Glossar

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Entschädigung durch Firmen von den 1950er bis in die 1990er Jahre

Am Beispiel des Krupp-Konzerns lässt sich die Haltung der deutschen Unternehmen zur Frage der Entschädigung von NS-Zwangsarbeiter/innen in den ersten 50 Jahren nach der Kapitulation des Deutschen Reiches 1945 deutlich machen. Nach zähen Verhandlungen mit der Claims Conference gab der Krupp-Konzern am 23. Dezember 1959 folgendes bekannt:6 Millionen DM, höchstens jedoch 10 Millionen DM sollten an ehemalige jüdische KZ-Häftlinge gezahlt werden, sofern diese „auf Grund nationalsozialistischer Maßnahmen während des Krieges in Krupp-Betrieben zur Arbeit eingesetzt waren“[1]; jeder Anspruchsberechtigte erhalte einen Betrag von 5.000 DM. Alleininhaber Alfried Krupp, so hieß es in der Firmenzeitschrift, habe sich „zu diesem Abkommen entschlossen, um persönlich dazu beizutragen, die durch den Krieg geschlagenen Wunden vernarben zu lassen“[2]. Für ihn bedeutete das Abkommen nach eigener Aussage „keine Anerkennung einer Rechtsverbindlichkeit“[3], sondern stellte eine mildtätige Geste dar, was durch die Bekanntgabe der Unterzeichnung einen Tag vor Weihnachten noch unterstrichen wurde. Die Claims Conference musste im Gegenzug versichern, zukünftig in Sachen Entschädigung keine rechtlichen Schritte gegen Krupp zu unternehmen. Da die Zahl der Anspruchsberechtigten weit höher war als ursprünglich angenommen und Krupp sich weigerte, die bereitgestellten Geldmittel aufzustocken, erhielten die ehemaligen jüdischen Zwangsarbeiter schließlich pro Person maximal 3.000 DM. Nicht-jüdische Opfer und diejenigen, die zwar Zwangsarbeit bei Krupp geleistet hatten, aber nicht in KZ inhaftiert waren, konnten ohnehin keine Ansprüche auf Zahlungen aus dem Konzernfonds geltend machen; ihnen gegenüber führten die Krupp-Anwälte aus, „daß in Anbetracht der erheblichen finanziellen Belastung betreffs der jüdischen KZ-Häftlinge wir uns bedauerlicherweise nicht in der Lage sehen, weitere Gelder zu erübrigen.“[4]

 

Ähnlich wie im Fall der I.G. Farben die Klage des ehemaligen jüdischen KZ-Häftlings und Zwangsarbeiters Norbert Wollheim eine Änderung in der Entschädigungsfrage einleitete, stand eine Schadensersatzklage am Anfang der Auseinandersetzungen um die Entschädigung durch den Krupp-Konzern: Mordechai S. war 1943 von Krupp-Mitarbeitern im KZ Auschwitz ausgewählt worden, um in der Munitionsfabrik des Konzerns in Markstädt Zwangsarbeit zu leisten, und zu diesem Zweck im KZ Fünfteichen inhaftiert worden. Bei seiner Arbeit für Krupp hatte Mordechai S. einen Daumen und einen Zeigefinger verloren.

 

Im Januar 1954 reichte er Zivilklage beim Landgericht Essen ein. Benjamin Ferencz zufolge war Mordechai S. „ganz arm“[5], so dass er sich aufgrund der anfallenden Gerichtskosten gezwungen sah, seine ursprüngliche Forderung und damit den ‚Streitwert‘ von 40.000 DM auf 2.000 DM zu reduzieren, während Konzerninhaber Alfried Krupp als „Reichster Mann in Europa – und reichster möglicherweise in der ganzen Welt“[6] galt. Um in dieser Situation zu erreichen, „daß die Forderungen der ehemaligen Zwangsarbeiter ernst genommen wurden“, war es laut Ferencz notwendig, „daß die jüdischen Organisationen mit schwerem Geschütz auffuhren“.[7] Jacob Blaustein, der Vizepräsident der Claims Conference, wandte sich an John J. McCloy, den ehemaligen US-Hochkommissar in Deutschland, der den als Kriegsverbrecher verurteilten Krupp 1952 amnestiert hatte. McCloy traf sich daraufhin mit Berthold Beitz, dem Generalbevollmächtigten Alfried Krupps, und übermittelte diesem einen Vorschlag der Claims Conference, der sich im Wesentlichen an der mit I.G. Farben geschlossenen Abmachung orientierte. Krupp zeigte sich zunächst interessiert, legte aber Wert darauf, aus eigener Initiative zu zahlen und nicht auf äußeren Druck reagieren zu müssen.

 

Da dennoch mehrere Monate lang nichts geschah, sprach Ernst Katzenstein im Auftrag der Claims Conference bei Beitz vor; anwesend war auch Hermann Maschke, der Alfried Krupp vor dem US-Militärtribunal in Nürnberg verteidigt hatte. Laut Maschke, berichtet Ferencz, „bestand Krupps Verbindung zur Zwangsarbeit nur dem Namen nach, es handelte sich nur um einen kurzen Zeitraum, sie betraf sehr wenige Leute, sie wurden gut behandelt und […] waren tatsächlich Beschäftigte des Reiches oder einiger anderer Firmen“[8]. Langwierige Verhandlungen, in die unter anderem auch Nahum Goldmann, der Präsident des World Jewish Congress, involviert war, waren die Folge. Ein Entgegenkommen Krupps zeichnete sich erst ab, als einerseits Benjamin Ferencz eine Sammelklage aller bekannten Krupp-Zwangsarbeiter vor dem Obersten Gericht in New York vorbereitete, und andererseits Krupp nicht zuletzt aufgrund seiner geschäftlichen Interessen in den USA bestrebt war, sein Image des Kriegsverbrechers und ‚Kanonenkönigs‘ loszuwerden. Am 23. Dezember 1959 schlossen Krupp und Claims Conference ein Abkommen, demzufolge der Konzern maximal 10 Millionen DM an ehemalige jüdische Zwangsarbeiter seiner Betriebe zahlen sollte, soweit diese in KZ inhaftiert gewesen waren. Eine Rechtsverbindlichkeit wurde von Krupp ausgeschlossen, während der Konzern gleichzeitig von der Claims Conference die Zusicherung erhielt, keine juristischen Schritte mehr in dieser Sache zu unternehmen.

 

Nach einem ähnlichen Muster verliefen die Verhandlungen der Claims Conference mit den Firmen AEG-Telefunken (Abkommen 1960), mit Siemens (Abkommen 1962), Rheinmetall (Abkommen 1966) und Daimler-Benz (Abkommen 1988). Seit 1963 andauernde Verhandlungen zwischen der Claims Conference und dem Flick-Konzern über eine Entschädigung der ehemals bei dem Flick-Tochterunternehmen Dynamit Nobel, einem Munitionsproduzenten, beschäftigten KZ-Häftlinge, ließ Friedrich Flick im Januar 1970 scheitern. Als 1985 sein Sohn, Friedrich-Karl Flick, die Flick-Anteile an Dynamit Nobel an die Deutsche Bank verkaufen wollte, trat die Claims Conference an diese heran. Die Deutsche Bank lehnte erst ab, mit dieser Angelegenheit zu tun zu haben, sah sich aber aus Angst vor Imageschäden zu Verhandlungen gezwungen. Am 8. Januar 1986 gab Dynamit Nobel im Einvernehmen mit der Deutschen Bank bekannt, aus „humanitären Motiven“ 5 Millionen DM an die Claims Conference zu zahlen. Die Summe entsprach einem Promille des für die Übernahme des Flick-Aktienpakets von der Deutschen Bank aufgebrachten Betrages. In den 1980er Jahren wurden diese Entschädigungsverhandlungen mit einzelnen Firmen in der Öffentlichkeit der BRD stärker diskutiert und es begannen auch parlamentarische Bemühungen, um eine grundsätzliche Regelung des Problems der Entschädigung von NS-Zwangsarbeiter/innen zu erreichen. Diese führten schließlich im Jahr 2000 zur Gründung der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“.

(GK/PEH)



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[pdf] Peer Heinelt_Die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeiter

 

Quelle

Krupp Mitteilungen 44 (1960), H. 1, S. 2.

 

Literatur

Brozik, Karl: Die Entschädigung von nationalsozialistischer Zwangsarbeit durch deutsche Firmen. In: Barwig, Klaus / Saathoff, Günter / Weyde, Nicole (Hg.): Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte. Baden-Baden: Nomos 1998, S. 33–47.

Ferencz, Benjamin B.: Lohn des Grauens. Die verweigerte Entschädigung für jüdische Zwangsarbeiter. Ein Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Frankfurt am Main: Campus 1981.

Heinelt, Peer: ‚PR-Päpste’. Die kontinuierlichen Karrieren von Carl Hundhausen, Albert Oeckl und Franz Ronneberger. Berlin: Dietz 2003.

Krussig, Carolina: Settlements between Single Firms and the Jewish Claims Conference before the Foundation Act 2000. In: Peer Zumbansen (Hg.): Zwangsarbeit im Dritten Reich: Erinnerung und Verantwortung. Juristische und zeithistorische Betrachtungen. Baden-Baden: Nomos 2002, S. 173–197.

[1] Krupp Mitteilungen 44 (1960), H. 1, S. 2.

[2] Ebda.

[3] Ebda.

[4] Schreiben Krupps an das Zentralkomitee der Nazi Victims Refugees in the Free World, unterschrieben von Knoll und Maschke, 25.2.1960, zit. n. Benjamin B. Ferencz: Lohn des Grauens. Die Entschädigung jüdischer Zwangsarbeiter. Ein Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Frankfurt am Main: Campus 1981, S. 121.

[5] Ferencz: Lohn des Grauens, S. 107.

[6] Titel der Time, 19.8.1957, zit. n. Ferencz: Lohn des Grauens, S. 107.

[7] Ferencz: Lohn des Grauens, S. 107–108.

[8] Ferencz: Lohn des Grauens, S. 111.