Glossar

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Nach dem Wollheim-Abkommen: Zahlungen an die Überlebenden

Im Wollheim-Abkommen war vereinbart worden, dass die Claims Conference eine eigene Gesellschaft, die Compensation-Treuhandgesellschaft mbH, für die Abwicklung der Entschädigungsanträge jüdischer Überlebender aus Auschwitz gründen würde, während bei der I.G. Farben i.L. die Abteilung Abwicklung Lohn- und Gehaltsansprüche (ALGA) die Auszahlung an die nicht-jüdischen Zwangsarbeiter organisierte.

 

Die Überlebenden hatten im Vorfeld des Abkommens erreicht, dass ausschließlich ehemalige Auschwitz-Häftlinge für die Prüfung der Anträge zuständig waren. In verschiedenen Ländern setzten sich Prüfungsausschüsse zusammen, die auf der Grundlage der Lagererfahrungen ihrer Mitglieder darüber urteilen sollten, ob die Anträge glaubwürdig waren. In der Prüfungskommission in New York waren zahlreiche Überlebende wie Simon Gutter, Norbert Wollheim und Albert Kimmelstiel für die Anträge aus den USA und Kanada zuständig; eine Kommission in Frankfurt am Main, in der u.a. der Überlebende Franz Unikower tätig war, war für verschiedene europäische Länder zuständig; eine Kommission saß in Israel, daneben gab es in einigen weiteren Ländern kleinere Kommissionen. Die Kommissionen nahmen ihre Arbeit sehr ernst, die Prüfungen waren daher oft schwierig und zeitaufwendig. Geprüft wurde, ob und wie lange die Antragsteller für die I.G. Farben Zwangsarbeit geleistet hatten, ob sie in einem der im Abkommen genannten Lager – Buna/Monowitz, Fürstengrube oder Janinagrube – inhaftiert waren, ob gegen sie schwerwiegende Vorwürfe anderer Häftlinge vorlagen, und natürlich, ob sie zu den Gruppen der Anspruchsberechtigten zählten. Um zu verhindern, dass Unberechtigte vom Abkommen profitieren, wurden die Überlebenden gründlich befragt, Zeugen gehört und Dokumente geprüft. Besonderes Augenmerk legten die Verfolgten darauf, dass niemand Entschädigung erhielt, der als Kapo oder in anderen Funktionen an Verbrechen gegen Häftlinge beteiligt gewesen war.

 

Die Claims Conference kümmerte sich darum, dass die Verfolgten im Westen von dem Abkommen erfuhren, während in Osteuropa vor allem das Internationale Auschwitz-Komitee die Überlebenden informierte.

 

Die Compensation Treuhand sollte 27 Millionen DM an die jüdischen Überlebenden verteilen, bei der I.G. Farben i.L. verblieben 3 Millionen für die nicht-jüdischen I.G.-Zwangsarbeiter. Es gab jedoch bald Konflikte darüber, wer überhaupt als „jüdischer Verfolgter“ anzusehen sei. Für die Claims Conference war klar, dass sie nur für die Personen sprechen und handeln könne, die sich selbst als Juden verstanden; ihr Kriterium war v.a. die Zugehörigkeit zu einer jüdischen Gemeinde. Jene Überlebenden, die von den Nazis aus „rassischen“ Gründen als Juden verfolgt worden waren, sich aber selbst nicht mit dem Judentum identifizierten, wollte die Claims Conference nicht aus „ihrem“ Topf entschädigen. Das würde einer Bestätigung rassistischer Kategorien der Nationalsozialisten gleichkommen, so die Claims Conference. Diese Haltung betraf besonders die jüdischen Verfolgten aus Osteuropa, die aus unterschiedlichen Gründen oft nicht Mitglieder jüdischer Gemeinden waren oder sich zu ihrem Judentum nicht öffentlich bekannten. Die I.G. Farben i.L. hatte schließlich eingewilligt, unter Vorbehalt auch diese Gruppe zu entschädigen. Im Jahr 1962, als absehbar war, dass die 3 Millionen DM für die so definierte Gruppe der Nicht-Juden nicht ausreichen würden, forderte die I.G. Farben i.L. eine Rückzahlung von 2 Millionen von der Claims Conference. Nach längeren Verhandlungen einigte man sich im Juli 1963 schließlich auf eine Rückzahlung in Höhe von 750.000 DM.

 

Das Ziel der Claims Conference, an die ehemaligen Buna/Monowitz-Zwangsarbeiter je etwa 5.000 DM auszahlen zu können, wurde zumindest für große Gruppen der Überlebenden erreicht. Die ehemaligen Häftlinge, die weniger als 6 Monate für die I.G. gearbeitet hatten, erhielten in zwei Raten im Abstand von meist mehreren Jahren 2.500 DM, die anderen 5.000 DM.

 

Bei der I.G. Farben gingen 2.956 Anträge[1] zur Prüfung ein, davon waren im Frühjahr 1962 erst 1.118 entschieden, 404 Anträge waren bewilligt und bis dahin 1.410.500 DM ausgezahlt worden. Die Überlebenden mussten sich also oft lange gedulden, bis sie die vereinbarten Entschädigungszahlungen wirklich erhielten.

 

Die Compensation Treuhand leistete aus ihrem Topf Zahlungen an 5.855 Antragsteller, darunter 1.800 „Härtefälle“. Insgesamt konnte sie, dank Zinseinnahmen, 27.841.500 DM an jüdische Monowitz-Häftlinge oder ihre Hinterbliebenen ausbezahlen.

(KS)



Download

[pdf] Katharina Stengel_Konkurrenz um verknappte Mittel_Juedische polnische kommunistische Auschwitz-Haeftlinge in den Verhandlungen zum Wollheim-Abkommen

 

Materialien

[pdf] Vordruck IG Farben – Benachrichtigung Entschädigungsberechtigter [Archiv der Stiftung „I.G. Farbenindustrie“] 

 

Literatur

Ferencz, Benjamin B.: Lohn des Grauens. Die verweigerte Entschädigung für jüdische Zwangsarbeiter. Ein Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Frankfurt am Main: Campus 1981.

[1] Die zahlreichen „offensichtlich unbegründeten Anträge“, z.B. von Frauen oder „Fremdarbeitern“, sind hier nicht mitgezählt.