Glossar

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Herbert Kalter (*1926)

Makkabi Sportclub Leipzig, ca. 1935/36,
'v.l.n.r.: Herbert Kalter, Joseph („Bubi“) Kalter, Leo Kornblut, unbekannt
'© Herbert Kalter
Makkabi Sportclub Leipzig, ca. 1935/36,
v.l.n.r.: Herbert Kalter, Joseph („Bubi“) Kalter, Leo Kornblut, unbekannt
© Herbert Kalter
Herbert Kalter unmittelbar nach der Befreiung, 
'Ende April 1945
'© Herbert Kalter
Herbert Kalter unmittelbar nach der Befreiung,
Ende April 1945
© Herbert Kalter

I feel the story should be told to tell those who say it never happened that there are people who were there. I want my family to know, and I want to tell about the bestiality of the Germans. How people could be so cruel, it is unbelievable what people can do… Twenty years from now, there won’t be any survivors, it will only be on tape.

(Herbert Kalter, Lebensgeschichtliches Interview [Eng.], 17.5.1995. USC Shoah Foundation Institute, Survivors of the Shoah Visual History Archive, Code 2698.)

We never thought we would survive anyway… but now that we did I am only sorry that my parents can’t see our family.[1]

 

Herbert Kalter wurde am 12. Juli 1926 als jüngster von drei Söhnen des wohlhabenden Leinenhändlers Oscar Kalter und seiner Frau Claire in Leipzig geboren. Die Familie war orthodox: Nach der Schule besuchte Herbert nachmittags den jüdischen Religionsunterricht. Mit seinen Brüdern teilte er die Leidenschaft für Sport, im Verein Makkabi trainierten sie Fußball und Leichtathletik.

 

Die ersten Jahre des Nationalsozialismus empfand die Familie noch als erträglich, aber 1938 brach ihre Welt zusammen: Gemeinsam mit tausenden anderer Juden wurden sie am 28. Oktober als polnische Bürger unter schlimmen Bedingungen nach Polen abgeschoben. Nach zwei Tagen an der Grenze konnten sie einreisen und sollten sich fortan in Polen niederlassen. Sie kannten niemanden und fuhren nach Tarnów. Dort erhielten sie Hilfe von der jüdischen Gemeinde. Die Söhne besuchten die polnische Schule. Bei Kriegsbeginn floh die Familie zunächst, kehrte aber, eingeholt von der Wehrmacht, nach Tarnów zurück. Der älteste Sohn, Manfred, wurde zur Zwangsarbeit verschleppt, sie sahen ihn nie wieder. Im Frühjahr 1942 mussten die Kalters ins Ghetto Tarnów umziehen; sie hatten ein Zimmer für die ganze Familie und mussten Zwangsarbeit leisten: Herbert arbeitete bei der Gestapo. Anfang 1943 kam der mittlere Bruder Joachim ins Arbeitslager, der Vater kam eines Tages ohne die Mutter von der Arbeit zurück: Sie war deportiert worden, Herbert hat sie nie wieder gesehen.

 

Mit den letzten 300 Ghettobewohnern wurden Oscar und Herbert Kalter im Oktober 1943 ins Ghetto Szebnie deportiert, von dort am 6. November 1943 ins KZ Auschwitz-Birkenau gebracht. Herbert erkrankte an Typhus und verbrachte einige Tage im Krankenbau. Nach seiner Entlassung war sein Vater verschwunden: Er hatte nicht mehr erwartet, Herbert noch einmal zu sehen, und aufgegeben. Es war Januar 1944, Herbert war allein. Nach 3–4 Wochen in Birkenau wurde Herbert Kalter ins KZ Buna/Monowitz gebracht, er wurde Metallarbeiter und nach einiger Zeit Stiefelputzer bei Hauptscharführer Rakers. Ihn bat er um Hilfe auf der Suche nach seinem mittleren Bruder, der in Gleiwitz im Lager war: Rakers ließ ihn nach Buna/Monowitz versetzen, Herbert päppelte ihn wieder auf. Der Todesmarsch führte die Brüder über Gleiwitz, Prag und Buchenwald nach Langenstein-Zwieberge, wo sie Zwangsarbeit in den Minen leisten mussten.

 

Bei der Evakuierung dieses Lagers versteckte Herbert sich und Joachim unter Leichen, am nächsten morgen sahen sie ein amerikanisches Motorrad: Sie waren frei. Sie schlossen sich französischen Kriegsgefangenen an und fanden in Lyon zwei Onkel wieder. Nach sechs Monaten entschieden sie sich, in die USA auszuwandern: „We didn’t want to go back to Poland, we couldn’t go to Germany, we had nobody.[2] Nach weiteren sechs Monaten erhielten sie die Einreiseerlaubnis und am 4. Juli 1946 gingen sie in Baltimore an Land. Sie ließen sich in New York nieder und fanden Anstellung im Pelzhandel. Herbert Kalter lernte 1951 seine Frau Diane kennen, das Paar heiratete 1952 und hat heute drei Kinder und acht Enkelkinder.

(SP)



Quellen

Herbert Kalter, Lebensgeschichtliches Interview [Eng.], 17.5.1995. USC Shoah Foundation Institute, Survivors of the Shoah Visual History Archive, Code 2698.

Persönliches Gespräch mit Herbert Kalter, Juni 2007.

[1] Herbert Kalter, Lebensgeschichtliches Interview [Eng.], 17.5.1995. USC Shoah Foundation Institute, Survivors of the Shoah Visual History Archive, Code 2698.

[2] Herbert Kalter, Lebensgeschichtliches Interview [Eng.], 17.5.1995. USC Shoah Foundation Institute, Survivors of the Shoah Visual History Archive, Code 2698.