Glossar

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Julius Paltiel (1924–2008)

Familie Paltiel beim Croquet-Spiel, 30er Jahre; 
'v.l.n.r.: Bruder Idar, Großmutter, Oskar, Chaim und Itamar Mendelssohn, Bernhard Guttmann; vorne rechts Julius Paltiel
'© Julius Paltiel
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Familie Paltiel beim Croquet-Spiel, 30er Jahre;
v.l.n.r.: Bruder Idar, Großmutter, Oskar, Chaim und Itamar Mendelssohn, Bernhard Guttmann; vorne rechts Julius Paltiel
© Julius Paltiel

 a  „Døden er min følgesvenn. Medfanger dør rundt meg. Av og til, når depresjonen velter inn over meg, tenker jeg på døden som en lettelse. Men jeg har bestemt meg. Jeg vil overleve. Jeg vil vitne.“

(Vera Komissar: På Tross av Alt. Julius Paltiel – norsk Jøde i Auschwitz [1995]. Trondheim: Communicatio 2004, S. 75.)

(„Der Tod ist mein ständiger Gefährte. Manchmal, wenn mich die Depression überwältigt, denke ich an den Tod als eine Erlösung. Aber ich habe mich entschieden. Ich will überleben. Ich will Zeugnis ablegen.“ (Übers. SP))

 

 b  „Da jeg gikk inn på nytt gjennom porten med innskriften Arbeit macht frei, ség kulden igjen over meg. Det samme skjedde de to gangene jeg har besøkt Buchenwald etter krigen. Begge steder så jeg for meg gråheten, hørte fangenes klager, så endeløse rekker av nedbrutte mennesker, hørte schaeferhundenes bjeffing og SS-soldatene som skrek mot fangene.“

(Vera Komissar: På Tross av Alt. Julius Paltiel – norsk Jøde i Auschwitz [1995]. Trondheim: Communicatio 2004, S. 142.)

(„Als ich erneut durch das Tor mit der Inschrift Arbeit macht frei ging, ergriff die Kälte wieder Besitz von mir. Dasselbe passierte die beiden Male, die ich Buchenwald nach dem Krieg besucht habe. An beiden Orten sah ich vor meinem inneren Auge die Düsternis, hörte die Klagen der Gefangenen, sah endlose Reihen gebrochener Menschen, hörte das Gebell der Schäferhunde und die SS-Wachen, die die Gefangenen anbrüllten.“ (Übers. SP))

„Es ist immer kalt, sommers wie winters. Ich friere die ganze Zeit. […] Ich arbeite im Freien. Es ist Sommer geworden. Ich spüre weder Sonne noch Wärme, selbst wenn die Sonne von einem wolkenlosen Himmel brennt.“[1]

 

Julius Paltiel wurde als zweiter Sohn des Geschäftsmannes Salomon Paltiel und seiner Frau Kaja 1924 im norwegischen Trondheim geboren und verlebte eine glückliche Kindheit, geprägt von Skitouren und Wanderungen in der Umgebung. Nach dem Tod seines Vaters 1935 ging sein älterer Bruder Idar Paltiel aufs Handelsgymnasium. Julius sollte das Schneiderhandwerk lernen, damit die Brüder eine gemeinsame Fabrik betreiben könnten. Mit dem Einmarsch der Wehrmacht im April 1940 konnte Julius die Schule nicht mehr besuchen, als 18-jähriger wurde er schließlich am 6. Oktober 1942 verhaftet und mit 80 weiteren jüdischen Männern in das Gefangenenlager Falstad gebracht.

 

In diesem Lager wurden die norwegischen Juden besonders misshandelt, sie mussten Zwangsarbeit im Steinbruch leisten, mehrere starben. Ende Oktober wurden die überlebenden Häftlinge gemeinsam mit den jüdischen Frauen und Kindern Trondheims mit dem Zug nach Oslo transportiert, Julius traf seine Mutter wieder. Julius Paltiel litt an Rheuma und Gicht, wurde aber am 24. Februar 1943 mit dem Schiff Gotenland über Stettin und dann weiter über Berlin nach Auschwitz transportiert. Bei der Ankunft wurde seine Mutter auf einen Lastwagen getrieben, er sah sie nie wieder: Nur 27 männliche norwegische Juden seines Transports überlebten diese erste Selektion und kamen ins KZ Buna/Monowitz. Zunächst musste Julius im „Zementkommando“ Zementsäcke schleppen, sein Rheuma wurde schlimmer, im Krankenbau machte der SS-Arzt Mengele medizinische Versuche mit ihm.  a  Ein Mithäftling, Arthur Posnanski, strich ihn mehrmals von der Liste derer, die fürs Gas bestimmt waren und rettete ihm damit das Leben. Julius Paltiel wurde als gesund aus dem Krankenbau entlassen und meldete sich als Elektriker. Bis zum 18. Januar 1945 führte er im Elektrolager die Bestandskartei. Beim Todesmarsch kam er schließlich ins KZ Buchenwald, wo er im April von der U.S. Army befreit wurde. Gemeinsam mit den anderen fünf überlebenden norwegischen Juden gelangte er über Dänemark zurück nach Norwegen; er stand vor dem Nichts. Langsam baute er das Geschäft seines Vaters wieder auf. Idar Paltiel war wegen einer Fußverletzung vergast worden; Julius hatte ihn in Buna/Monowitz nicht mehr angetroffen.

 

Julius Paltiel heiratete und bekam zwei Kinder. Nach 25 Jahren reiste Julius das erste Mal wieder nach Auschwitz.  b  Er führte seitdem zahlreiche Gespräche mit Schulklassen in ganz Norwegen, um „vor dem Hass zu warnen“. Gemeinsam mit Vera Komissar veröffentlichte er 1995 seine Lebenserinnerungen unter dem Titel På tross av alt („Trotz allem“). Julius Paltiel starb am 7. März 2008 in Trondheim.

(SP)

 

 

Julius Paltiel, lebensgeschichtliches Interview

(Norwegisch, mdU)

 

Fototafel von Julius und Idar Paltiel



Quelle

Julius Paltiel, Lebensgeschichtliches Interview [Norw.], 7./8.6.2007. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

 

Literatur

Komissar, Vera: På Tross av Alt. Julius Paltiel – norsk Jøde i Auschwitz [1995]. Trondheim: Communicatio 2004.

[1] Vera Komissar: På Tross av Alt. Julius Paltiel – norsk Jøde i Auschwitz [1995]. Trondheim: Communicatio 2004, S. 74–75. (Übers. SP)