Entschädigungsgesetzgebung Westdeutschlands, wovon vor allem jüdische NS-Opfer aus Osteuropa profitierten, die in den Westen emigriert waren.

 

Mit dem Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953  b , das die Begleichung der Auslandsschulden des Deutschen Reiches regelte, erhielt die BRD „eine Art Schutzschild zur Abwehr von Reparationsansprüchen inklusive Entschädigungsforderungen“[2].  c  In Artikel 5 legte das Abkommen fest, dass staatliche Forderungen ehemaliger Kriegsgegner Deutschlands „bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt“[3] bleiben. Damit war ein direkter Zusammenhang zwischen dem Abschluss eines Friedensvertrages und der Regelung der Entschädigungsfragen hergestellt. Dies führte zu einem Schwebezustand, der bis zur deutschen Einigung 1990 andauerte. Doch wurden im Bundesergänzungsgesetz von 1953 bzw. Bundesentschädigungsgesetz (BEG) von 1956 für einen Teil der Verfolgten, die zur Zeit der Verfolgung in den Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 gelebt hatten, Entschädigungsregelungen getroffen.

 

Am 12. September 1990 wurde zwischen BRD und DDR auf der einen sowie den Alliierten der Anti-Hitler-Koalition (USA, Frankreich, Großbritannien, Sowjetunion) auf der anderen Seite der Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland unterzeichnet (2+4-Vertrag). Zwar enthält das Abkommen keine expliziten Aussagen über die vom vereinigten Deutschland als Konsequenz des Zweiten Weltkriegs zu zahlenden Reparationen, stellt aber im Sinn eines Äquivalents für einen Friedensvertrag eine „abschließende Regelung der Reparationsfrage“ dar: Artikel 5 des Londoner Schuldenabkommens stand fortan nach herrschender juristischer Lehrmeinung „den Individualansprüchen von Zwangsarbeitern nicht mehr entgegen“[4]. Entsprechend versuchten ehemalige NS-Zwangsarbeiter/innen durch Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen, eingereicht bei US-amerikanischen Gerichten, in den 1990er Jahren individuelle Entschädigungsleistungen zu erstreiten. Diese Auseinandersetzungen führten schließlich zur Gründung der „Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft“.

(GK)



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[pdf] Peer Heinelt_Die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeiter

 

Quelle

Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 27.2.1953, Bundesgesetzblatt, Jg. 1953, Teil II, S. 340. Ein Faksimile findet sich in Klaus Barwig / Günter Saathoff / Nicole Weyde (Hg.): Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte. Baden-Baden: Nomos 1998, S. 215–217.

 

Literatur

Barwig, Klaus / Saathoff, Günter / Weyde, Nicole (Hg.): Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte. Baden-Baden: Nomos 1998.

Féaux de la Croix, Ernst: Vom Unrecht zur Entschädigung: Der Weg des Entschädigungsrechts. In: Ernst Féaux de la Croix / Helmut Rumpf: Der Werdegang des Entschädigungsrechts unter national- und völkerrechtlichem und politologischem Aspekt (= Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Hg. v. Bundesminister der Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz, Bd. 3). München: Beck 1985, S. 1–118.

Goschler, Constantin: Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus 1945–1954. München: Oldenbourg 1992.

Hennies, Jörg Hagen: Entschädigung für NS-Zwangsarbeit vor und unter der Geltung des Stiftungsgesetzes vom 2.8.2000. Baden-Baden: Nomos 2006.

Herbert, Ulrich: Nicht entschädigungsfähig? Die Wiedergutmachungsansprüche der Ausländer. In: Ludolf Herbst / Constantin Goschler (Hg.): Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland. München: Oldenbourg 1989, S. 273–302.

Hockerts, Hans Günter: Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa. Eine einführende Skizze. In: Hans Günter Hockerts / Claudia Moisel / Tobias Winstel (Hg.): Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945–2000. Göttingen: Wallstein 2006, S. 7–58.

Pross, Christian: Wiedergutmachung. Der Kleinkrieg gegen die Opfer. Frankfurt am Main: Athenäum 1988.

Schrafstetter, Susanna: Verfolgung und Wiedergutmachung. Karl M. Hettlage: Mitarbeiter von Albert Speer und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium: In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56 (2008), H. 3, S. 431–466.

Spoerer, Mark: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939–1945. Stuttgart/München: DVA 2001.

[1] Ulrich Herbert: Nicht entschädigungsfähig? Die Wiedergutmachungsansprüche der Ausländer. In: Ludolf Herbst / Constantin Goschler (Hg.): Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland. München: Oldenbourg 1989, S. 273–302, hier S. 277.

[2] Hans Günter Hockerts: Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa. Eine einführende Skizze. In: Hans Günter Hockerts / Claudia Moisel / Tobias Winstel (Hg.): Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945–2000. Göttingen: Wallstein 2006, S. 7–58, hier S. 15.

[3] Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 27.2.1953, Bundesgesetzblatt, Jg. 1953, Teil II, S. 340. Ein Faksimile findet sich in Klaus Barwig / Günter Saathoff / Nicole Weyde (Hg.): Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte. Baden-Baden: Nomos 1998, S. 215–217.

[4] Jörg Hagen Hennies: Entschädigung für NS-Zwangsarbeit vor und unter der Geltung des Stiftungsgesetzes vom 2.8.2000. Baden-Baden: Nomos 2006, S. 57.