Glossar

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Meister und Vorarbeiter der I.G. Farben im Kontakt mit den KZ-Häftlingen

 a  Heinz Frank (Leiter der Werkberufsschule der IGA): „Mir ist nicht bekannt, daß ein Angehöriger der IG Schwierigkeiten bekam, weil er mit Häftlingen gesprochen hatte.“

(Heinz Frank, Zeugenvernehmung, 29.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 252R–256, hier Bl. 253R.)

 

 b  Aussage Wilhelm Baymanns, Ingenieur für einen in Gleiwitz ansässigen Ingenieur Dr. Walter, der nach eigenen Aussagen zwischen 1942 und 1945 40–50mal für je einen Tag auf die Baustelle kam: „Gut haben die Häftlinge nicht ausgesehen. Am besten haben die Kapos ausgesehen. Ich kann aber nicht sagen daß die Häftlinge schlecht ausgesehen hätten. Gegen Ende des Krieges und in der Nachkriegszeit sahen auch in Deutschland die Arbeiter schlecht aus.“

(Wilhelm Baymanns, Zeugenvernehmung, 20.11.1952. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. I, Bl. 133–134, hier Bl. 133R.)

 

 c  Heinz Frank: „Es ist unmöglich, dass es in Auschwitz nach verbranntem Fleisch gerochen hätte und dass man das Feuer aus die Kamine [sic] des Krematoriums sehen konnte.“

(Heinz Frank, Zeugenvernehmung, 29.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 252R–256, hier Bl. 252R.)

 

 d  „Dass es im Laufe der Arbeiten in Auschwitz gelungen ist, den Häftlingen diese und jene Vergünstigung zu verschaffen, so hat das die Werksleitung jedesmal monatelange Verhandlungen mit der SS gekostet.“

(Max Faust, Zeugenvernehmung, 4.12.1952. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. I, Bl. 164R–172R, hier Bl. 165.)

 

 e  Aussage Kurt Eisfeld: „Dr. Dürrfeld hat nicht nur einmal, sondern zu wiederholten Malen angeordnet, dass eine menschenwürdige Behandlung der Häftlinge auf der Baustelle herrsche. Dass es wiederholt geschehen ist lag daran, dass trotz des Verbotes der eine oder andere Deutsche, auch IG-Angehörige, sich zu Angriffen auf die Häftlinge hatten hinreissen lassen […] Wir haben ein oder zwei Meister aus ihren Posten entfernt und entlassen, weil sie sich an Häftlingen vergriffen hatten. Bei einer Belegschaft von 25 000 Mann kann es wohl hin und wieder vorkommen, dass der eine oder andere ausbricht.“

(Kurt Eisfeld, Zeugenvernehmung, 29.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 248R–252R, hier Bl. 251R. )

 

 f  „Für die Zivilisten sind wir in der Tat Unberührbare. Sie glauben – mehr oder weniger unverhüllt und mit allen Nuancen von Verachtung und Mitleid –, daß wir uns, um zu diesem Leben verurteilt worden zu sein, um auf diesen Zustand herabgesunken zu sein, mit wer weiß was für einer mysteriösen, ungeheuer schweren Schuld beladen haben. Sie hören uns in den verschiedensten Sprachen sprechen, die sie nicht verstehn und die in ihren Ohren grotesk, wie tierische Laute klingen; sie sehen uns auf das niedrigste versklavt, ohne Haar, ohne Ehre, ohne Namen, täglich geschlagen, täglich verworfner; niemals finden sie in unseren Augen auch nur eine Andeutung von Aufbegehren oder Friede oder Glaube. Sie kennen uns als diebisch, unzuverlässig, verdreckt, zerlumpt, ausgehungert und meinen, die Wirkung mit der Ursache verwechselnd, daß wir dieses Verworfensein verdient haben. Wer könnte unsere Gesichter unterscheiden? Wir sind für sie Kazet, Neutrum und Einzahl.“

(Primo Levi: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961, S. 127.)

 

 g  Norbert Wollheim gab in Nürnberg zu Protokoll: „If a Farben supervisor was not satisfied with the tempo of the work, he reported that to the SS command and that meant severe punishment for the individual inmate or for the detail.“

(Norbert Wollheim, Zeugenvernehmung, 13.11.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot. (e), reel 005, Bd. 11, Bl. 3700–3718, hier Bl. 3707.)

 

 h  Aussage Benedikt Kautsky: „Ich weiss auch, dass aus einem Lager bei einem Bergwerk plötzlich bei uns im Lager Arbeiter eingewiesen wurden, die die Häftlinge dort misshandelt hatten. Dieser Zivilarbeiter bei dem Kabelkommando war ein IG-Arbeiter. Seinen Namen habe ich vergessen. Er war aus Leuna gekommen und unterstand einem Obermeister Faust, der der Meister für das Kabelkommando war. Der Chef des Kabelkommandos war ein Ingenieur Diesel. Der Obermeister Faust selbst war ebenfalls ein Schläger. Das habe ich von zuverlässigen Häftlingen gehört. Faust hat auch mehrfach Zusammenstösse mit der SS gehabt und ist im Sommer 1944 sehr streng verwarnt worden. Erst danach hat er das Schlagen eingestellt.“

(Benedikt Kautsky, Zeugenvernehmung, 29.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 257–264, hier S. 260.)

 

 i  Aussage Benedikt Kautsky: „Es ist häufig von den Zivilisten geäußert worden: ‚Wenn ihr nicht schneller arbeitet, kommt ihr ins Gas‘ oder ‚dann werdet ihr gemeldet‘.“

(Benedikt Kautsky, Zeugenvernehmung, 29.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 257–264, hier Bl. 264.)

„Ich habe des öfteren mit Dr. Faust und Dr. Dürrfeld darüber gesprochen und wir haben uns Gedanken gemacht darüber, woher der schnelle Verfall dieser Menschen herrührte. Wir kamen zu dem Schluss, dass das eine rein psychologische Angelegenheit sei. Wenn ein an körperliche Arbeit nicht gewöhnter Mensch verhaftet, in ein solches KZ eingeliefert wird, so mag bei vielen die seelische Belastung so ausschlagegebend gewesen sein, dass er sogar von einer leichten Erkrankung dahingerafft werden konnte.“[1]

 

Die leitenden Manager, Ingenieure, kaufmännischen Angestellten und Arbeiter der I.G. und der von der I.G. Auschwitz beauftragten in- und ausländischen Baufirmen hatten oft täglichen Kontakt zu den zur Arbeit gezwungenen Häftlingen des KZ Buna/Monowitz. Häufig waren sie den Häftlingen unmittelbar vorgesetzt und hatten die Arbeiten zu beaufsichtigen. Auch wenn ihnen der Kontakt zu KZ-Häftlingen offiziell untersagt war, musste eine Kontaktaufnahme keine Bestrafungen der Deutschen nach sich ziehen.  a 

 

Die Aussagen von I.G.-Angestellten zur Situation der Häftlinge seitens früherer I.G.-Angestellter in den zwei hierfür bedeutsamen Nachkriegsprozessen (Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben, Wollheim-Prozess) stehen häufig in eklatantem Gegensatz zu den Aussagen der überlebenden Häftlinge. Die I.G.-Mitarbeiter gaben zunächst oft vor, über die Lebens- und Todesbedingungen der Häftlinge nicht informiert gewesen zu sein, weder den außergewöhnlich schlechten körperlichen Zustand der Häftlinge bemerkt  b , noch von Selektionen und Vergasungen gewusst zu haben.  c  Auch von den erschwerten Arbeitsbedingungen hätten sie wenig oder nichts mitbekommen, dass Häftlinge geschlagen worden seien und ohne Schutzkleidung arbeiten mussten, sei kaum vorgekommen, und wenn, dann sei es nicht der I.G. anzulasten gewesen. Ganz im Gegenteil: Vor allem Führungskräfte erklärten, die I.G. habe unter großen Mühen vieles unternommen, um das „bedauernswerte“ „Los eines Häftlings“[2] zu lindern.  d  Mehrere Zeugen der I.G. betonten die Menschlichkeit, zu der Betriebsführer Walther Dürrfeld die Angestellten im Umgang mit den Häftlingen mehrfach angehalten habe.  e  Die Werksleitung forderte tatsächlich im August 1941 die SS auf, die „außerordentlich unangenehmen Szenen, die sich hierbei [beim Schlagen der Häftlinge] auf der Baustelle abspielen“[3] und demoralisierend auf die freien Arbeiter auswirkten, in das KZ Lager zu verlegen: Nicht etwa aus Menschlichkeit sollte bei I.G. Auschwitz nicht mehr geschlagen werden, sondern weil den freien Arbeitern der Anblick der Folgen des „rücksichtslosen Häftlingseinsatzes“[4] erspart bleiben sollte. Geringe  Handlungsspielräume der deutschen Arbeitskräfte, gegen die brutalen Misshandlungen der Häftlinge mit Arbeitsniederlegungen zu protestieren, wurden von den meisten deutschen Betriebsangehörigen der I.G. Auschwitz nicht genutzt: sie gingen kein persönliches Risiko ein und begegneten den Häftlingen mit Gleichgültigkeit oder Verachtung  f , manche beteiligten sich sogar selbst an tätlichen Misshandlungen.

 

Dieser Eindruck änderte sich nur geringfügig, als die Bauarbeiten voranschritten, und ab Mitte 1943 Facharbeiterkommandos auch aus Häftlingen zusammengestellt wurden. Nun verstärkte sich der Kontakt zwischen Zivilisten und Häftlingen. Neue Regelungen zur Abschottung der Zivilisten von den Gefangenen wurden erlassen. So verfügte der für die Spionagebekämpfung zuständige Abwehrbeauftragte der I.G. Auschwitz, dass „die in den Büros eingesetzten Häftlinge und Kriegsgefangene so isoliert gesetzt werden, daß eine Benutzung des Telefons und sowie das Mithören von Telefongesprächen und sonstigen wichtigen dienstlichen Unterredungen ausgeschlossen ist“[5].

 

Ehemalige Häftlinge berichten von vereinzelten kleinen Hilfeleistungen „guter“ Zivilarbeiter, die Lebensmittel verschenkten. Gleichzeitig beschreiben sie Schläge, die ihnen mitnichten nur von SS-Leuten oder Häftlingsfunktionären zugefügt worden seien – Norbert Wollheim erwähnt Misshandlungen durch I.G. Angestellte.  g   h  Benedikt Kautsky hörte von Zivilarbeitern, die Häftlingen mit der Gaskammer gedroht hätten.  i  Britische Kriegsgefangene, die ebenfalls auf der Baustelle arbeiten mussten, berichten von Misshandlungen der Häftlinge direkt durch I.G.-Angestellte. Auch wenn das erstinstanzliche Urteil im Fall Wollheim gegen I.G. Farben der Beklagten zugute hielt, dass „die I.G. eine menschenunwürdige Behandlung der Arbeiter nicht beabsichtigt oder vorsätzlich gefördert hat“[6], vermochten die Zeugen der Verteidigung das Gericht nicht zu überzeugen, die I.G. Farben habe auf ihrer Baustelle in Auschwitz die nötigen Vorkehrungen zum Schutz der beschäftigten Häftlinge unternommen. Vielmehr haben die Angestellten, vom Arbeiter bis zur Führungskraft, die Situation der Häftlinge indirekt verschlechtert, in dem sie entweder Funktionshäftlinge als verlängerten Arm nutzten oder über Meldungen der Häftlinge an die SS bei kleinsten Vergehen deren Bestrafung sicherstellten oder Selektionen auslösten.

(SP)



Quellen

Auszug aus Wochenbericht Nr. 11 für die Zeit vom 3.–9.8.1941, NI-14543. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prosecution Exhibit 1985, reel 033, Bl. 331–332.

Kurt Eisfeld, Zeugenvernehmung, 29.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 248R–252R.

Max Faust, Zeugenvernehmung, 4.12.1952. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. I, Bl. 164R–172R.

Heinz Frank, Zeugenvernehmung, 29.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 252R–256.

Benedikt Kautsky, Zeugenvernehmung, 29.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 257–264.

Urteil im Wollheim-Prozess, 10.6.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. III, Bl. 446–488.

Norbert Wollheim, Zeugenvernehmung, 13.11.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot. (e), reel 005, Bd. 11, Bl. 3700–3718, bzw. Prot. (d), reel 050, Bd. 11a, Bl. 3724–3742.

 

Literatur

Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961.

Setkiewicz, Piotr: Ausgewählte Probleme aus der Geschichte des IG Werkes Auschwitz. In: Hefte von Auschwitz 22 (2002), S. 7–147.

Wagner, Bernd C.: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000.

[1] Kurt Eisfeld, Zeugenvernehmung, 29.1.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 248R–252R, hier Bl. 252.

[2] Kurt Eisfeld, Zeugenvernehmung, 29.1.1953, Bl. 249R.

[3] Auszug aus Wochenbericht Nr. 11 für die Zeit vom 3.–9.8.1941, NI-14543. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prosecution Exhibit 1985, reel 033, Bl. 331–332, hier Bl. 331.

[4] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000, S. 83.

[5] Rundschreiben des „Abwehrbeauftragten“ der I.G. zit. n. Wagner: I.G. Auschwitz, S. 151.

[6] Urteil im Wollheim-Prozess, 10.6.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. III, Bl. 446–488, hier Bl. 456.