Der Prozess gegen Dr. Horst Fischer
Im Rahmen des Prozesses gegen den ehemaligen SS-Arzt Horst Fischer in Ostberlin sagten 44 Zeugen aus sechs Ländern aus. Der gesamte Prozess im März 1966 nahm nur zehn Verhandlungstage in Anspruch. Bemerkenswert sind die Ausführungen des Obersten Gerichts zur Beweiskraft der Zeugenaussagen, denen im Zweifel stets Vorrang eingeräumt wurde. Am Wahrheitsgehalt der Aussagen und an der Unvoreingenommenheit der Zeugen bestehe „kein Zweifel“.
Angesichts der ungeheuren Schwierigkeiten, die gerade dieser Punkt bei den Beratungen der Richter im Frankfurter Auschwitz-Prozess einnahm, ist die Beurteilung der Zeugenaussagen durch die Ostberliner Justiz erwähnenswert. Zweifel an der Aussagekraft bestanden hier, im Gegensatz zum Frankfurter Gericht, keine. Die Richter verurteilten Horst Fischer am 25. März 1966 zu dem nach dem Strafgesetzbuch der DDR höchsten Strafmaß: der Todesstrafe. Gnadengesuche wurden abgewiesen, das Urteil im Sommer 1966 vollstreckt.
Beim Verfahren gegen Fischer lassen sich klassische Elemente eines Schauprozesses beobachten: Fischer wurde vor Verfahrensbeginn eingehend vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) präpariert, ohne dass der Prozessablauf bis in jedes Detail durchgegangen werden musste. Fischer wirkte an der Aufklärung seiner Verbrechen in nicht unerheblichem Maße mit. Im Vergleich zu bundesdeutschen Prozessen, wo sich die Angeklagten zumeist auf Verteidigungsstrategien verlegten, die vom Leugnen der Taten bis zum Vorbringen eines vermeintlichen Befehlsnotstandes reichten, ist dies zumindest außergewöhnlich. Der Ausgang des Verfahrens war von vornherein festgelegt: Die unumschränkte Dominanz des MfS wird an dem Monate vor Beendigung des Gerichtsverfahrens unterbreiteten Strafvorschlag deutlich, der de facto viel mehr war als eine bloße Empfehlung des Untersuchungsorgans. Schon die Formulierung: „Es wird die Höchststrafe zur Anwendung kommen“[1] lässt keinen Zweifel an der Präjudizierung des Urteils aufkommen. Aussagen, die Fischer – zumindest ansatzweise – in dem einen oder anderen Punkt entlastet hätten, ohne die Verantwortung für seine Verbrechen insgesamt zu schmälern, waren unerwünscht. Bezeichnend für die Vorgehensweise der Geheimpolizei und der obersten Justizbehörden der DDR ist der Umgang mit den ehemaligen Auschwitz-Häftlingen Karl Lill und Hermann Langbein. Die zwei vielleicht wichtigsten Zeugen – beide Schreiber beim SS-Standortarzt Dr. Eduard Wirths, Fischers Vorgesetzter in Auschwitz –, die einen gewichtigen Beitrag zur Charakterisierung des ehemaligen KZ-Arztes Fischer hätten leisten können, wurden entweder gar nicht erst nach Ostberlin geladen (Langbein) oder spielten im Gerichtsverfahren sowie für die Verurteilung keine Rolle (Lill). Auf Zeugen aus Israel hatte die Prozessregie aus politischen Gründen bewusst verzichtet.
Der Fischer-Prozess diente in erster Linie dazu, die SED-Interpretation des deutschen Faschismus juristisch zu belegen. Von dem Verfahren versprach man sich eine Aura von Rechtstaatlichkeit und moralischer Legitimität. Die juristische Auseinandersetzung der DDR sowohl mit den NS-Medizinverbrechen als auch mit dem Tatort Auschwitz war 1966 bereits beendet.
(CD)