Glossar

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Die Entstehung der deutschen Farbenindustrie im 19. Jahrhundert

Die Entwicklung der organischen Chemie war bereits im 19. Jahrhundert für die deutsche Industrie von großer Bedeutung. Zuvor waren insbesondere in der aufstrebenden Textilindustrie natürliche Farbstoffe verwendet worden, und Deutschland war im Gegensatz zu England oder Frankreich, die die Möglichkeit besaßen, auf Rohstoffe aus ihren Kolonien zurückzugreifen, in großem Maße auf den Import angewiesen.

 

1856 entwickelte Henry Perkin den ersten künstlichen Farbstoff, Mauvein. Das Grundprodukt für die Herstellung künstlicher Farbstoffe war Anilin, welches in Steinkohle enthalten ist. Die Entdeckung, dass das Abfallprodukt Steinkohleteer für die Teerfarbenproduktion genutzt werden konnte, führte zu einer fortschreitenden Unabhängigkeit von natürlichen Rohstoffen; aus diesem Grund wurde die Konstruktion von Anilinfabriken und die Entwicklung künstlicher Farbstoffe in Deutschland verstärkt vorangetrieben.

 

Joseph Wilhelm Weiler gründete 1861 die Anilinfabrik in Ehrenfeld bei Köln, weitere Firmengründungen folgten: 1863 die OHG Friedrich Bayer et comp., die Farbwerke Meister Lucius et Brüning in Höchst am Main (ab 1880 Farbwerke Hoechst) und die Kalle & Co AG in Biebrich. In Ludwigshafen wurde 1865 die BASF (Badische Anilin und Sodafabrik AG) gegründet, hinzu kamen 1873 die Anilinfarbenfabrik von Gans und Leonhardt (Cassella) in Frankfurt-Fechenheim sowie Agfa in Berlin. Zu dieser Zeit waren die Fortschritte in der deutschen chemischen Forschung immens, die Branche befand sich in einem stetigen Aufschwung: 1877 erfolgte die Hälfte der Weltproduktion an Farbstoffen in Deutschland; Ende des 19. Jahrhunderts wurden fast alle neuen Farbstoffe von deutschen Teerfarbenfirmen erfunden.

 

Die Farben selbst waren nur ein Endprodukt. In der Teerfarbenindustrie fielen weitere Stoffe wie z.B. Schwefelsäure an, die für die Düngemittelproduktion genutzt werden konnte, oder aber Chlorgase, welche im Ersten Weltkrieg für chemische Waffen verwendet wurden. Viele der Produkte, die Teerfarbenfabriken herstellten, konnten folglich sowohl privatwirtschaftlich als auch militärisch genutzt werden. Zur zivilen Produktpalette der Teerfarbenfabriken gehörten neben Farbstoffen auch Kosmetika, Dünger, Pflanzenschutzmittel und Arzneimittel. Außerdem wurden vermehrt chemische Produkte für die Film- und Fotobranche hergestellt.

 

Fritz Haber (Professor für Chemie an der Technischen Hochschule Karlsruhe und vertraglich als Berater an die BASF gebunden) entwickelte zwischen 1908 und 1912 zusammen mit Carl Bosch (BASF) ein Verfahren zur großindustriellen Gewinnung von synthetischem Ammoniak aus Stickstoff unter Hochdruck, das Haber-Bosch-Verfahren. Die industrielle Ammoniak-Synthese begann 1913 in Oppau, in der Nähe des Hauptwerkes der BASF in Ludwigshafen. Der Sektor der Hochdruckchemie erwies sich als besonders wichtig, da der dort produzierte Ammoniak sowohl für die Entwicklung von Stickstoffdünger als auch (in zu Salpeter oxidierter Form) für die Herstellung von Sprengstoffen benötigt wurde.

 

Die deutsche Chemieindustrie war stark auf den Export ausgerichtet und strebte eine Monopolstellung auf dem Weltmarkt an, die sie u.a. mit Hilfe des internationalen Patentrechts und der Gründung von ausländischen Niederlassungen zu erreichen suchte. Da die Farbenindustrie einen großen Kostenaufwand mit sich brachte, der von kleineren Firmen allein nicht zu tragen war, wurde der Markt schon bald von wenigen größeren Firmen beherrscht. Anfang des 20. Jahrhunderts waren sechs Firmen sowohl in Deutschland als auch international für die Produktion und den Verkauf synthetischer Farbstoffe marktführend: BASF, Bayer, Hoechst, Agfa, Cassella und die Kalle AG.

(DOP; erstellt auf der Grundlage von Karl Heinz Roth: Die Geschichte der I.G. Farbenindustrie AG von der Gründung bis zum Ende der Weimarer Republik)



Download

[pdf] Karl Heinz Roth_Die Geschichte der IG Farbenindustrie AG von der Gründung bis zum Ende der Weimarer Republik

  

Literatur

Abelshauser, Werner (Hg.): Die BASF. Eine Unternehmensgeschichte. München: Beck 2002.

Borkin, Joseph: Die unheilige Allianz der I.G. Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich. Frankfurt am Main/New York: Campus 1990.

Drummer, Heike / Zwilling, Jutta: Von der Grüneburg zum Campus Westend. Die Geschichte des IG Farben-Hauses. Begleitbuch zur Dauerausstellung. Frankfurt am Main: Goethe-Universität 2007.

Hayes, Peter: Industry and Ideology: IG Farben in the Nazi Era. Cambridge/New York: Cambridge UP 1987.

Plumpe, Gottfried:Die I.G. Farbenindustrie AG. Wirtschaft, Technik und Politik 1904–1945. Berlin: Duncker & Humblot 1990.

Tammen, Helmuth: Die I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft (1925–1933). Ein Chemiekonzern in der Weimarer Republik. Dissertation, Freie Universität Berlin 1978.