Glossar

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Robert Waitz (1900–1978)

 a  „Ich machte in Monowitz die Beobachtung, dass je nach Jahreszeit verschiedene Krankheiten in grosser Anzahl auftraten. Im Sommer gab es beispielsweise sehr viele Durchfall-Kranke. Grund hierfür war die vollkommen ungenuegende Ernaehrung der Haeftlinge. Eine dem Menschen zuträgliche Kost muss ueberdies in ihren Bestandteilen (bestimmte Prozentsätze in tierischen und pflanzlichen Eiweis-Stoffen, Vitaminen usw.) ausgeglichen sein, was bei dem Häftlingsessen nicht der Fall war. Ihre Ernaehrung enthielt z.B. keinerlei Eiweis-Stoffe. Das Brot war zudem fuerchterlich. Dazu kommt die an sich bestechende Unterernaehrung der Haeftlinge, die bei der soeben geschilderten Ernaehrungsweise den Menschen fuer Durchfall besonders anfaellig machte. Ich stellte im Uebrigen in Fällen, wo ich Haeftlinge den Magen auspumpte, fest, dass fast keine Magensaeure vorhanden war. Ausserdem waren Darmsaefte in Folge der ungesunden und unnatuerlichen Lebensverhaeltnisse so gut wie nicht vorhanden. Schlimmer als der gewoehnliche Durchfall war der ansteckende Durchfall, der epidemisch auftrat und mit Fieber vorhanden war. Wegen der schlechten hygienischen Verhaeltnisse war Ansteckungsgefahr hier besonders gross. Die Scheu und Angst der Haeftlinge in der Durchfall-Station war gross. Bei Aufnahme in diese Station wurden die Haeftlinge in den meisten Faellen auf sog. Null-Diaet gesetzt, d.h. sie bekamen 2 Tage lang ueberhaupt nichts zu essen. Aus der Durchfall-Station kam im allgemeinen fast kein Haeftling gesund heraus, da er durch den Aufenthalt dort koerperlich so schwach war, dass er staendig mit einer Selektion zu rechnen hatte, d.h. infolge Arbeitsunfaehigkeit nach Birkenau zur Vergasung weggeschickt wurde.“

(Robert Elie Waitz, Eidesstattliche Erklärung, 12.11.1947, NI-12373. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 N (d), Bl. 31–39, hier Bl. 33–34.)

 

 b  Professor Waitz proved as good as his word. Every evening I was able to, I crossed to the hospital, by the eastern perimeter of the camp. Although he was often busy treating people, the Professor would smile and gesture to me to take some soup and bread. As a Prominent, he always had a good ration of food.

So it was my friendship with Professor Waitz that saved my life.

(Knoller, Freddie (with John Landaw): Desperate Journey. Vienna – Paris – Auschwitz. London: Metro 2002, S. 181.)

„Unter normalen Verhaeltnissen haetten 90% der gesamten Haeftlingsstaerke von Monowitz in ein Krankenhaus eingeliefert werden muessen. [...] Es konnte IG-Angehoerigen gar nicht verborgen bleiben, dass eine bestimmte Sprache nach einer gewissen Zeit auf der Baustelle nicht mehr zu hoeren war.“[1]

 

Robert Elie Waitz wurde am 20. Mai 1900 in Neuvy, Frankreich, geboren. Nach dem Abitur 1917 studierte er in Paris Medizin, wo er sein Studium 1931 als Dr. med. abschloss. 1933 wurde er außerordentlicher Professor an der Université Strasbourg. Nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich im Mai 1940 betätigte er sich im französischen Widerstand, wo er zum Chef Franc Tireur (Auvergne) aufstieg. Als solcher wurde er am 3. Juli 1943 in Clermont-Ferrand von der Gestapo verhaftet und ins Gefängnis von Moulin gebracht. Am 10. September 1943 kam er ins Sammellager Drancy und wurde von dort am 10. Oktober 1943 nach Auschwitz deportiert. Unmittelbar bei seiner Ankunft selektierte die SS ihn gemeinsam mit 250 weiteren Juden für das KZ Buna/Monowitz. Dort wurde Robert Waitz Häftlingsarzt der „Inneren Ambulanz“ im Häftlingskrankenbau des Lagers.  a  Unter den schlechtesten Bedingungen – zur Behandlung der Folgen von Kälte, schwerer Arbeit und Unterernährung gab es nur etwas Aspirin und Kohle – unternahm er hier das Möglichste, um seinen Mithäftlingen zu helfen: Nach eigenen Aussagen hatte er ein Laboratorium gegründet,[2] zahlreiche Überlebende berichten von seiner Hilfe, ohne die sie umgekommen wären.  b  Darüber hinaus hatte sich Robert Waitz dem Befehl, selbst eine Selektion durchzuführen, mit den Worten entzogen, „alle seien arbeitsfähig, sie bräuchten nur Ruhe zu haben“[3].

 

Auf dem Todesmarsch wurde Robert Waitz im Januar 1945 gemeinsam mit vielen weiteren Monowitz-Häftlingen zu Fuß nach Gleiwitz getrieben und von dort in offenen Viehwaggons weiter nach Buchenwald transportiert. Dort arbeitete er als Freiwilliger im Fleckfieberblock, bis er im April von der U.S. Army befreit wurde. Prof. Dr. Robert Waitz kehrte nach Strasbourg zurück, wo er 1946 ordentlicher Professor der Universität wurde. Darüber hinaus war er Präsident der „Amicale d’Auschwitz“, Ritter der Ehrenlegion und Träger der französischen Widerstandsmedaille und des Kriegsverdienstkreuzes. Bereits 1947 veröffentlichte er einen Bericht über seine Zeit und die Arbeit im Häftlingskrankenbau des KZ Buna/Monowitz. Robert Waitz starb 1978.

(SP)



Quellen

Freddie Knoller, Lebensgeschichtliches Interview [Eng.], 13.6.2007. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

Robert Elie Waitz, Eidesstattliche Erklärung, 12.11.1947, NI-12373. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 N (d), Bl. 31–39.

Robert Elie Waitz, Zeugenvernehmung, 27.11.1952. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. I, Bl. 139R–142R.

Robert Waitz, Richterliche Vernehmung vom 26.6.1962 in Frankfurt am Main, Auschwitz-Prozess, LG Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63. Archiv des Fritz Bauer Instituts, FAP-1, HA-68, Bl. 12791–12795.

 

Literatur

Komissar, Vera: På Tross av Alt. Julius Paltiel – norsk Jøde i Auschwitz [1995]. Trondheim: Communicatio 2004.

Knoller, Freddie (with John Landaw): Desperate Journey. Vienna – Paris – Auschwitz. London: Metro 2002.

Steinberg, Paul: Chronik aus einer dunklen Welt. Ein Bericht. Aus dem Französischen von Moshe Kahn. München: Hanser 1998.

Waitz, Robert: Auschwitz III/ Monowitz. In: De l’Université aux Camps de Concentration. Strasbourg: Faculté de lettres Université Strasbourg: Témoignages strasbourgeois 1947, S. 467–499.

Waitz, Robert: Auschwitz III, Monowitz. In: Leon Poliakov / Josef Wulf (Hg.): Das Dritte Reich und die Juden. Berlin: Arani 1955, S. 267–272.

[1] Robert Elie Waitz, Eidesstattliche Erklärung, 12.11.1947, NI-12373. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 N (d), Bl. 31–39, hier Bl. 36.

[2] Vgl. Robert Elie Waitz, Eidesstattliche Erklärung, 12.11.1947.

[3] Robert Elie Waitz, Zeugenvernehmung, 27.11.1952. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. I, Blatt 139R–142R, hier Bl. 141.