Glossar

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Herman Shine (Mendel Scheingesicht) (*1922)

Mendel Scheingesicht (später Herman Shine) 
'und Max Drimmer, 1946
'© Herman Shine
Mendel Scheingesicht (später Herman Shine)
und Max Drimmer, 1946
© Herman Shine
Herman und Marianne Shine, Max und Hertha Drimmer, Überfahrt nach Amerika, 1947
'© Herman Shine
Herman und Marianne Shine, Max und Hertha Drimmer, Überfahrt nach Amerika, 1947
© Herman Shine

Mendel Scheingesicht wurde am 4. Oktober 1922 als Sohn von Gerson und Therese Scheingesicht in Berlin geboren. Der Vater war vor dem Ersten Weltkrieg aus Polen gekommen und hatte nach dem Krieg in der Zigarettenfabrik Garbatty ein Arbeitsprogramm für blinde Kriegsveteranen entwickelt. Hierfür erhielt er eine Medaille von Kaiser Wilhelm II. Zur Familie gehörten insgesamt sechs Kinder, Mendel hatte drei Schwestern – Rosa, Erna und Hanni – und zwei Brüder – Bernhard und Willi. Sie lebten äußerst einfach. Als Mendel 1932 dank seiner schönen Singstimme die Gelegenheit erhielt, gemeinsam mit Hans Albers in einer Inszenierung von Peer Gynt an der Volksbühne mitzuwirken, wurde er dank seines Gehalts kurzfristig zum Geldverdiener der Familie. Als polnischer Staatsbürger sollte Mendel Scheingesicht 1939 nach Polen abgeschoben werden. Es gelang ihm, nach Berlin zurückzukommen, wo ihm die Gestapo jedoch zur Auflage machte, binnen eines Monats das Land zu verlassen. Nach Ablauf der Frist wurde er am 13. September 1939 gemeinsam mit 1.700 weiteren polnischen Juden ins KZ Sachsenhausen gebracht.

 

Dort meldete sich Mendel Scheingesicht als Dachdecker. Sein Chef stiftete ihn zum Diebstahl aus der Lagerküche an, Mendel wurde erwischt und zur Strafkompanie versetzt. Nur dank der Hilfe von Freunden überlebte er. Im Oktober 1942 wurde er nach Auschwitz deportiert und zur Zwangsarbeit im KZ Buna/Monowitz bestimmt. Auch hier gelang es ihm, rasch ins Dachdecker-Kommando zu gelangen. Bei der Arbeit im Nebenlager Gleiwitz lernte er Marianne Schlesinger kennen, ein jüdisches Mädchen, das dort Zwangsarbeit verrichten musste. Einige Zeit später wurde er ins KZ Buna/Monowitz zurückversetzt und erfuhr von seinem Freund Max Drimmer, dass es die Möglichkeit zur Flucht gab: Max hatte auf der Baustelle einen polnischen Zivilarbeiter, Józef Wróna, kennengelernt, der ihm angeboten hatte, ihm bei der Flucht zu helfen. Gemeinsam entkamen die beiden am 20. September 1944 nachts von der Baustelle und versteckten sich vier Monate lang in der Scheune der Wrónas. Als die SS den beiden auf der Spur war, flohen sie weiter über Gleiwitz, wo ihnen die Familie Schlesinger eine Unterkunft für die letzten Kriegstage besorgte.

 

Nach der Befreiung durch die Rote Armee kehrte Mendel Scheingesicht mit den Schlesingers und Max Drimmer nach Berlin zurück, wo Marianne und er am 17. Februar 1946, gleichzeitig mit Max Drimmer und Herta Zowe, heirateten. Beide Paare wollten in die USA emigrieren; die Ausreise verzögerte sich jedoch durch Max Drimmers Tuberkuloseerkrankung bis März 1947. In den USA änderte Mendel Scheingesicht seinen Namen in Herman Shine und arbeitete die ersten Jahre beim Eisenbahnbau in San Francisco. Bei einem Besuch in Israel 1961 war er als Zeuge im Eichmann-Prozess vorgesehen, aber es waren zu viele Zeugen geladen, und er kam nicht dazu, auszusagen. Heute leben Marianne und Herman Shine in Kalifornien. Seine große Familie wurde in alle Winde zerstreut und zum Teil ermordet: die älteste Schwester, Rosa, emigrierte nach Shanghai; die zweite, Erna, gelangte nach England. Hanni, die dritte Schwester, wurde von den Nationalsozialisten ermordet. Seine Brüder Bernhard und Willi emigrierten ebenfalls, der erste nach Israel, der zweite nach Polen. Vom Schicksal seiner Eltern weiß Herman Shine nichts.

(SP)

 

 

Herman Shine, lebensgeschichtliches Interview

(Englisch)



Quellen

Herman Shine, Lebensgeschichtliches Interview [Eng.], 22.9.1997. USC Shoah Foundation Institute, Survivors of the Shoah Visual History Archive, Code 33485.

Herman Shine, Lebensgeschichtliches Interview [Eng.], 3.7.2007. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

 

Literatur

Helas, Horst: Juden in Berlin-Mitte: Biographien – Orte – Begegnungen. Berlin: Trafo 2001.

 

Fernsehfilm

Escape from Auschwitz. A portrait of a friendship (USA 2001, R: Josh Springer)