Glossar

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2. und 3. Rakers-Prozess und Begnadigung

Im Verlauf der Hauptverhandlung des erstinstanzlichen Verfahrens gegen den ehemaligen Kommando- und Rapportführer des KZ Buna/Monowitz, Bernhard Rakers, trennte das Gericht mit Beschlüssen vom 26. Januar und 6. Februar 1953 das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe ab: die Tötung des Häftlings Emile Bottin auf dem Weg zur Arbeitsstelle auf dem I.G.-Werksgelände, und: die Tötung von Häftlingen („Muselmännern“) durch Genickschüsse während des Transports von Gleiwitz nach Sachsenhausen im Januar 1945. In der Sitzung vom 10. Juni 1958 (2. Rakers-Prozess: ein Verhandlungstag) stellten die Osnabrücker Richter das Verfahren im Fall Bottin wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge ein.[1] Rakers war nur gefährliche Körperverletzung zweifelsfrei nachzuweisen. Die Tat war aber bereits im Mai 1950 verjährt.

 

Im September und Oktober 1959 (3. Rakers-Prozess: acht Verhandlungstage) verhandelte das LG Osnabrück die von mehreren Zeugen dem Angeklagten zur Last gelegte Tat, mehrmals auf dem Evakuierungstransport im Januar 1945 entkräftete Häftlinge („Muselmänner“) aus den Waggons herausgeholt und gemeinschaftlich mit SS-Hauptscharführer Otto Moll (1915–1946) durch Genickschüsse getötet zu haben. In diesem Verfahren war auch Norbert Wollheim Zeuge.[2] Die Bekundungen der Auschwitz-Überlebenden überzeugten das Schwurgericht jedoch nicht. Mangels Beweisen sprach es Rakers von dem Tatvorwurf frei. Für überführt erachtete das Gericht den Angeklagten hingegen, auf einen Häftling während der Zugfahrt geschossen zu haben. Der Häftling hatte über den Waggonrand seine Notdurft verrichtet und war von Rakers entdeckt worden. Die Richter werteten die Tat als versuchten Mord, aus niedrigen Beweggründen und auf heimtückische Weise verübt. Rakers wurde mit Urteil vom 9. Oktober 1959 zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt.[3] Die mit Urteil vom 10. Februar 1953 (1. Rakers-Prozess) ausgesprochene Gesamtzuchthausstrafe von 15 Jahren wurde aufgelöst und vom erkennenden Gericht neu gebildet und abermals auf 15 Jahre Zuchthaus festgelegt. Die im 1. Rakers-Prozess verhängte lebenslange Zuchthausstrafe blieb von dem 3. Verfahren unberührt.

 

Rakers verbüßte seine Haft meist in der Straf- und Sicherungsanstalt Celle. Aus Schreiben der Anstaltsleitung in Zusammenhang mit Gnadengesuchen geht hervor, dass sich der Auschwitz-Täter als schuldloses Justizopfer empfand. Mitte 1971 wurde Rakers durch Gnadenerweis des niedersächsischen Ministerpräsidenten Alfred Kubel (SPD) vom 2. März 1971 entlassen und für die Zeit von fünf Jahren unter Bewährungsaufsicht gestellt. Rakers fand wieder eine Anstellung als Bäcker, blieb während der Bewährungsfrist unauffällig und erhielt 1976 den Erlass seiner Reststrafe. Er verstarb am 10. August 1980 in Barmstedt bei Hamburg.

(WR)



Quellen

Schwurgerichtsklage. StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Hauptakten, Bd. V. (Staatsarchiv Osnabrück, Rep 945 Akz. 2001/054 Nr. 235).

Urteil im 1. Rakers-Prozess. StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Hauptakten, Bd. VI, Bl. 1–105 (Staatsarchiv Osnabrück, Rep 945 Akz. 2001/054 Nr. 236).

Urteil im 2. Rakers-Prozess. StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Hauptakten, Bd. VII, Bl. 92–103 (Staatsarchiv Osnabrück, Rep 945 Akz. 2001/054 Nr. 237).

Urteil im 3. Rakers-Prozess. StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Hauptakten, Bd. IX, Bl. 1–36 (Staatsarchiv Osnabrück, Rep 945 Akz. 2001/054 Nr. 239).

Begnadigung. StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Gnadenheft (4 Gns 25/56), Bl. 9–9R u. Bl. 20, Bl. 86.

Vollstreckung. StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Vollstreckungsheft, Bl. 63.

 

Literatur

Dirks, Christian: „Die Verbrechen der anderen“. Auschwitz und der Auschwitz-Prozess der DDR: Das Verfahren gegen den KZ-Arzt Dr. Horst Fischer. Paderborn: Schöningh 2006.

Knoch, Habbo: Die Emslandlager 1933–1945. In: Wolfgang Benz / Barbara Distel (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. II: Frühe Lager, Dachau, Emslandlager. München: Beck 2005, S. 531–570.

Makowski, Antoni: Organisation, Entwicklung und Tätigkeit des Häftlings-Krankenbaus in Monowitz (KL Auschwitz III). In: Hefte von Auschwitz 15 (1975), S. 113–181.

Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945–1999. Hg. v. Christiaan F. Rüter u.a. Amsterdam: Amsterdam UP 1976ff. [Darin: Urteil im 1. Rakers-Prozess. Bd X, S. 346–391; Urteil im 2. Rakers-Prozess. Bd. XIV, S. 733–738; Urteil im 3. Rakers-Prozess, Bd. XVI, S. 60–74.]

Strzelecka, Irena: Arbeitslager Gleiwitz II. In: Hefte von Auschwitz 14 (1973), S. 107–127.

Das Urteil im I.G. Farben-Prozess Der vollständige Wortlaut mit Dokumentenanhang. Offenbach: Bollwerk 1948.

Werle, Gerhard / Wandres, Thomas: Auschwitz vor Gericht.Völkermord und bundesdeutsche Justiz. München: Beck 1995.

[1] StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Hauptakten, Bd. VII, Bl. 92–103 (Staatsarchiv Osnabrück, Rep 945 Akz. 2001/054 Nr. 237), ebenso: Justiz und NS-Verbrechen, Bd. XIV, S. 733–738.

[2] Siehe Wollheims Schreiben an den Anklagevertreter der StA b. LG Osnabrück, StA Krochmann, vom 30.9.1959, sowie Krochmanns Schreiben an Wollheim vom 29.12.1959, in dem der engagierte Staatsanwalt seine „Enttäuschung“ über den Verfahrensausgang zum Ausdruck bringt (StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Handakten, Bd. II, Bl. 159–164). Krochmann hatte bereits im 1. Rakers-Prozess die Anklage vertreten.

[3] StA b. LG Osnabrück, 4 Ks 2/52, Hauptakten, Bd. IX, Bl. 1–36 (Staatsarchiv Osnabrück, Rep 945 Akz. 2001/054 Nr. 239), ebenso: Justiz und NS-Verbrechen, Bd. XVI, S. 60–74.