Glossar

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Ernest W. Michel (*1923)

Ernest W. Michel, Videostill aus dem Interview für das Wollheim Memorial, 2007
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Ernest W. Michel, Videostill aus dem Interview für das Wollheim Memorial, 2007
© Fritz Bauer Institut
Ernest W. Michel und Bob Loup
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Ernest W. Michel und Bob Loup
© Ernest W. Michel
Ernst W. Michel an der Rampe in Auschwitz Birkenau, 1. Juli 1983
'© Ernest W. Michel
Ernst W. Michel an der Rampe in Auschwitz Birkenau, 1. Juli 1983
© Ernest W. Michel

 a  „It didn’t take me long to figure out what I was doing. The list contained the names of those who were shipped to Birkenau and the gas chamber. The Nazis, with their usual efficiency and attention to detail, kept records of all inmates sent to be gassed. Only nobody died being gassed to death. They all died by being ‘weak of the body’ – ‘Koerperschwaeche’ – or from ‘Herzschlag’ – heart attack’.

(Ernest W. Michel: Promises to Keep. One Man’s Journey against Incredible Odds. New York: Barricade Books 1993, S. 55–56.)

I consider myself a lucky man. Not only did I survive, but I did so against all odds. More than anything else, I’m proud that I never gave up hope and that I was given the chance to rebuild my own life and participate in a meaningful way in the Jewish Community.[1]

 

Ernst Michel kam am 1. Juli 1923 in Mannheim als Sohn des Zigarettenfabrikanten Otto Michel und seiner Frau Frieda zur Welt. Fünf Jahre später wurde seine Schwester Lotte geboren. 1936 wurde er aufgrund der Nürnberger Gesetze vom Schulbesuch ausgeschlossen. Zunächst konnte er in einer Kartonagenfabrik nicht weit von Mannheim arbeiten, aber die jüdischen Besitzer konnten ihn nach dem 9. November 1938 nicht weiter beschäftigen. Zahlreiche Versuche, Deutschland zu verlassen, blieben erfolglos. Nicht einmal das Affidavit, zu dem sein amerikanischer Brieffreund Bob Lindsay aus Wilmington, DE, ihm verhalf, ermöglichte ihm die Ausreise: Die Schlange der Ausreisewilligen war zu lang und die Einreisebeschränkungen in die USA zu streng. Nur seine Schwester Lotte gelangte mit einem Kindertransport nach Frankreich. Die Lebenssituation der Familie wurde zunehmend schlechter, sein Vater musste Stück für Stück seiner Briefmarkensammlung veräußern, um die Familie am Leben zu erhalten. Er vermittelte Ernst schließlich eine Lehre als Kalligraph. Anfang September 1939 wurde Ernst Michel von der Gestapo zur Zwangsarbeit abgeholt. Seine Eltern und seine Großmutter sah er nie wieder.

 

Die folgenden vier Jahre war er in verschiedenen Arbeitslagern inhaftiert, bis er im Februar 1943 mit seinen Kameraden aus Paderborn nach Auschwitz deportiert und sofort ins KZ Buna/Monowitz gebracht wurde. Nach einem Monat Zwangsarbeit im Zementkommando wurde er von einem SS-Mann verprügelt. In der Warteschlange vor dem Häftlingskrankenbau (HKB) hatte er das große Glück, wegen seiner schönen Handschrift als Schreiber im HKB aufgenommen zu werden: Dies rettete ihm das Leben.  a  

 

Kurze Zeit später wurde er als Krankenpfleger eingeteilt. Als solcher musste er unter anderem Leichen tragen und weibliche Häftlinge zu pseudomedizinischen Versuchen mit Elektroschocks begleiten. Die meisten starben daran. Viele seiner Freunde kamen um, Ernst Michel überstand gemeinsam mit Honzo Munk und Felix Schwartz Krankheit, Hunger und schlimmste Lebensverhältnisse. Sie wurden am 18. Januar 1945 von der SS auf den Todesmarsch nach Westen getrieben und gelangten ins KZ Buchenwald, wo sie zur Bergwerksarbeit in Berga selektiert wurden. Am 11. April sollte auch Berga geräumt werden, die Häftlinge wurden nach Osten getrieben, und den drei Freunden gelang am 18. April die Flucht aus der Kolonne. Nach drei Tagen im Wald gelangten sie zu einem Ort, wo sie gegen Arbeit auf verschiedenen Höfen aufgenommen wurden und die Befreiung erlebten.

 

Ernst Michel wollte zurück nach Mannheim. Dort fand er niemanden von seiner Familie wieder, später erfuhr er, dass seine Eltern und die Großmutter zunächst nach Gurs in Frankreich deportiert und 1942 in Auschwitz ermordet worden waren. Seine Schwester Lotte überlebte den Krieg versteckt in Frankreich, sie wohnt heute in Israel. Ernst Michel erhielt eine Stelle bei der U.S. Army und arbeitete schließlich als Korrespondent für die Deutsche Allgemeine Nachrichtenagentur (DANA) beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess. Obwohl er bei DANA hätte weiter arbeiten können, emigrierte er im Juli 1946 in die USA, wo er zunächst als Schriftsetzer bei einer Zeitung, ab 1947 beim United Jewish Appeal (UJA) arbeitete. Hier änderte er seinen Vornamen in „Ernest“. Im Lauf der Jahre stieg er innerhalb dieser Organisation auf, bis er schließlich Chef des in New York ansässigen UJA wurde. 1949 begegnete er bei einem „Jewish Federation single dance“ Suzanne Stein, die er im Sommer 1950 heiratete. Das Paar bekam drei Kinder. Ernest W. Michel lernte in den 1950er Jahren Norbert Wollheim kennen, mit dem ihn eine langjährige Freundschaft verband. Bei der Verteilung des durch Wollheim von den I.G. Farben erstrittenen Geldes an die ehemaligen Häftlinge des KZ Buna/Monowitz durch die Compensation Treuhand arbeitete er mit. 1993 veröffentlichte er seine Erinnerungen unter dem Titel Promises to keep. One man’s Journey against incredible odds. Ernest W. Michel lebt heute in New York.

(SP)

 

 

Ernest W. Michel. lebensgeschichtliches Interview

(Englisch)



Quelle

Ernest W. Michel, Lebensgeschichtliches Interview [Eng.], 5.7.2007. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

 

Literatur

Michel, Ernest W.: Promises to Keep. One Man’s Journey against Incredible Odds. New York: Barricade Books 1993.

[1] Ernest W. Michel: Promises to Keep. One Man’s Journey against Incredible Odds. New York: Barricade Books 1993, S. 293.