Glossar

Fahren Sie mit der Maus über ein rotes Wort im Haupttext, um den Glossareintrag für dieses Wort zu sehen.

Hermann Langbein (1912–1995)

Hermann Langbein, 1912 in Wien geboren, arbeitete nach seiner Matura bis 1933 als Schauspieler am Deutschen Volkstheater. 1933 trat er der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) bei, die ein Jahr später verboten wurde. Nach dem „Anschluss“ Österreichs floh er 1938 nach Frankreich und schloss sich noch im April diesen Jahres den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg an. Nach der Niederlage der Republik flüchtete er mit zahlreichen anderen Interbrigadisten nach Südfrankreich, wo er ab Februar 1939 in verschiedenen Lagern interniert war, bis er im April 1941 mit anderen österreichischen Häftlingen den deutschen Behörden ausgeliefert wurde. Die „Heimkehrer“ wurden ins KZ Dachau eingeliefert, wo Langbein die meiste Zeit als Revierschreiber arbeitete. Im Sommer 1942 wurde er nach Auschwitz „überstellt“, arbeitete zunächst in der Schreibstube des Stammlagers Auschwitz und dann als Schreiber des SS-Standortarztes Dr. Eduard Wirths. Dank seiner Vertrauensstellung gelang es ihm, Wirths dazu zu bewegen, die Ermordung kranker Häftlinge mit Phenolspritzen einzustellen und die ärztliche Behandlung im Häftlingskrankenbau zu verbessern. 1943 gründete er mit anderen die „Kampfgruppe Auschwitz“, eine international zusammengesetzte Widerstandsorganisation. Im August 1944 wurde er in ein Nebenlager von Neuengamme verlegt, später in weitere Lager, bis er im April 1945 aus einem Evakuierungstransport fliehen konnte. In Hannover verfasste er einen ersten Bericht über Auschwitz, den er den Briten übergab.

 

Zurück in Wien, betätigte sich Hermann Langbein als hauptamtlicher Funktionär der KPÖ beim Aufbau der Parteischulen und wurde ins ZK der Partei gewählt. 1947 begann er, als Reaktion darauf, dass sich niemand für die Erfahrungen der KZ-Überlebenden zu interessieren schien, mit der Niederschrift seines Buches Die Stärkeren. Ein Bericht aus Auschwitz und anderen Konzentrationslagern, das 1949 im parteieigenen Verlag erschien. Ab 1951 geriet Langbein zunehmend in Konflikt mit der Leitung der KPÖ, wurde nicht ins ZK wiedergewählt und 1953 zusammen mit seiner Frau Loisi und seiner kleinen Tochter nach Budapest „strafversetzt“, wo er für deutschsprachige Sendungen des ungarischen Rundfunks arbeitete. Nach seiner Rückkehr 1954 gründete er mit ehemaligen Mithäftlingen das Internationale Auschwitz-Komitee (IAK), dessen Generalsekretär er wurde. 1955 wurde er zusätzlich Sekretär des Österreichischen „KZ-Verbandes“. In den folgenden Jahren war er für zahlreiche Aktivitäten des IAK verantwortlich, das sich als Sprachrohr der Auschwitz-Überlebenden und -Opfer verstand. Er stritt für Entschädigungszahlungen durch Industrieunternehmen – u.a. die I.G. Farben –, die von der Zwangsarbeit der Auschwitz-Häftlinge profitiert hatten, er engagierte sich z.T. erfolgreich für die juristische Verfolgung von SS-Angehörigen in Westdeutschland und Österreich, er bemühte sich darum, die Verbrechen der Nationalsozialisten, insbesondere in Auschwitz, an die Öffentlichkeit zu tragen.

 

Langbeins Distanz zur KPÖ wurde nach der Niederschlagung des Aufstands in Ungarn 1956 unüberbrückbar. Nach seinem öffentlichen Protest gegen die Hinrichtung von Imre Nagy, dem ehemaligen ungarischen Ministerpräsidenten, wurde er 1958 aus der Partei ausgeschlossen. Dem Parteiausschluss folgten ab 1959/60 immer heftigere Angriffe gegen Langbein innerhalb des Auschwitz-Komitees. Als „Parteifeind“ erschien er den meisten Mitgliedsverbänden aus dem Ostblock nicht mehr tragbar. 1960 verlor er zunächst seine Funktion als Generalsekretär, 1961 wurde er aus der Leitung ausgeschlossen. Die Vorbereitungen für den Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main – vor allem die Suche nach Beweismaterial und nach ehemaligen Häftlingen, die als Zeugen in Frage kamen – führte Hermann Langbein zunächst als Sekretär der österreichischen Lagergemeinschaft Auschwitz fort, bis er auch diese Funktion verlor. Bis zur Gründung des „Comité International des Camps“ im Jahr 1963, dessen Sekretär er wurde, agierte er als Privatperson.

 

1962 gab Hermann Langbein gemeinsam mit H.G. Adler und Ella Lingens den Sammelband Auschwitz. Zeugnisse und Berichte heraus, im folgenden Jahr erschien sein Buch Im Namen des deutschen Volkes. Zwischenbilanz der Prozesse wegen Nationalsozialistischer Verbrechen. Den 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess beobachtete und protokollierte er fast durchgängig; im Jahr 1965 erschien seine 2-bändige Dokumentation Der Auschwitz-Prozeß. 1967 wurde er von Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. In den folgenden Jahrzehnten war Langbein vor allem als Schriftsteller und Publizist tätig und engagierte sich in der Bildungsarbeit an Universitäten und Schulen. Zu seinen bedeutendsten Publikationen gehört Menschen in Auschwitz, erschienen 1972. In Österreich war er an der Entstehung des ersten Zeitzeugenprogramms für Schulen beteiligt, sprach aber fast bis an seine Lebensende auch an zahlreichen Schulen und Bildungseinrichtungen in der BRD. Er blieb aktiv beteiligt an den Debatten über die Gestaltung des Museum Auschwitz-Birkenau und wurde in den Internationalen Museumsrat berufen, wo er Vorschläge zur Neukonzeption des Museums vorlegte. 1995 starb Hermann Langbein, 83-jährig, in Wien.

(KS)



Literatur

Fritz Bauer Institut (Hg.): Das 51. Jahr... Zum Gedenken an Hermann Langbein. Materialien des Fritz Bauer Instituts 15. Frankfurt am Main: Fritz Bauer Institut 1996.

Kogon, Eugen / Langbein, Hermann / Rückerl, Adalbert u.a. (Hg.): Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas. Eine Dokumentation. Frankfurt am Main: Fischer 1983.

Langbein, Hermann: Die Stärkeren. Ein Bericht aus Auschwitz und anderen Konzentrationslagern. Wien: Stern 1949.

Langbein, Hermann / Adler, H.G. / Lingens-Reiner, Ella (Hg.): Auschwitz. Zeugnisse und Berichte. Frankfurt am Main: EVA 1962.

Langbein, Hermann: Im Namen des deutschen Volkes. Zwischenbilanz der Prozesse wegen nationalsozialistischer Verbrechen. Wien u.a.: Europa 1963.

Langbein, Hermann: Der Auschwitz-Prozeß. Eine Dokumentation. 2 Bde. Frankfurt am Main: EVA 1965.

Langbein, Hermann: Menschen in Auschwitz. Wien: Europa 1972.

Langbein, Hermann: ... nicht wie Schafe zur Schlachtbank. Widerstand in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern 1938–1945. Frankfurt am Main: Fischer 1980.

Pelinka, Anton / Weinzierl, Erika (Hg.): Hermann Langbein – Zum 80. Geburtstag. Festschrift. Wien: Braumüller 1993. [darin v.a.: Anton Pelinka: Ein Gespräch mit Hermann Langbein, S. 45–113.]

Robusch, Kerstin: „Die Antwort darauf ist Menschlichkeit“. Hermann Langbein – eine biographische Skizze. In: Andrea Löw / Kerstin Robusch / Stefanie Walter (Hg.): Deutsche – Juden – Polen. Geschichte einer wechselvollen Beziehung im 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Campus 2004, S. 181–197.