Glossar

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Parlamentarische Bemühungen um Entschädigung in den 1980er Jahren

Ab Mitte der 1980er Jahre befassten sich zahlreiche lokale und regionale geschichtspolitische Initiativen nicht nur mit den jüdischen Verfolgten des Nationalsozialismus, sondern auch mit den ‚vergessenen Opfern‘; ihr Ziel war es, den Entschädigungsforderungen von Zwangsarbeiter/innen, Sinti und Roma, Zwangssterilisierten, Zeugen Jehovas, Kriegsdienstverweigerern, ‚Asozialen‘ oder Homosexuellen Nachdruck zu verleihen, indem sie über die gesellschaftlich tabuisierte und historiographisch schlecht untersuchte Geschichte dieser Opfergruppen Informationen sammelten, um so deren Entschädigungsforderungen zu begründen. Insbesondere die Fraktionen der GRÜNEN im Europäischen Parlament und im Bundestag griffen diese Anregungen auf: 1984 brachte die GRÜNEN-Fraktion im Bundestag den Antrag ein, einen bundesweiten von der Industrie zu finanzierenden Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter/innen einzurichten. Der Antrag wurde abgelehnt, jedoch erneut eingereicht, nachdem das Europäische Parlament am 16. Januar 1986 in einer Entschließung „alle deutschen Unternehmen, die Sklavenarbeiter beschäftigt haben“, aufgefordert hatte, „einen Fonds für Entschädigungszahlungen an die Opfer der Zwangsarbeit einzurichten“.[1] Ebenso wurde ein gleich lautender Antrag, eingebracht am 6. April 1987,[2] von der Parlamentsmehrheit im Bundestag abgelehnt. Deshalb legten die GRÜNEN am 6. Juni 1989 einen Gesetzesentwurf und zwei Anträge im Bundestag vor, die eine Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter/innen über eine Bundesstiftung vorsahen.[3] Die SPD-Fraktion brachte am 14. September 1989 einen eigenen Antrag mit gleicher Zielsetzung ein, der außerdem einen Ausgleich für die bestehenden rentenrechtlichen Nachteile der potentiellen Antragssteller/innen vorsah.[4]

 

Diese parlamentarischen Initiativen bewirkten zwar keinen grundsätzlichen entschädigungspolitischen Kurswechsel in der BRD, ermöglichten aber immerhin die Durchführung zweier öffentlicher Anhörungen vor dem Innenausschuss des Bundestages: Am 24. Juni 1987 wurde hier über das Thema „Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht“ und am 14. Dezember 1989 über das Thema „Entschädigung für NS-Zwangsarbeit“ gesprochen, wobei erstmals auch ‚vergessene‘ NS-Opfer respektive ihre Vertreter zu Wort kamen.[5] Während in Folge der ersten Anhörung zumindest ‚Härtefonds‘ für stark benachteiligte Opfergruppen wie Sinti und Roma oder Zwangssterilisierte auf Bundes- und Länderebene geschaffen wurden, blieb die Frage der Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter/innen offen.

 

Diese politischen Bemühungen sind rückblickend als erste parlamentarische Schritte zur Verabschiedung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gut zehn Jahre später zu verstehen.

(GK/PEH)



Download

[pdf] Peer Heinelt_Die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeiter

 

Quellen

BT-Drucksache 11/142, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/11/001/1100142.pdf (Zugriff am 17.9.2008).

BT-Drucksache 11/4704, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/11/047/1104704.pdf (Zugriff am 17.9.2008).

BT-Drucksache 11/4705, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/11/047/1104705.pdf (Zugriff am 17.9.2008).

BT-Drucksache 11/4706, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/11/047/1104706.pdf (Zugriff am 17.9.2008).

BT-Drucksache 11/5176, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/11/051/1105176.pdf (Zugriff am 17.9.2008).

Deutscher Bundestag / Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hg.): Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht. Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 24. Juni 1987. Bonn: Deutscher Bundestag 1987.

Deutscher Bundestag / Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hg.): Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des deutschen Bundestages am 14.12.1989. Bonn: Deutscher Bundestag 1990.

 

Literatur

Lüder, Wolfgang: Entschädigung post BEG: Härtefonds und Vermögensgesetz. In: Karl Brozik / Konrad Matschke (Hg.): Luxemburger Abkommen. 50 Jahre Entschädigung für NS-Unrecht. Frankfurt am Main: Societäts-Verlag 2004, S. 114–125.

Romey, Stefan / Hamburger Initiative ‚Anerkennung Aller NS-Opfer‘ (Hg.): Wiedergutgemacht? NS-Opfer – Opfer der Gesellschaft noch heute. Hamburg: Selbstverlag 1986.

Saathoff, Günter: Die politischen Auseinandersetzungen über die Entschädigung von NS-Zwangsarbeit im Deutschen Bundestag – politische und rechtliche Aspekte. In: Klaus Barwig / Günter Saathoff / Nicole Weyde (Hg.): Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte. Baden-Baden: Nomos 1998, S. 49–63.

[1] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16.1.1986, Dok. B 2-1475/85/rev., zit. n. Günter Saathoff: Die politischen Auseinandersetzungen über die Entschädigung von NS-Zwangsarbeit im Deutschen Bundestag – politische und rechtliche Aspekte. In: Klaus Barwig / Günter Saathoff / Nicole Weyde (Hg.): Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte. Baden-Baden: Nomos 1998, S. 49–63, hier S. 54.

[2] BT-Drucksache 11/142, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/11/001/1100142.pdf (Zugriff am 17.9.2008).

[4] BT-Drucksache 11/5176, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/11/051/1105176.pdf (Zugriff am 17.9.2008).

[5] Die Anhörungen sind dokumentiert in Deutscher Bundestag / Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hg.): Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht. Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 24. Juni 1987. Bonn: Deutscher Bundestag 1987, bzw. Deutscher Bundestag / Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hg.): Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des deutschen Bundestages am 14.12.1989. Bonn: Deutscher Bundestag 1990.