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Christian Schneider (1887–1972)

Christian Schneider. Fotoaufnahme aus der National Archives Collection of World War II War Crimes Records vom Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben'© National Archives, Washington, DC
Christian Schneider. Fotoaufnahme aus der National Archives Collection of World War II War Crimes Records vom Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben
© National Archives, Washington, DC

 a  „Von der Bedeutung und der späteren Entwicklung der Tendenzen der SS hatten wir [I.G. Angestellte] ja damals gar keine Ahnung. Wir haben uns auch niemals als Mitglied der SS betrachtet. Wir wurden nicht vereidigt, haben keiner Versammlung der SS beigewohnt, und unsere einzige Leistung bestand darin, dass unsere Sekretäre monatlich den Betrag abgeführt haben. Ein späterer Austritt wäre sicherlich als Affront aufgefasst worden und hätte größere Schwierigkeiten und Nachteile nach sich gezogen, als wenn wir nicht beigetreten wären, zumal in der damaligen Zeit größere Spannungen zwischen Gestapo und Werksleitung Leuna bestanden haben […].“

(Christian Schneider, Direktes Verhör durch Dr. Dix, 18.2.1948. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot (d), Bl. 7385–7391, hier Bl. 7390.)

„Bei meinem Besuch in IG Auschwitz habe ich Kz-Häftlinge im Einsatz gesehen, z.B. bei Transportarbeiten, Zementsäcketragen, Grabenarbeiten. Die Häftlinge trugen gestreifte Anzüge und wurden von SS bewacht. Es waren z.T. ausgemergelte, abgearbeitete Menschen dabei, während ein Teil noch ganz gut aussah.“[1]

 

Christian Schneider wurde am 19. November 1887 in Kulmbach als Sohn des Elektroinstallateurs August Schneider und seiner Frau Babette (geb. Weiss) geboren. Nach dem Schulbesuch in Kulmbach und Nürnberg begann er 1907 ein Chemiestudium in Erlangen, das er 1911 mit einer Promotion über das Thema „Einwirkung von Benzanilidimidchlorid auf Hydrazin und Derivate desselben“ abschloss. Im Anschluss arbeitete er als Assistent an der Bergakademie in Freiberg, bis er 1912, als Mitarbeiter von Alwin Mittasch, bei BASF ins Stickstofflabor eintrat. 1914 nahm er als Soldat am Ersten Weltkrieg teil und wurde verwundet. 1919 wurde er Assistent von Carl Krauch in Leuna, für ihn der Ausgangspunkt einer raschen Karriere: 1921 wurde er Prokurist, 1923 Direktor und 1924 stellvertretender Geschäftsführer der Ammoniakwerke Merseburg, deren Werksleitung er 1936 übernahm.

 

1928 wurde Christian Schneider als stellvertretendes Vorstandsmitglied der I.G. Farben berufen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er 1933/34 förderndes Mitglied der SS.  a  1937 wurde er Hauptabwehrbeauftragter der „Vermittlungsstelle W[ehrmacht]“ in der Berliner I.G. Farben-Zentrale, im selben Jahr trat er der NSDAP bei. Die Abwehrbeauftragten waren für die Verfolgung von Spionage, Sabotage und des Verrats von Betriebsgeheimnissen zuständig. Laut den 1939 von der Gestapo herausgegebenen „Richtlinien für die sicherheitspolizeiliche Tätigkeit der Abwehrbeauftragten“ dienten sie als direktes „Hilfsorgan der Geheimen Staatspolizei“ in den Werken.[2]

 

1938 wurde Christian Schneider ordentliches Vorstandsmitglied der I.G. Farben und übernahm die Leitung der Sparte I (Stickstoff, Öle und Gruben) als Nachfolger von Carl Krauch. Darüber hinaus leitete er die Zentrale Personalabteilung. 1939 wurde er gesetzlicher Hauptbetriebsführer I.G. Farben und war als solcher auch für die Belegschaft der I.G. Auschwitz verantwortlich. 1940 wurde Schneider Hauptabwehrbeauftragter der I.G. und ein Jahr später zum „Wehrwirtschaftsführer“ ernannt. Er war zwei Mal verheiratet, mit Frieda Butzengeiger und mit Hedwig Breidenbach, und hatte insgesamt vier Kinder.

 

Am 22. Juni 1945 wurde er von Leuna in die amerikanische Besatzungszone „evakuiert“[3] und hier 1947 im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben wegen Plünderung, Versklavung und Mitgliedschaft in der SS angeklagt. Nach seinem Freispruch wurde er Aufsichtsratsmitglied der Süddeutschen Kalkstickstoff-Werke AG Trostberg und der Rheinauer Holzhydrolyse-GmbH, Mannheim. Christian Schneider lebte zuletzt in Ziegelhausen bei Heidelberg, wo er am 5. Mai 1972 starb.

(SP)



Quellen

Christian Schneider, Eidesstattliche Erklärung, 22.4.1947, NI-7604. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, reel 028, Bl. 969–977.

Christian Schneider, Direktes Verhör durch Dr. Dix, 18.2.1948. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot. (d), Bl. 7385–7391.

Richtlinien für die sicherheitspolizeiliche Tätigkeit der Abwehrbeauftragten (Abwb). Herausgegeben vom Geheimen Staatspolizeiamt, 1939, NI-2883 (F). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 6 (d), Bl. 183–193.

 

Literatur

Heine, Jens Ulrich: Verstand & Schicksal. Die Männer der I.G. Farbenindustrie A.G. Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft 1990.

Schneider, Christian: Einwirkung von Benzanilidimidchlorid auf Hydrazin und Derivate desselben. Erlangen: Jacob 1911.

[1] Christian Schneider, Eidesstattliche Erklärung, 22.4.1947, NI-7604. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, reel 028, Bl. 969–977, hier Bl. 973.

[2] Richtlinien für die sicherheitspolizeiliche Tätigkeit der Abwehrbeauftragten (Abwb). Herausgegeben vom Geheimen Staatspolizeiamt, 1939, NI-2883 (F). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 6 (d), Bl. 183–193, hier Bl. 188.

[3] Christian Schneider, direktes Verhör durch Dr. Dix, 18.2.1948. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot (d), Bl. 7385–7391, hier Bl. 7387.