Glossar

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Wer erhielt Entschädigung von der I.G. Farben i.L.?

Bei den Verhandlungen zwischen der I.G. Farben i.L. und der Claims Conference über das „Wollheim-Abkommen“ gab es immer wieder Konflikte darüber, welche Häftlinge Entschädigung erhalten sollten. Unumstritten war, dass vorrangig die jüdischen KZ-Häftlinge, die im KZ Buna/Monowitz und anderen Auschwitz-Nebenlagern zwangsweise für die I.G. gearbeitet hatten, von dem Abkommen profitieren sollten. Das war die mit Abstand größte Gruppe von I.G.-Zwangsarbeitern und die, die unter den schrecklichsten Bedingungen gearbeitet hatte. Unklar blieb zunächst, ob auch jene jüdischen Überlebenden einbezogen werden sollten, die jenseits des „Eisernen Vorhangs“ in Osteuropa lebten. Nach den bundesdeutschen Entschädigungsgesetzen war diese Gruppe von Zahlungen ausgeschlossen, und die Claims Conference hatte Bedenken gegen ihre Einbeziehung, weil deren Anträge kaum zu überprüfen sein würden, und sie der Ansicht war, dass bspw. in Polen kaum mehr jüdische KZ-Opfer lebten.

 

Mit Bekanntwerden der Verhandlungen zwischen der I.G. Farben i.L. und der Claims Conference im Jahr 1956 traten neue Gruppen von Anspruchstellern an die I.G. Farben i.L. heran, auf die sie in irgendeiner Weise reagieren musste: jüdische und nicht-jüdische Auschwitz-Häftlinge aus Osteuropa, ehemalige politisch Verfolgte aus Westeuropa, KZ-Häftlinge, die nicht in Auschwitz, sondern in anderen Lagern für die I.G. gearbeitet hatten. Das Internationale Auschwitz-Komitee meldete im Namen der Auschwitz-Überlebenden Forderungen bei der I.G. Farben i.L. an, deren Durchsetzungskraft nicht auf Anhieb taxiert werden konnte. Zudem informierte es alle ihm erreichbaren Auschwitz-Überlebenden von ihren möglichen Ansprüchen gegen die I.G. Farben.

 

Die I.G. Farben i.L. hatte sich in den Verhandlungen früh darauf festgelegt, dass sie keinesfalls mehr als 30 Millionen DM an ihre ehemaligen Zwangsarbeiter in Auschwitz bezahlen könne, wollte aber gleichzeitig möglichst viele Gruppen von Zwangsarbeitern damit entschädigen. Ihr lag an einem „wasserdichten“ Abkommen, das nicht durch größere Gruppen von ausgeschlossenen Häftlingen angreifbar sein sollte. Demgegenüber versuchte die Claims Conference, möglichst hohe Zahlungen für die einzelnen Antragsteller zu erreichen, und bemühte sich daher, die Zahl der Entschädigungsberechtigten klein zu halten. Die Claims Conference und viele jüdische Überlebende, allen voran Norbert Wollheim, hatten aber auch grundsätzliche Bedenken gegen eine Einbeziehung nicht-jüdischer Auschwitz-Häftlinge. Sie fürchteten, jene Häftlingsgruppen und „Funktionshäftlinge“, die sich im KZ Buna/Monowitz an Verbrechen gegen die Juden beteiligt hatten, könnten von dem Abkommen profitieren.

 

Trotz der Proteste verschiedener Gruppen einigten sich die Verhandlungspartner darauf, nur jene Häftlinge in das Abkommen einzubeziehen, die – nach den Bestimmungen des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) – als politisch, „rassisch“ oder weltanschaulich Verfolgte galten. Ausgeschlossen waren damit fast alle nicht-jüdischen, ausländischen KZ-Häftlinge, die als „Nationalverfolgte“ galten. Nur den wenigsten von ihnen gelang der Nachweis, aus politischen Gründen verfolgt worden zu sein. Das Abkommen beschränkte sich ferner auf Zwangsarbeit durch KZ-Häftlinge im Lagerkomplex Auschwitz, schloss also die „Fremdarbeiter“ ebenso aus wie jene Häftlinge, die in anderen KZ für die I.G. Farben arbeiten mussten. Längere Auseinandersetzungen zwischen Überlebenden und I.G. Farben-Vertretern wurden über die Anerkennung einzelner Auschwitz-Nebenlager als Zwangsarbeitsstätten für die I.G. geführt. Die jüdischen Überlebenden in Osteuropa wurden nicht zuletzt aufgrund des Drängens des Internationalen Auschwitz-Komitees in das Abkommen einbezogen.

 

Polnische, französische und niederländische Buna/Monowitz-Überlebende, die durch das Abkommen nicht berücksichtigt wurden, entschlossen sich, gegen die I.G. Farben i.L. zu klagen. Um das Abkommen nicht zu gefährden, ließen sie jedoch zunächst die Frist bis zur Vertragsunterzeichnung verstreichen. In diesem wie in fast allen folgenden Fällen wiesen die bundesdeutschen Gerichte die Ansprüche ausländischer KZ-Häftlinge gegen deutsche Industrieunternehmen zurück. Die NS-Opfer in Osteuropa und die nicht-jüdischen Überlebenden in Westeuropa hatte fast keine Chance, Entschädigungszahlungen vor Gericht einzuklagen. Daher gab es auch in den wenigen folgenden Abkommen für die deutschen Unternehmen keinen Anlass, diese Häftlingsgruppen zu berücksichtigen.

(KS)



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[pdf] Katharina Stengel_Konkurrenz um verknappte Mittel_Juedische polnische kommunistische Auschwitz-Haeftlinge in den Verhandlungen zum Wollheim-Abkommen


 

 

Literatur

Ferencz, Benjamin B.: Lohn des Grauens. Die verweigerte Entschädigung für jüdische Zwangsarbeiter. Ein Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Frankfurt am Main: Campus 1981.

Goschler, Constantin: Streit um Almosen. Die Entschädigung der KZ-Zwangsarbeiter durch die deutsche Nachkriegsindustrie. In: Sklavenarbeit im KZ. Dachauer Hefte 2 (1986), S. 175–194.

Herbert, Ulrich: Nicht entschädigungsfähig? Die Wiedergutmachungsansprüche der Ausländer. In: Ludolf Herbst / Constantin Goschler (Hg.): Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland. München: Oldenbourg 1989, S. 273–302.

Hockerts, Hans Günter / Moisel, Claudia / Winstel, Tobias (Hg.): Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945–2000. Göttingen: Wallstein 2006.

Langbein, Hermann: Entschädigung für KZ-Häftlinge? Ein Erfahrungsbericht. In: Ludolf Herbst / Constantin Goschler (Hg.): Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland. München: Oldenbourg 1989, S. 327–339.