Glossar

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Die Vergleichsverhandlungen zwischen der I.G. Farben i.L. und der Claims Conference

 a  „The question is, was I right in doing it?  Was I not right in doing it? Very often I doubt that what I did was so smart for the very simple reason, they, the German industry, or some of Germany—I will not generalize, I don’t like to be unfair—used the fact that I.G. Farben had paid what they paid as an argument to say well, what we have done, it was..., we were not legally, it’s not legally..., we were not under legal liability but we did it out of our good heart, and consequently the record is clean with us. We didn’t do anything in Auschwitz. What they did in Nuremberg was a crime that they sent us to jail for participation of this. No, we did it out of our good heart and even helped the prisoners there. So as I see, I’m not very happy, but it’s water over the dam. You cannot rewind that film, but it is a certain chapter which was called the beginning of the slave labor programs, in order to give our people, especially those in need in Israel, in South America, where the DM had a certain importance, where it was somehow helpful. And I’m glad that some people, even with five thousand marks, could make life a little bit easier for themselves.

(Norbert Wollheim, Second Interview [Eng.], 17.5.1991. United States Holocaust Memorial Museum, Transkript, S. 71 [sprachlich bereinigt].)

Das Urteil des Frankfurter Landgerichts in der Sache „Wollheim gegen I.G. Farben“ vom 10. Juni 1953, das einen überraschenden Sieg für Norbert Wollheim brachte, löste unter den größeren Industrieunternehmen der Bundesrepublik Deutschland erhebliche Unruhe aus. Die I.G. Farben i.L. hatte zwar umgehend Berufung gegen das Urteil eingelegt, der juristische Erfolg war aber ungewiss. Es war abzusehen, dass weitere Zwangsarbeiter zu Klagen ermutigt würden. Um sich gegen die drohenden Prozesse abzusichern, erwog die I.G. Farben i.L. bald, eine Pauschalsumme an KZ-Häftlinge zu bezahlen, die in ihren Werken Zwangsarbeit hatten verrichten müssen. Zu diesem Zweck nahmen die Liquidatoren der I.G. Farben mit der Conference on Jewish Material Claims Against Germany (Claims Conference) Kontakt auf, aus Sicht der I.G. Farben die einzige Organisation, die über ausreichend Autorität und Zahlungsfähigkeit verfügte, um als Partner einer verbindlichen Übereinkunft in Frage zu kommen. Denn eine der wichtigsten Vorbedingungen der I.G. Farben i.L. für ein Abkommen war, dass es sich um eine abschließende Regelung handeln müsse; die Claims Conference sollte dafür einstehen, dass es keine weiteren Klagen jüdischer Auschwitz-Überlebender geben würde.

 

Parallel zur Berufungsverhandlung vor dem OLG Frankfurt am Main verhandelte die Claims Conference mit Unterstützung der United Restitution Organization (URO) zwischen 1954 und 1957 mit der I.G. Farben i.L. über ein mögliches Abkommen. Im Oktober 1955 unterbrach das Gericht das Verfahren, die Parteien sollten zu einer außergerichtlichen Einigung kommen. Zunächst lagen die Vorstellungen der Verhandlungspartner weit auseinander; es gab zu diesem Zeitpunkt keine verlässlichen Angaben über die Zahl der Überlebenden von Buna/Monowitz und über ihre Zusammensetzung. Dementsprechend umstritten war, wie viel Geld für eine akzeptable Entschädigung notwendig war und welche Häftlingsgruppen berücksichtigt werden sollten. Die I.G. Farben i.L. legte sich bald auf eine Summe fest, von der sie nicht mehr abwich: 30 Millionen DM wollte das Unternehmen zur „Linderung der Leiden“ (Wortlaut verschiedener Vertragsentwürfe) der ehemaligen Buna/Monowitz-Zwangsarbeiter und der Häftlinge einiger anderer Auschwitz-Nebenlager bezahlen. Größten Wert legte sie auf die Feststellung, dass sie rechtlich nicht zu dieser Zahlung verpflichtet sei, da sie für die Zwangsarbeit in Auschwitz nicht verantwortlich gewesen sei. Nachdem die Claims Conference akzeptiert hatte, dass eine höhere Summe nicht zu erreichen war, konzentrierten sich die Verhandlungen auf die Frage, welche Häftlingsgruppen damit entschädigt werden sollten. Umstritten war vor allem die Entschädigung der Zwangsarbeiter jenseits des „Eisernen Vorhangs“ und jener, die weder als jüdische, noch als politisch Verfolgte galten.

 

Im Verlauf der Verhandlungen erreichte die I.G. Farben i.L., dass die Bundesregierung am 19. April 1957 zu ihren Gunsten ein „Aufrufgesetz“ erließ, nach dem bestimmte Ansprüche an die I.G. Farben ab dem 1. Januar 1958 verjährt waren. Betroffen von dieser Beschränkung der Gläubigerrechte waren fast ausschließlich ehemalige I.G. Farben-Zwangsarbeiter und andere NS-Verfolgte wie z.B. Opfer medizinischer Versuche, die im Auftrag der I.G. durchgeführt worden waren. Mit diesem Gesetz war ein Stichtag geschaffen worden, an dem definitiv feststand, wie viele Auschwitz-Häftlinge entschädigt werden müssten.

 

Nach zähen Verhandlungen unterzeichneten die Vertreter der I.G. Farben i.L. und der Claims Conference am 6. Februar 1957 das Abkommen. Norbert Wollheim hatte sich, trotz anfänglicher Zweifel, damit einverstanden erklärt.  a  Die I.G. Farben verpflichtete sich zur Zahlung von 27 Millionen DM für die Entschädigung jüdischer I.G.-Zwangsarbeiter aus Auschwitz, 3 Millionen sollten für die Entschädigung von Nicht-Juden verwendet werden. Die Antragsteller mussten dem Abkommen persönlich bis zum 31. Dezember 1957 beitreten und damit auf alle weiteren Forderungen verzichten. Die I.G. Farben und die Claims Conference hatten sich nach Ablauf dieses Termins eine Rücktrittsfrist von weiteren drei Monaten eingeräumt, in der die Claims Conference prüfte, ob die Anzahl der Antragsteller eine angemessene Entschädigungssumme für die Einzelnen zuließ, während die I.G. Farben sichergehen wollte, nicht von weiteren Klagen behelligt zu werden.

 

Das „Wollheim-Abkommen“, das erste Abkommen zwischen einem deutschen Industrieunternehmen und einer jüdischen Organisation über Entschädigung für KZ-Häftlinge, trat am 1. April 1958 in Kraft. Das Verfahren „Wollheim gegen I.G. Farben“ vor dem OLG Frankfurt am Main wurde eingestellt. Für die ehemaligen Häftlinge ermöglichte das Abkommen eine Entschädigungszahlung, für die nicht jeder Einzelne das Risiko eines langen Rechtsstreites in Kauf nehmen musste. Die I.G. Farben i.L. hatte mit dem Abkommen ein rechtskräftiges Urteil verhindert und sich vor weiteren Klagen geschützt.

(KS)



Download

[pdf] Katharina Stengel_Konkurrenz um verknappte Mittel_Juedische polnische kommunistische Auschwitz-Haeftlinge in den Verhandlungen zum Wollheim-Abkommen

 

Literatur

Benz, Wolfgang: Der Wollheim-Prozeß. Zwangsarbeit für die I.G. Farben in Auschwitz. In: Ludolf Herbst / Constantin Goschler (Hg.): Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland. München: Oldenbourg 1989, S. 303–326.

Ferencz, Benjamin B.: Lohn des Grauens. Die verweigerte Entschädigung für jüdische Zwangsarbeiter. Ein Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Frankfurt am Main: Campus 1981.

Goschler, Constantin: Streit um Almosen. Die Entschädigung der KZ-Zwangsarbeiter durch die deutsche Nachkriegsindustrie. In: Sklavenarbeit im KZ. Dachauer Hefte 2 (1986), S. 175–194.

Goschler, Constantin: Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945. Göttingen: Wallstein 2005.

Rumpf, Joachim R.: Der Fall Wollheim gegen die I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation. Dissertation, Leibniz Universität Hannover 2007.