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Der 3. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1966–1967)

Der Angeklagte Josef Windeck im 3. Frankfurter Auschwitz-Prozess, 1966/67
'© Fritz Bauer Institut
Der Angeklagte Josef Windeck im 3. Frankfurter Auschwitz-Prozess, 1966/67
© Fritz Bauer Institut

Nicht nur Angehörige des SS-Lagerpersonals des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und des KZ Buna/Monowitz, auch Häftlinge, die sich als Handlanger der SS betätigt und sich gegenüber ihren Mithäftlingen schuldig gemacht hatten, wurden in Auschwitz-Verfahren zur Verantwortung gezogen.

 

Die SS übertrug in den Konzentrationslagern einigen ausgewählten Häftlingen Funktionen, die sie im administrativen Interesse der Lager-SS im Sinne einer vorgeblichen Häftlingsselbstverwaltung unter Zwang und auf Befehl zu erfüllen hatten. Diese sogenannten Funktionshäftlinge erwiesen sich oft als willfährige Werkzeuge der SS. Die ihnen von der Lageradministration übertragene Macht missbrauchten sie, sie drangsalierten und schlugen ihre Kameraden. Auch töteten sie auf Befehl der SS oder aus eigener Initiative viele Häftlinge.

 

Vom Lagerältesten über den Lagerkapo bis zum Oberkapo, vom Blockältesten bis zum Stubenältesten und zum Stubendienst, vom Häftlingsarzt bis zum Häftlingspfleger und Hilfspfleger: Jeder Häftling, dem die SS eine Funktion übertrug, konnte sich, sofern man ihn gewähren ließ, zum Herren über Leben und Tod aufschwingen.

 

Im 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess hatte bereits der einstige Blockälteste Emil Bednarek vor Gericht gestanden. Wegen Mordes in 14 Fällen verurteilte ihn das Gericht zu lebenslangem Zuchthaus. Auch im 3. Frankfurter Auschwitz-Prozess hatten sich zwei Funktionshäftlinge zu verantworten. Der vormalige Lagerkapo von Auschwitz I und Lagerälteste des KZ Buna/Monowitz, Josef Windeck, sowie der frühere Blockälteste und Oberkapo in Auschwitz I, Bernhard Bonitz, wurden des Mordes für schuldig befunden und zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Windeck konnte unter anderem nachgewiesen werden, dass er im Lager Buna/Monowitz einen geschwächten Häftling, der einen Essenskübel tragen musste, zu Tode geprügelt, einen weiteren Lagerinsassen in einer Wassertonne ertränkt hatte.

 

Wie in NS-Prozessen im Allgemeinen wurden befehlslose Tötungen, sofern sie aus niedrigen Beweggründen oder auf grausame Weise verübt worden waren, als Mord qualifiziert. Initiativ- bzw. Exzesstäter, mögen sie SS-Angehörige oder Funktionshäftlinge gewesen sein, trugen nach Auffassung der Richter für ihr Tun die alleinige Verantwortung. Ihre individuelle Schuld war durch ihr eigeninitiatives Handeln gegeben.

 

In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, dass sogenannte Befehlstäter, oft höhere SS-Chargen, die nach Erkenntnis der Gerichte allein auf Befehl und ohne Täterwillen gehandelt hatten, mithin als Gehilfen qualifiziert wurden, mit unvertretbar milden Strafen davon kamen. Die Strafjustiz, so die kritische Wahrnehmung der NS-Verfahren, ließ die Großen, vorgeblich bloße Befehlsempfänger, mehr oder weniger laufen, während sie die Kleinen, die mediokren Initiativ- und Exzesstäter, die sich die Mordlust der verbrecherischen Staatsführung zu eigen gemacht hatten, streng zur Verantwortung zog.

(WR)



Literatur

Wolf, René: Judgement in the Grey Zone: The Third Auschwitz (Kapo) Trial in Frankfurt 1968. In: Journal of Genocide Research 9 (2007), H. 4, S. 617–635.