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Häftlingsarbeitskommandos

Benjamin Grünfeld: Häftlinge werden bei der Arbeit auf der Baustelle von I.G. Auschwitz geschlagen'© Benjamin Grünfeld
Benjamin Grünfeld: Häftlinge werden bei der Arbeit auf der Baustelle von I.G. Auschwitz geschlagen
© Benjamin Grünfeld

 a  „Otto und ich mußten uns dem Kabelkommando anschließen. Die Arbeit im Kabelkommando war eine der schwersten, die man sich vorstellen kann. Wir waren jeder Witterung ausgesetzt. Ob im Sommer bei sengender Hitze oder im Winter bei klirrendem Frost und tiefem Schnee, täglich mußte über eine bestimmte Länge ein Graben für die Kabel gegraben werden. Je vier bis fünf Häftlinge mußten die Loren mit Erde vollschaufeln und sie bergauf schieben. Dazu gab es fast ununterbrochen Schläge von den SS-Männern und den Kapos, die die Arbeit für die IG-Farben mit Stockhieben beschleunigen wollten. So blieb es nicht aus, daß fast täglich Häftlingen von den Loren Finger oder Zehen, oft sogar Hände und Füße, abgefahren wurden. Die Verstümmelten wurden zwar in den Krankenbau eingeliefert, aber man sah sie nie wieder lebend herauskommen.“

(Wohl, Tibor: Arbeit macht tot. Eine Jugend in Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1990, S. 48.)

SS und Wirtschaftsunternehmen beuteten Häftlinge sowohl innerhalb wie außerhalb des Lagers als unfreie Arbeitskräfte aus. Innerhalb des Lagers setzte die SS Häftlinge bei der Aufrechterhaltung der Lagerorganisation ein. Dem Lagerkapo war ein klein gehaltenes Lagerkommando unterstellt, das u.a. handwerkliche Aufgaben ausführte. Im Krankenbau waren etwa 20–30 Häftlinge als Ärzte und Pfleger tätig. In jedem Block gab es einen Blockältesten, zwei für die Sauberkeit verantwortliche Stubendienste und einen Blockschreiber, der über die Belegstärke des Blocks bei Appellen und für die Verpflegungs- und Todesmeldungen verantwortlich war.

 

Darüber hinaus existierten verschiedene Handwerkerkommandos (Tischler, Glaser, Schuster und Schneider) von jeweils etwa 20–30 Mann. In der Lagerküche arbeiteten rund 40 Häftlinge, verteilt auf die Kartoffelschälküche, die Häftlingsküche und die SS-Küche. Direkt der SS unterstellt waren ferner etwa 4–5 Häftlinge, die als SS-Kalfaktoren arbeiten mussten, sowie weitere Häftlinge in der Politischen Abteilung. Der Schreibstube des Lagers waren etwa zehn Häftlinge zugeteilt, darunter Paul Kozwara, Gustav Herzog und Stefan Lembke. Wie viele Häftlinge seit Sommer 1943 im Lagerorchester von Monowitz beim Ein- und Ausmarsch der Arbeitskommandos musizieren mussten, ist unbekannt.

 

Außerhalb des Lagers mussten zwischen November und Dezember 1942 über 2.000 Häftlinge arbeiten. Im Januar 1943 stieg die Zahl der auf der Baustelle der I.G. Auschwitz eingesetzten Häftlinge auf über 3.000, bis September 1943 auf über 5.000 an, schwankte im Januar bis März 1944 zwischen etwa 4.500 und 4.800, um dann bis August 1944 den Höhepunkt des Häftlingseinsatzes mit annährend 10.000 Arbeitskräften zu erreichen. Die von der SS an die I.G. Farbenindustrie vermieteten Sklavenarbeiter arbeiteten überwiegend direkt für die I.G. Farbenindustrie, wurden aber auch zu Tausenden an Subunternehmen weitervermietet, die Bauaufträge für die I.G. Auschwitz ausführten.

 

Für I.G. Farben war die Ausbeutung der Häftlinge ein profitables Geschäft. Die täglich an die SS zu entrichtende Mietpauschale für die Häftlingsarbeit lag etwa ein Drittel unter dem für freie Arbeitskräfte regional üblichen Lohnniveau in Oberschlesien. Außerdem sparte der Konzern durch die Ausbeutung von KZ-Häftlingen beträchtliche Ausgaben für die Unterbringung, das Trennungsgeld, das Krankengeld, die Sozialfürsorge, für kulturelle Aktivitäten etc., auf die bei freien Arbeitskräften etwa 25 % der Lohnkosten entfielen. Die geringere Produktivität, welche die ausgemergelten KZ-Häftlinge verglichen mit freien Arbeitskräften erbrachten, konnte hierdurch mehr als nur ‚kompensiert‘ werden.

 

Von den Häftlingen gefürchtet waren vor allem die Transport- und Erdkommandos, meist große Arbeitskommandos mit einigen Hundert Häftlingen, in denen diese ständig mit brutalsten Prügelexzessen zu höherem Arbeitstempo angetrieben wurden. Hierunter zählten z.B. die lebensbedrohlichen Zementkommandos (Kommando 1 und 4). Im Kommando 4 mussten mehr als 100 Häftlinge im Laufschritt 50 kg schwere Zementsäcke schleppen. Im Betonkommando (Kommando 8) wurden Häftlinge gezwungen, 15 bis 30 m unter der Erde gelegene Bunker zu errichten, die als Luftschutzunterstände dienten. 1944 arbeiteten in diesem schweren Kommando 35 jüdische Kinder aus Ungarn im Alter von acht bis zwölf Jahren.

 

Zahlreiche Tote forderte das berüchtigte Kabelkommando, mit etwa 200 Häftlingen eines der größten, in dem häufig an einem Tag mehrere Häftlinge durch Unfälle oder Prügel umkamen.  a  Im Kommando 19, das auf dem Holzplatz eingesetzt war, mussten Häftlinge Baumstämme von teilweise 16 m Länge und 30 cm Durchmesser von Loren laden, unter den Kolben- und Knüppelschlägen deutscher Handwerksmeister.

 

Höhere Überlebenschancen bestanden dagegen im Elektrikerkommando, in dem 120–180 Häftlinge am Bau von elektrischen Anlagen arbeiteten. Im Verlauf des Jahres 1943 nahm der Anteil der in Montagekommandos eingesetzten Häftlinge zu. Mit Fortschreiten der Bauarbeiten wandelten sich die Arbeitsschwerpunkte, was zu einem veränderten Anforderungsprofil und zu einem wachsenden Anteil von Häftlingen führte, die als qualifizierte Facharbeiter eingesetzt wurden. Sie übernahmen Arbeiten als Schlosser, Maurer, Zimmermänner, Maler oder Schweißer. Ab 1944 wuchs der Anteil der Produktionskommandos, in denen Häftlinge sogar in Chemielabors hochqualifizierte Arbeiten ausführten, wie Primo Levi in Kommando 98. In den Schreibkommandos erledigten Häftlinge sogar Schriftverkehr und bearbeiteten statistische Aufstellungen. Weiterhin wurden Häftlinge aber bevorzugt zu riskanten und lebensgefährlichen Arbeiten herangezogen, wie im Bombenräumkommando, das 1944 nach den Luftangriffen Blindgänger auf dem Werksgelände barg.

(FS)



Quellen

Jozef Jakubik, Eidesstattliche Erklärung, 23.5.1947, NI-9818. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 74 (d), Bl. 137–146.

Salomon Kohn, Eidesstattliche Erklärung, 29.5.1947, NI-10824. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI. ADB 75 (d), Bl. 110–115.

Josef Löwenstein, Zeugenvernehmung, 4.12.1952. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. I, Bl. 158R–164R.

Erich Orlik, Eidesstattliche Erklärung, 18.6.1947, NI-12385. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 18–24.

Curt Posener, Eidesstattliche Erklärung, 3.6.1947, NI-9808. Nürnberger Dokumente, NI-Serie.

[Posener, Curt]: Zur Geschichte des Lagers Auschwitz-Monowitz (BUNA). Unveröffentlichtes Manuskript, undatiert, 53 Seiten. Archiv des Fritz Bauer Instituts.

Marcel Stourdzé, Zeugenvernehmung, 15.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 213–217R.

Arnest Tauber, Eidesstattliche Erklärung, 3.5.1947, NI-4829. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 74 (d), Bl. 147–149.

Rudolf Vitek, Eidesstattliche Erklärung, 3.3.1947, NI-4830. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 61–69.

Norbert Wollheim, Eidesstattliche Erklärung, 3.6.1947, NI-9807. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 122–130 sowie ADB 79 (d), Bl. 27–35.

 

Literatur

Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961.

Setkiewicz, Piotr: Häftlingsarbeit im KZ Auschwitz-III-Monowitz. Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Arbeit. In: Ulrich Herbert / Karin Orth / Christoph Dieckmann (Hg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur. Göttingen: Wallstein 1998, Bd. II, S. 584–605.

Wagner, Bernd C.: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000.

Wohl, Tibor: Arbeit macht tot. Eine Jugend in Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1990.