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Jerzy Kowalewski (*1924)

Jerzy Kowalewski, Videostill aus dem Interview für das Wollheim Memorial, 2008 
'© Fritz Bauer Institut
Jerzy Kowalewski, Videostill aus dem Interview für das Wollheim Memorial, 2008
© Fritz Bauer Institut

„Ich finde, dass die menschliche Moral am wichtigsten ist – der Mensch sollte doch wissen, welche Moral er verkörpert, oder?“[1]

 

Jerzy Kowalewski wurde 1924 in Warszawa geboren. Sein Vater war Direktor einer Papierfabrik und einer Druckerei, seine Mutter arbeitete als Abteilungsleiterin in der Tabakindustrie. Beide Eltern hatten im Ersten Weltkrieg in der Heimatarmee (Armia Krajowa)für die Unabhängigkeit Polens gekämpft, ihr Patriotismus und überzeugter Katholizismus beeinflusste auch ihren Sohn maßgeblich. Jerzy Kowalewski besuchte zunächst die Schule in Warszawa und absolvierte dann im Sommer 1939 das Abitur im Internat „La Châtaigneraie“ bei Genf. Er kehrte im August 1939, kurz vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen, nach Warszawa zurück und meldete sich, weil seine beiden Eltern an der Front waren, selbst zur Armee. Nach der Niederlage leistete er im Untergrund Widerstand, bis er am 22. April 1941 von der Gestapo verhaftet wurde.

 

Nach zahllosen Verhören und Folterungen wurde er am 18. April 1942 deportiert und kam zwei Tage später im Stammlager Auschwitz I an. Dort musste Jerzy Kowalewski im Buna-Außenkommando beim Aufbau der I.G. Farben-Fabrik Schwerstarbeit im Straßenbau leisten. Bei dieser Arbeit versuchte er im Auftrag des lagerinternen polnischen Widerstands, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen. Ende Mai 1942 wurde Jerzy Kowalewski im Rahmen medizinischer Menschenversuche von einem SS-Arzt mit Typhus infiziert und entging nur dank der Unterstützung von Freunden und Pflegern der Vergasung. Kurze Zeit musste er noch beim Aufbau des Lagers Birkenau arbeiten, bis er ins KZ Groß-Rosen transportiert wurde. Dort musste Jerzy Kowalewski zunächst im Steinbruch und als Elektriker, später als Kalfaktor der SS, arbeiten. Wegen illegalen Radiohörens denunziert, wurde Jerzy Kowalewski ins KZ Dachau verlegt, wo ihn die U.S. Army schließlich am 29. April 1945 befreite.

 

Nach der Befreiung und der Genesung von den Folgen der Menschenversuche meldete sich Jerzy Kowalewski wiederum bei der polnischen Armee, der er formal die gesamte Kriegsdauer angehört hatte, und wurde über Langwasser nach Italien versetzt, wo er in der Sportkompanie diente und eines Tages zufällig seinem Vater in Rom begegnete. In Rom studierte er Maschinen- und Industriewirtschaft und folgte seiner Einheit nach England, wo er schließlich 1947 demobilisiert wurde. Er wollte nicht in Europa bleiben und emigrierte nach Argentinien. Um seiner Mutter nahe sein zu können, kehrte Jerzy Kowalewski jedoch Anfang der 1950er Jahre trotz großer Schwierigkeiten nach Polen zurück, wo er fortan, als nicht-Parteimitglied und „Mensch zweiter Klasse“, große Mühe hatte, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Er arbeitete zunächst für die argentinische Botschaft, dann auf dem Bau und schließlich für die staatliche Reiseagentur. 1972 heiratete er, 1973 kam der Sohn Adam zur Welt. In Folge der von der SS an Jerzy Kowalewski verübten Menschenversuche litt Adam seit seiner Geburt an Kinderlähmung. Jerzy Kowalewski engagierte sich fortan und bis heute für Kinder, die in Folge der KZ-Haft ihrer Eltern mit Behinderung zur Welt kamen.

Jerzy Kowalewski lebt heute in Warszawa.

(KT/SP)

 

 

Jerzy Kowalewski, lebensgeschichtliches Interview

(Polnisch, mdU)



Quelle

Jerzy Kowalewski, Lebensgeschichtliches Interview [Poln.], 15.3.2008. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

[1] Jerzy Kowalewski, Lebensgeschichtliches Interview [Poln.], 15.3.2008. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.