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Die Anklage im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben

Seitlicher Blick auf die Anklagebank im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben (1947/48)
'© National Archives, Washington, DC
Seitlicher Blick auf die Anklagebank im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben (1947/48)
© National Archives, Washington, DC

 a  Aus der Anklageschrift: „1. Alle Angeklagten nahmen mittels der I.G. und auf sonstige Weise mit verschiedenen anderen Personen während eines Zeitraumes von Jahren vor dem 8. Mai 1945 an der Planung, Vorbereitung, dem Beginn und der Führung von Angriffskriegen und Einfällen in andere Länder teil; diese Angriffskriege und Einfälle stellten auch eine Verletzung des Völkerrechts und internationaler Verträge dar. […] Die in diesem Anklagepunkt niedergelegten Handlungen und das Verhalten wurden von den Angeklagten gesetzeswidrig, vorsätzlich und wissentlich begangen.“

(Zit. n. Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess. Der vollständige Wortlaut. Offenbach am Main: Bollwerk 1948, S. 19–20.)

 

 b  Aus der Anklageschrift: „Die I.G. marschierte mit der Wehrmacht und spielte eine Hauptrolle in Deutschlands Programm, sich durch Eroberung zu bereichern. Sie benutzte ihre technische Sachkunde und ihre Hilfsquellen, um die chemische Industrie und verwandte Industrien Europas zu plündern und auszubeuten, die deutsche Kriegsmaschine zu stärken und die Unterjochung der eroberten Länder unter die deutsche Wirtschaft zu sichern.“ (Zit. n. Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess. Der vollständige Wortlaut. Offenbach am Main: Bollwerk 1948, S. 58.)

 

 c  Die Richter fassten die Vorwürfe in ihrem Urteil noch einmal zusammen: „a) die Rolle der I.G. bei dem Sklavenprogramm des Dritten Reiches, b) die Verwendung von Giftgas, das von der I. G. geliefert war, bei der Ausrottung von Konzentrationslagerinsassen, c) die Lieferung von giftigen Chemikalien der I. G. für verbrecherische medizinische Versuche an versklavten Personen, und d) die gesetzeswidrige und unmenschliche Handlungsweise der Angeklagten in Zusammenhang mit dem Werk Auschwitz der I.G.“

(Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess. Der vollständige Wortlaut. Offenbach am Main: Bollwerk 1948, S. 107.)

 

 d  In der Anklageschrift wurde erklärt, dass

„[d]ie Angeklagten Schneider, Bütefisch und von der Heyde nach dem 1. September 1939 Mitglieder der Schutzstaffeln der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter-Partei (allgemein bekannt als ‚SS‘) gewesen sind, einer Organisation, die das Internationale Militärgericht und Artikel 2 Paragraph 1 (d) des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 für verbrecherisch erklärt haben.“

(Zit. n. Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess. Der vollständige Wortlaut. Offenbach am Main: Bollwerk 1948, S. 141.)

 

 e  Aus der Anklageschrift: „Alle Angeklagten, zusammen mit verschiedenen anderen Personen,  bedienten sich während eines Zeitraumes von Jahren vor dem 8. Mai 1945 der I. G. und anderer Mittel, um als Führer, Organisatoren, Anstifter und Beihelfer an der Ausarbeitung und Durchführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung teilzunehmen, die zum Gegenstand hatten, Kriegsverbrechen im Sinne des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 zu begehen oder die solche Kriegsverbrechen in sich schlossen.“

(Zit. n. Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess. Der vollständige Wortlaut. Offenbach am Main: Bollwerk 1948, S. 20.)

Im Anschluss an den sog. Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess fand 1947 der „Prozess gegen Carl Krauch u.a.“ vor dem am 8. August 1947 gebildeten Gerichtshof Nr. VI statt. Als Richter waren Curtis Grover Shake, James Morris, Paul Macarus Hebert und Clarence F. Merrell berufen. Seit Dezember 1946 arbeitete die Anklagevertretung, das Team von Josiah E. Dubois, Drexel A. Sprecher[1] und Emanuel Minskoff, an Recherchen zur Klageschrift gegen führende Manager der I.G. Farbenindustrie AG. Sie stützten sich dabei im Wesentlichen auf Dokumentensammlungen US-amerikanischer Ministerien und Geheimdienste und die umfangreichen Aussagen und Ausarbeitungen, die die I.G.-Vorstandsmitglieder Hermann Schmitz, Georg von Schnitzler und Max Ilgner im Sommer 1945 dem Untersuchungsteam Bernard Bernsteins zu Protokoll gegeben hatten. Aus diesen versuchten die insgesamt zwölf Anwälte der Anklagebehörde die schwierige Aufgabe zu bewältigen, Führungskräften der I.G. Farben individuelle Schuld nachzuweisen: Zahlreiche Dokumente waren rechtzeitig beiseite geschafft worden, „zu viele Zeugenaussagen waren unbeeidet, zu viele Schriftsätze undatiert“[2]. Die Klageschrift vom 8. Mai 1947 bezichtigte schließlich 24 Manager der I.G. Farben, sich eines oder mehrerer der folgenden Verbrechen schuldig gemacht zu haben:

 

1. Planung, Vorbereitung, Beginn und Führung von Angriffskriegen  a 

 

2. Plünderung und Raub in den annektierten und besetzten Ländern  b 

 

3. Teilnahme am Sklavenarbeitsprogramm und an der Genozidpolitik der NS-Diktatur  c 

 

4. Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen  d 

 

5. Planung zur Verschwörung gegen den Frieden  e 

 

Die Anklagepunkte eins, drei und fünf waren ein Novum in der Rechtsgeschichte: sie bezogen sich auf Tatbestände, die mit den Nürnberger Prozessen das erste Mal vor Gericht verhandelt wurden. Angeklagt waren neben dem Aufsichtsratsvorsitzenden und Hauptangeklagten Carl Krauch seine Vorstandskollegen Otto Ambros, Max Brüggemann, Ernst Bürgin, Heinrich Bütefisch, Fritz Gajewski, Paul Häfliger, Heinrich Hörlein, Max Ilgner, Friedrich Jähne, Hans Kühne, August von Knieriem, Carl Ludwig Lautenschläger, Wilhelm R. Mann, Heinrich Oster, Hermann Schmitz, Christian Schneider, Georg von Schnitzler, Fritz ter Meer und Carl Wurster, die beiden Direktoren Walther Dürrfeld und Heinrich Gattineau und die beiden leitenden Angestellten Erich von der Heyde und Hans Kugler. Das Verfahren gegen Chefjustitiar Max Brüggemann wurde kurz nach der Eröffnung der Hauptverhandlung eingestellt.

(SP)



Download

[pdf] Karl_Heinz_Roth_Case_VI_Der_Nuernberger_Prozess_gegen_IG_Farben

 

Materialien

[pdf] Urteile_Nuernberger IG Farben Prozess

 

Quelle

Indictment Case No. 6, 3.5.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, reel 107, Official Court File, Bd. 46, Bl. 44–137.


Literatur

Boll, Bernd: Fall 6: Der IG-Farben-Prozeß. In: Gerd R. Ueberschär (Hg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 19431952. Frankfurtam Main: Fischer 1999, S. 133–143.

OMGUS: Ermittlungen gegen die I.G. Farbenindustrie AG. Nördlingen: Greno 1986.

Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess. Der vollständige Wortlaut. Offenbach am Main: Bollwerk 1948.

Wagner, Bernd C.: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000.

[1] Das Interview des Visual History Archive mit Drexel Sprecher kann im Arbeitsraum des Wollheim Memorials eingesehen werden: Drexel Sprecher, Lebensgeschichtliches Interview [Eng.], 24.3.1996. USC Shoah Foundation Institute, Survivors of the Shoah Visual History Archive, Code 12462.

[2] Bernd Boll: Fall 6: Der IG-Farben-Prozeß. In: Gerd R. Ueberschär (Hg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 19431952. Frankfurtam Main: Fischer 1999, S. 133–143, hier S. 135.