Glossar

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Die Situation nach dem Ersten Weltkrieg

Nach dem Ersten Weltkrieg veränderte sich die Lage der deutschen Chemieunternehmen. Mit dem Versailler Vertrag wurde den Entente-Mächten als Entschädigung für die Kriegszerstörungen die Möglichkeit geschaffen, deutsche Patente und Auslandsvermögen zu beschlagnahmen und einzubehalten. Auswirkungen für die Farbenindustrie hatte ebenfalls die Auflage, dass Farbstoffe als Reparationszahlungen geliefert werden sollten. Außerdem sah der Vertrag eine Klausel für die Entwaffnung Deutschlands vor, deren Durchsetzung zu einer Schließung der Chemiefabriken, die sich rege an der Rüstungsproduktion mit der Herstellung von Giftgasen und Nitraten beteiligt hatten, führen konnte.

 

Frankreich, das besonders unter dem Krieg gelitten hatte, forderte die Schließung der Anlagen der „kleinen I.G.“, was vermutlich das Ende der beteiligten Unternehmen bedeutet hätte. Allerdings trafen Joseph Frossard, ein französischer Beamter, der mit der Verwaltung der Anlagen in Frankreich beauftragt war, und Carl Bosch (BASF) eine Übereinkunft: Bosch würde den Franzosen die Produktionsgeheimnisse der Farbstoffindustrie und das Haber-Bosch-Verfahren offenlegen, im Gegenzug sollten die Franzosen von der geforderten Schließung der Werke absehen.

 

Keiner der Industriellen, die die Giftgasproduktion ermöglicht und vorangetrieben hatten, wurde in den „Leipziger Prozessen“ gegen deutsche Kriegsverbrecher juristisch zur Rechenschaft gezogen.

 

Die deutsche Farbenindustrie sah sich nach dem Ersten Weltkrieg mit wachsender ausländischer Konkurrenz konfrontiert: Unternehmen wie DuPont in den USA und Kuhlmann in Frankreich hatten große Markanteile erlangt. Die wirtschaftliche Lage Deutschlands hatte sich verschlechtert, wenn auch zunächst nicht so dramatisch wie befürchtet. Der Stickstoffexport war aufgrund der wachsenden Produktion im Ausland und der daraus resultierenden mangelnden Nachfrage nach in Deutschland hergestellten Produkten stark gesunken. In der Farbenproduktion war ebenfalls ein erheblicher Einbruch zu verzeichnen: Machte 1913 die deutsche Farbenherstellung noch 88% der Weltproduktion aus, fiel sie in 1924 auf 46%.

 

Innerhalb der Unternehmen der „kleinen I.G.“ änderte sich die Zusammensetzung des Vorstandes. 1919 wurde Carl Bosch Vorstandsvorsitzender der BASF und der Vorstand verjüngte sich mit aufstrebenden Managern wie Hermann Schmitz, Carl Krauch und Fritz Gajewski.

 

Die chemische Industrie profitierte in der Nachkriegszeit von der Inflation, die zu einer Verbilligung der Preise führte und infolge dessen die Wettbewerbsfähigkeit erhöhte. Die Arbeitnehmer/innen konnten aus dieser Lage jedoch keinen Nutzen ziehen. Die Situation der Arbeiter/innen in den Werken verschlechterte sich zunehmend. Ihre Rechte wurden eingeschränkt, die Arbeitszeiten wieder auf die früheren neun Stunden verlängert und die zu Kriegszeiten eingeführten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen wurden so schrittweise zurückgenommen, die Arbeit war häufig gesundheitsgefährdend. Am 21. September 1921 ereignete sich ein schwerer Unfall im Werk Oppau (BASF). Die Explosion hatte 565 Tote und über 2.000 Verletzte zur Folge und war vermutlich u.a. auf die mangelnden Sicherheitsbedingungen zurückzuführen. In den Jahren 1923/24 entließen die Unternehmen der „kleinen I.G.“ schließlich vermehrt Personal, um Kosten einzusparen.

(DOP; erstellt auf der Grundlage von Karl Heinz Roth: Die Geschichte der I.G. Farbenindustrie AG von der Gründung bis zum Ende der Weimarer Republik



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[pdf] Karl Heinz Roth_Die Geschichte der IG Farbenindustrie AG von der Gründung bis zum Ende der Weimarer Republik

 

Literatur

Borkin, Joseph: Die unheilige Allianz der I.G. Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich. Frankfurt am Main/New York: Campus 1990.

Hayes, Peter: Industry and Ideology: IG Farben in the Nazi Era. Cambridge/New York: Cambridge UP 1987.

Köhler, Otto: …und heute die ganze Welt. Die Geschichte der IG Farben BAYER, BASF und HOECHST. Köln: PapyRossa 1990.

Lindner, Stephan H.: Hoechst. Ein I.G. Farben Werk im Dritten Reich. München: Beck 2005.

Radandt, Hans (Hg.): Fall 6. Ausgewählte Dokumente und Urteil des IG-Farben-Prozesses. Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1970.