Das Urteil des LG Frankfurt am Main
(Urteil im Wollheim-Prozess, 10.6.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. III, Bl. 446–488, hier Bl. 480.)
(Urteil im Wollheim-Prozess, 10.6.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. III, Bl. 446–488, hier Bl. 475.)
(Joachim R. Rumpf: Der Fall Wollheim gegen die I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation. Dissertation, Leibniz Universität Hannover 2007, S. 124.)
„Was dem Kläger und seinen jüdischen Kameraden in Monowitz widerfahren ist, übersteigt in früher nicht vorstellbar gewesenem Umfang das Mass dessen, was in der Zeit der angeführten Reichsgerichtsentscheidungen in Deutschland für möglich oder auch nur für erträglich gehalten worden ist.“[1]
Nach eineinhalb Jahren Prozessverlauf, nach insgesamt 23 vernommenen Zeugen, verkündete die 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main am 10. Juni 1953 ihr Urteil „in Sachen Wollheim gegen I.G. Farben“: „Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger den Betrag von DM 10.000,- nebst 4% Zinsen hieraus seit 1.7.1951 auf ein bei der Rhein-Main-Bank einzurichtendes Sperrkonto zu bezahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.“[2] Das Urteil folgte wörtlich dem Antrag Henry Ormonds. Die I.G. Farben AG hatte den Wollheim-Prozess – für viele Prozessbeobachter unerwartet – in der ersten Instanz verloren.
Unter Berufung auf die ermittelten Tatbestände unter dem Anklagepunkt „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben folgt das Urteil im Wollheim-Prozess über weite Strecken der Beweisführung der Anklage: Die Richter betonen die Mitverantwortlichkeit der I.G. für die Behandlung der Häftlinge, die den Tatbestand der Körper- und Gesundheitsverletzung (§§ 823 Abs. 1, 847 BGB) erfüllt habe. In Anbetracht der Größe und Bedeutung der Fabrik in Monowitz sah es das Gericht als Verletzung der Aufsichtspflicht der I.G. an, kein einziges Mal ein Vorstandsmitglied mit der Prüfung der Zustände vor Ort beauftragt zu haben. Somit sei die I.G. schadensersatzpflichtig[3] für die miserable Behandlung der Häftlinge und ihre Folgen. Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass die Zeugen der Klägerseite im Vergleich zu denen der I.G. Farben glaubwürdig und überzeugend ausgesagt hätten, während die I.G.-Zeugen „im allgemeinen keinen guten Eindruck“[4] gemacht hätten.
Diese Feststellung ist besonders bemerkenswert, zieht man die Umstände in Betracht: Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung bestand der Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland vornehmlich in der Verdrängung der Geschehnisse; die BRD konzentrierte sich ganz auf Wirtschaftsaufschwung und Westintegration. Der Rechtshistoriker Joachim R. Rumpf folgert in seiner Dissertation: „[E]s dürfte rechtshistorisch eine absolute Ausnahme bleiben, dass ein Gericht solch deutliche Worte gefunden hat.“[6]
Nicht zuletzt beugte das Gericht in seinem Urteil der zu erwartenden zweiten Instanz vor und entkräftete vorab die Behauptung, die Zustände in Monowitz seien nach damaliger Rechtslage gesetzlich gewesen.
Während sich Henry Ormond und Norbert Wollheim vom großen Interesse an ihrem Prozess beinahe überfordert sahen
(SP)