Einsatz für Displaced Persons in der Britischen Zone
(Norbert Wollheim, Interview mit Nikolaus Creutzfeldt [Eng.], New York 1986–88 (Heinlyn Productions; produziert von Leslie C. Wolf). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Transkript, S. 164–165.)
(Norbert Wollheim, Brief an Hermann E. Simon, 26.8.1945. USHMM, Wollheim-Nachlass, Box 9, Correspondence File, Simon Letters, S. 2.)
(Norbert Wollheim in: Michael Brenner: Nach dem Holocaust. Juden in Deutschland 1945–1950. München: Beck 1995, S. 144.)
(Norbert Wollheim, Second Interview [Eng.], 17.5.1991. United States Holocaust Memorial Museum, Transkript, S. 63–64 [sprachlich bereinigt].)
NW: Well, there were personal reasons.
I was looking for my friends and I was looking for my family. Because we had approxim[a]tely eighty or ninety members of my family. Because both my father and my mother had eight sisters and brothers. None of them survived except a cousin now living in Paris. And a cousin who had lived underground in Germany. That was all. So I was looking for people who were near and dear to me. I had a few relatives in the United States and I then found gradually the lost friends of my Youth Movement and others in the United States. And also I had acquired a better knowledge of English.
Also my second wife was always together with a group in these years. Had a very close relationship with her sister. And the sister and her husband decided to come to the United States and my wife didn’t want to be separated from her sister. So that had nothing to do with ideological reasons. It was more personal reasons. I had come to experience the United States in ’46 when I was invited to come over as a so-called messenger of the remnants and had gone all over the country to speak to people and to give them an idea of the situation. So at this time I had solidified my relationship with the people I hadn’t seen for years and years. Including my Youth Leader, Marin Sobotka [Martin Sobotker].“
(Norbert Wollheim, Interview mit Nikolaus Creutzfeldt [Eng.], New York 1986–88 (Heinlyn Productions; produziert von Leslie C. Wolf). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Transkript, 180–181.)
Ende April 1945 trieb die SS die Häftlinge des KZ Sachsenhausen bei Berlin, auf das die Rote Armee vorrückte, nach Norden. In der Nacht vom 2./3. Mai 1945 beschlossen Norbert Wollheim und mehrere Freunde, unter ihnen Albert Kimmelstiel, zu fliehen. Am nächsten Morgen trafen sie bei Schwerin auf amerikanische Soldaten, unter ihnen Hermann E. Simon, der mit Freunden Wollheims in New York befreundet war. Da Schwerin Teil der russischen Besatzungszone wurde, riet Simon, in das relativ unzerstörte Lübeck zu gehen.
Zu dieser Zeit hielten sich nach Norbert Wollheims Erinnerung etwa achthundert jüdische Displaced Persons (DPs) in Lübeck auf. In der gesamten Britischen Zone lebten in den Jahren nach dem Krieg etwa 15.000 DPs, davon die meisten im DP-Camp Belsen. In Lübeck erfuhr Norbert Wollheim zum ersten Mal von Belsen und es gelang ihm, sich mit Hilfe eines Rotkreuztransports dorthin zu schmuggeln, obwohl er keinen Passierschein für Reisen innerhalb der Britischen Zone besaß. Dort traf er Josef (Yossele) Rosensaft, den Vorsitzenden des Komitees der befreiten Juden in Belsen. Gemeinsam beschlossen sie, das Zentralkomitee der befreiten Juden in der Britischen Zone zu gründen, auf dessen 1. Kongress am 25.–27. September 1945 Josef Rosensaft zum Vorsitzenden und Norbert Wollheim zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt wurden. Wollheim war für den Kontakt zu den britischen Besatzungsbehörden zuständig. In dieser Zeit fuhr er jede Woche für Organisationstreffen nach Belsen; von den Lebensumständen und Nöten der jüdischen DPs berichtete er Hermann Simon, der inzwischen aus der Armee ausgeschieden und nach New York zurückgekehrt war.
Im folgenden Jahr wurde Norbert Wollheim zum Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinden in der Britischen Zone gewählt. Im Gegensatz zur US-Zone, in der eine weitaus größere Zahl DPs lebte und wohin in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg noch tausende aus Osteuropa migrierten, arbeiteten in der Britischen Zone die deutschen und osteuropäischen Juden in den wiederentstehenden Gemeinden und den DP-Camps eng zusammen. Neben der Organisation von Essen, Kleidung und medizinischer Versorgung für die DPs bestand die Arbeit des Zentralkomitees der befreiten Juden in der Britischen Zone, darin, Verbindungen zu anderen DP-Camps herzustellen und den Überlebenden bei der Suche nach Angehörigen zu helfen. Daneben entstand in den Gemeinden und DP-Camps ein neues religiöses und kulturelles jüdisches Leben, es wurden Schulen und Theater gegründet.
Unterstützt wurde das Zentralkomitee in seiner Arbeit von amerikanischen und britischen jüdischen Organisationen, z.B. dem American Jewish Joint Distribution Committee bzw. der Jewish Relief Unit. Als Teil seiner politischen Arbeit mit britischen jüdischen Wohltätigkeitsorganisationen und dem Aufbau von politischen Kontakten in London zum Wohle der DPs reiste Norbert Wollheim im Mai 1946 zum ersten Mal nach England, weitere Reisen folgten. Im selben Jahr wurde er vom United Jewish Appeal eingeladen, in mehreren Städten in den USA über die Lage der jüdischen DPs in Deutschland zu berichten. Auch in Deutschland waren Wollheims öffentliche Äußerungen zahlreich.
Die zentrale Aufgabe des Zentralkomitees lag jedoch darin, den DPs bei der Auswanderung zu helfen. „And we had accepted already that line that certainly the emphasis is that people want to go to then Palestine, but also those who want to join their relatives in England and America, should been given the opportunity as soon as possible to do this because Europe is one big cemetery for us.“[1]Dies gestaltete sich häufig schwierig, da die Einwanderungsquoten vieler Länder sehr niedrig lagen, und häufig hatten Überlebende, die an Krankheiten litten, die sie sich im Lager zugezogen hatten, zusätzliche Schwierigkeiten, ein Visum zu erhalten. Viele DPs wollten nach Palästina auswandern, doch war dies auf Grund der restriktiven Politik der britischen Regierung das „Mandatsgebiet Palästina“ betreffend kaum möglich. Dieser Interessensgegensatz führte zu zahlreichen Spannungen zwischen DP-Vertretern und Besatzungsbehörden in der britischen Zone.
Norbert Wollheim beteiligte sich auch an der Gründung der Jewish Trust Corporation for Germany, deren Aufgabe darin bestand, in der britischen Zone das Vermögen der vernichteten jüdischen Gemeinden und erbenloses Vermögen für jüdische Nachfolgeorganisationen zu sichern, um es für soziale Zwecke einzusetzen.
(MN)