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Die Anpassung der I.G. Farben an das NS-Regime ab 1933

In den Regierungen der Weimarer Republik konnte der Vorstand der I.G. Farben auf Personen seines Vertrauens in entscheidenden Ämtern bauen. Da keiner der führenden Akteure engere Beziehungen zur NSDAP unterhielt, entstanden mit dem politischen Machtwechsel vom 30. Januar 1933 für die leitenden Manager der I.G. Farben Probleme. Die Mitglieder des Zentral-Ausschusses des Konzerns sahen sich deshalb zu erheblichen Anstrengungen genötigt, um dem neuen Regime ihre Loyalität zu demonstrieren und wieder Einfluss auf die wirtschaftspolitischen Weichenstellungen zu gewinnen.

 

Das bereits in der Weimarer Republik praktizierte Mittel politischer Einflussnahme auf dem Weg der Parteienfinanzierung setzte die I.G. nun verstärkt ein, um zur NSDAP engere Kontakte aufzubauen, als sie sich aus den bereits seit 1932 getätigten Parteispenden des „Kalle-Kreises“ an die NSDAP ergeben hatten.

 

Georg von Schnitzler gab beim Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben zu Protokoll, dass am 20. Februar 1933 bei einer Industriellenbesprechung Hitler, Reichstagspräsident Hermann Göring und Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht drei Millionen Reichsmark zur Finanzierung des NSDAP-Wahlkampfs für die Reichstagswahl am 5. März einwarben. Die Chemie- und Stickstoffindustrie übernahm dabei 500.000 RM. Die I.G. Farben zahlte den gesamten Betrag und überwies 400.000 RM an die NS-Führung und 100.000 RM an Franz von Papen. Das war der Beginn einer großen Scheckbuchoffensive, die sich allein 1933 auf insgesamt 4,5 Millionen RM belief und in der Folgezeit systematisch ausgebaut wurde. Die größten Beträge wurden einer bis 1945 geführten Kartei des Zentral-Ausschusses zufolge im Rahmen großindustrieller Koordinierungsmaßnahmen an die „Adolf Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft“ (12,7 Millionen RM) und an das „Winterhilfswerk“ (16 Millionen RM) abgeführt. Parallel dazu gingen erhebliche Mittel an die Führungsgruppen der NSDAP, SS und SA und an die meisten Massen- und Fachorganisationen der NS-Bewegung. Allein die zentral erfassten Loyalitäts- und Bestechungszahlungen beliefen sich bis Kriegsende auf 39,6 Millionen RM.[1]

 

Neben der finanziellen Lobbyarbeit beeilte sich der I.G. Farben-Konzern, seine Nähe zur nationalsozialistischen Politik nicht nur öffentlich zu bekunden. Leitungspersonal und Belegschaften sorgten auf allen Ebenen des Konzerns für eine schnelle Nazifizierung. In den Gremien des Konzerns demonstrierten die führenden Manager und die Betriebsleitungen ihre Unterstützung für die NS-Regierung. Nach dieser internen Selbstvergewisserung konnten Carl Bosch und Carl Duisberg an die Öffentlichkeit gehen und in fast gleich lautenden Wendungen betonen, wie sehr sie das neue Regime schätzten, weil es endlich durchgreife und auf seine Worte Taten folgen lasse.[2] Bis Ende 1936 traten acht Spitzenmanager des Vorstands bzw. des Zentral-Ausschusses in die NSDAP ein. Damit bekannte sich jeweils ein Drittel dieser Gremien als eingeschriebene Nationalsozialisten.[3]

 

Auf den oberen und mittleren Leitungsebenen setzte ein Wettlauf um die karrierefördernd gewordenen Mitgliedsbücher ein. Die Belegschaften wurden, wie im ganzen Deutschen Reich, zwangsweise durch die „Deutsche Arbeitsfront“ organisiert. Das Ergebnis war eine umfassende Selbstnazifizierung der Betriebe, deren Akteure sich das im „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ verankerte „Führer-Gefolgschafts-Prinzip“ voll zu eigen machten. In den Werkzeitungen (Von Werk zu Werk) wurden diese Umbrüche uneingeschränkt gutgeheißen, und vor allem in den besonders exponierten Verwaltungszentralen, wie beispielsweise dem Frankfurter I.G.-Hochhaus, wurde die neue Symbiose in aufwendigen Ritualen zur Schau gestellt. Seit 1937/38 waren fast alle Mitglieder des Vorstands, des Zentral-Ausschusses sowie alle leitenden Mitarbeiter der Berliner Zentral- und Vierjahresplanstellen NSDAP-Mitglieder.

(GK; erstellt auf der Grundlage von Karl Heinz Roth: Die I.G. Farbenindustrie AG von 1933 bis 1939)



Download

[pdf] Karl Heinz Roth_Die IG Farbenindustrie AG von 1933 bis 1939

 

Quellen

Bosch, Carl: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Artikel im „Informationsdienst“ der DAF, ref. n. Helmuth Tammen: Die I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft (1925–1933). Ein Chemiekonzern in der Weimarer Republik. Dissertation, Freie Universität Berlin 1978, S. 297.

Georg von Schnitzler, Eidesstattliche Erklärung, 16.11.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 3 (d), Dokument EC-439, Bl. 87–89.

Aufstellung des früheren Leiters des ZA-Büros Hermann Bässler vom 30.7.1947, NI-9200. Archiv der Stiftung für Sozialgeschichte Bremen, Nürnberger Dokumente: NI-Serie.

 

Literatur

Hayes, Peter: Industry and Ideology: IG Farben in the Nazi Era. Cambridge/New York: Cambridge UP 1987.

Hayes, Peter: IG Farben und der IG Farben-Prozeß. Zur Verwicklung eines Großkonzerns in die nationalsozialistischen Verbrechen. In: Fritz Bauer Institut (Hg.): Auschwitz: Geschichte, Rezeption und Wirkung. Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust 1996. Frankfurt am Main/New York: Campus 1996, S. 99–121.

Tammen, Helmuth: Die I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft (1925–1933). Ein Chemiekonzern in der Weimarer Republik. Dissertation, Freie Universität Berlin 1978.

[1] Aufstellung des früheren Leiters des ZA-Büros Hermann Bässler vom 30.7.1947, NI-9200. Archiv der Stiftung für Sozialgeschichte Bremen, Nürnberger Dokumente: NI-Serie.

[2] Carl Bosch: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Artikel im „Informationsdienst“ der DAF, ref. n. Helmuth Tammen: Die I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft (1925–1933). Ein Chemiekonzern in der Weimarer Republik. Dissertation, Freie Universität Berlin 1978, S. 297.

[3] Nämlich Fritz Gajewski, Ludwig Hermann, Heinrich Hörlein, Hans Kühne, Wilhelm R. Mann, Heinrich Oster, Wilhelm Otto und Erwin Selck.