Glossar

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Norbert Wollheims Arbeit in der Jüdischen Jugendbewegung (1926–1938)

Norbert Wollheim, Februar 1930'© United States Holocaust Memorial Museum (Wollheim-Nachlass)
Norbert Wollheim, Februar 1930
© United States Holocaust Memorial Museum (Wollheim-Nachlass)

 a  „NW: Yes, especially, as I’ve said before, one of the strongest influences on all of us, Zionists and non-Zionists, were the writings of Martin Buber and Franz Rosenzweig. And to a certain extent books which had come out earlier by Hermann Coh[e]n about philosophy. But as I say, Martin Buber had a very strong influence because of his personal appearance. He came to us and lectured.

Q: You attended his lectures?

NW: Not at the university. He was attached to the University of Frankfurt, if I’m not mistaken. But he came to us for lectures organized by the Youth Movement. Because whether it was the world of Hassidism which he opened to us not emotionally but intellectually, or it gave us a complete new insight into Jewish life. Martin Buber was instrumental in bringing back a whole generation of young people to Jewish values.“

(Norbert Wollheim, Interview mit Nikolaus Creutzfeldt [Eng.], New York 1986–88 (Heinlyn Productions; produziert von Leslie C. Wolf). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Transkript, S. 29.)

 

 b  „Q: Do you remember professors resisting who would throw them out of their lectures?
NW: No. No, I don’t remember any professor resisting because this is not a German concept. That concept of civilian citizens standing up to be counted did not exist in this way in the Germany of the times I remember.
Q: So there was never an occasion where a professor said, ‘Get out!’
NW: Well, Martin Wolff tried that and somehow they were a little astonished but it didn’t help too much.
Q: So the professor would leave the lecture hall?
NW: Small as Martin Wolff was, he wasn’t more than 5’6” or 7” with a powerful personality and he was respected even by non-Jews, so I remember the first time when a small group came in he could somehow paralyze them but then they came with more.“

(Norbert Wollheim, Interview mit Nikolaus Creutzfeldt [Eng.], New York 1986–88 (Heinlyn Productions; produziert von Leslie C. Wolf). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Transkript, S. 35.)

 

 c  Norbert Wollheim: „What was important in this work was that the children had a very good time. The Jewish communities were so helpful and cooperative that it was really wonderful. The Jewish families they joined in Sweden were very warmhearted and nice to them. And to a certain extent, especially with the families in Sweden, people established relationships which later became helpful when the decision had to be made to leave Germany. And many of these Jewish Swedish families helped certain of those people to come to Sweden for good or at least to go there for a transitory period.“

(Norbert Wollheim, Interview mit Nikolaus Creutzfeldt [Eng.], New York 1986–88 (Heinlyn Productions; produziert von Leslie C. Wolf). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Transkript, S. 45.)

 

 d  Norbert Wollheim: „In 1935 I joined a firm, a Jewish firm, a reputable firm in the import-export business specializing in metal trade and ore trade. This firm had excellent business contacts with England, Sweden, France and the eastern countries, so it was my hope that when I would join that firm, I could establish also some kind of a contact in order to find a way out. I was working there as a kind of an administrative assistant. I didn’t love that my little work too much, but it was alright because I still at this time remained active to... in Jewish affairs, especially with the Jewish community and youth work.“

(Norbert Wollheim, First Interview [Eng.], 10.5.1991. United States Holocaust Memorial Museum, Transkript, S. 18 [sprachlich bereinigt].)

 

 e  Für Norbert Wollheim wurde das geistige Leben damals vor allem durch Martin Buber und Leo Baeck geprägt: „There were seminars set up and there was a thirst for Jewish knowledge and all things which helped us to get an answer to ‘what are we and where are we going?’ And by bringing the Jewish values into our consciousness would make us safer within ourselves. And that was in my opinion absolutely successful.“

(Norbert Wollheim, Interview mit Nikolaus Creutzfeldt [Eng.], New York 1986–88 (Heinlyn Productions; produziert von Leslie C. Wolf). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Transkript, S. 54.)

Kurze Zeit nach seiner Bar Mitzwa in der Synagoge in der Berliner Kaiserstraße am 1. Mai 1926 trat Norbert Wollheim der „Deutsch-Jüdischen Jugendgemeinschaft“ (DJJG) bei, einer nicht-zionistischen Gruppierung innerhalb der jüdischen Jugendbewegung in Deutschland. Im Zentrum der Jugendbewegung stand die Beschäftigung mit kulturellen und philosophischen Fragen. Dabei zielte die 1922 gegründete DJJG auf die Gestaltung jüdischen Lebens in Deutschland als Teil des deutschen kulturellen Lebens, sie sah sich in den Worten eines ihrer Gründer, Martin Sobotker, als „der Quell der Zweieinheit von Deutschtum und Judentum“[1]. Einflussreich waren für Norbert Wollheim in dieser Zeit die Schriften Martin Bubers und Franz Rosenzweigs  a , es gehörten aber auch Wanderungen in der Natur und soziales Engagement zu den für ihn zentralen Aspekten der Jugendbewegung.

 

Die Grundüberzeugung, dass es wichtig sei, sich sozial zu engagieren und denjenigen zu helfen, die in schlechteren Umständen lebten als man selbst, war Norbert Wollheim von Hause aus mitgegeben worden. Sein Vater, Moritz Wollheim, war für Wohltätigkeitsorganisationen der Jüdischen Gemeinde Berlin aktiv, insbesondere in der Hilfe für Ostjuden in wirtschaftlich prekären Verhältnissen, aber auch bei den Jüdischen Kriegsveteranen des Ersten Weltkriegs. Auch Norberts Mutter, Elsa Wollheim, half bei Wohltätigkeitsorganisationen.

 

Die gemeinsame Arbeit mit engen Freunden in der DJJG wurde in den folgenden Jahren bestimmend für Norbert Wollheims Leben, und „out of this grew friendships that lasted over the years and even when we were all separated and people went to different countries it bridged even oceans and countries.“[2] 1931 nahm Norbert Wollheim, wie auch einige seiner Freunde aus der Jugendbewegung, ein Jurastudium an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin auf. In diesen Jahren hatte die DJJG begonnen, mit dem Central-Verein (CV) nicht nur in sozialen Aktivitäten, sondern auch in Aktionen gegen den wachsenden Antisemitismus zusammenzuarbeiten. An der Friedrich-Wilhelms-Universität machte sich das Erstarken der Nationalsozialisten immer stärker bemerkbar, sie störten und verhinderten Vorlesungen von Professoren, die sie als jüdisch oder als politische Gegner betrachteten, bedrohten Studenten. Norbert Wollheim wusste von keinem nicht-jüdischen Professor zu berichten, der sich dagegen wandte.  b  Unter diesen Umständen erschien ihm eine Fortsetzung seines Jurastudiums nicht mehr sinnvoll, und er gab es Anfang 1933 auf.

 

Norbert Wollheim arbeitete nun verstärkt in der Jugendbewegung und für Sozialeinrichtungen der Jüdischen Gemeinde Berlin. Nach dem Reichstagsbrand in der Nacht vom 27./28. Februar 1933 nahmen die Repressalien gegen Juden und Jüdinnen zu. Der Central-Verein schickte Helfer/innen aus, die jüdische Familien besuchen sollten, die von Nazis angegriffen worden waren. Sie sollten sie unterstützen, aber auch feststellen, ob jemand verschleppt worden war und was sonst geschehen war. Unter diesen Helfern war Norbert Wollheim.

 

Norbert Wollheims enger Freund Martin Sobotker war von 1933–1939 Direktor des Jugendpflege- und Jugendwohlfahrtsdezernat der Jüdischen Gemeinde Berlin, und er schlug im Sommer 1933 vor, Freizeiten für jüdische Kinder in Dänemark und Schweden zu organisieren, da dies in Deutschland bereits verboten war. Norbert Wollheim nahm die Idee auf und war einer der Begleiter der ersten Jugendgruppe, die im Sommer 1933 nach Dänemark und Schweden fuhr, wo sie von den dortigen jüdischen Gemeinden herzlich aufgenommen wurden.  c  Auch in den Sommern 1934 und 1935 begleitete Norbert Wollheim jüdische Kinderfreizeiten nach Horserød in Dänemark; von diesen Freizeiten haben sich Fotoalben in seinem Nachlass erhalten.

 

Im Dezember 1933 schloss sich die DJJG mit anderen nicht-zionistischen Jugendgruppierungen – der Hamburger Deutsch-Jüdischen Jugend, den Jüdischen Jugend- und Kinderscharen Berlin, dem Jüdisch-liberalen Jugendverein und CV-Jugendgruppen – zum „Bund deutsch-jüdischer Jugend“ (BDJJ) zusammen. Norbert Wollheim wurde Sekretär des BDJJ, er reiste auch als Redner in kleinere Orte, um dort moralische Unterstützung zu leisten. Ab 1935 wurde Auswanderung ein zunehmend dringenderes Anliegen des BDJJ und seiner Mitglieder. Norbert Wollheim arbeitete ab 1935 in einer Firma für Eisen- und Manganerzhandel, da er hoffte, dass damit verbundene Kontakte ins Ausland bei einer Auswanderung hilfreich sein könnten.  d  Anfang 1936 initiierte der BDJJ, der sich nun „Ring, Bund der jüdischen Jugend“ nennen musste, da ihm das „deutsch“ im Namen von der Gestapo verboten worden war, die von der Reichsvertretung der deutschen Juden im Mai 1936 durchgeführte Gründung eines landwirtschaftlichen Auswandererlehrguts in Gross-Breesen in Schlesien. Hier sollten Jugendliche auf die Auswanderung in andere Länder als Palästina vorbereitet werden. Auf die Auswanderung nach Palästina, die durch die restriktive Politik der britischen Mandatsmacht ohnehin stark eingeschränkt war, bereitete die Hachschara vor, Teil der zionistischen Jugendbewegung. Aus Gross-Breesen konnten später junge Jüdinnen und Juden nach Australien, Südamerika, Kenia und in die USA auswandern. Gross-Breesen bestand bis Ende 1941, der letzte Leiter des Auswandererlehrguts, Walter Bernstein, wurde später ins KZ Buna/Monowitz deportiert und dort im November/Dezember 1943 ermordet.

 

Anfang 1937 wurde der „Ring, Bund der jüdischen Jugend“ verboten, doch wurden Aktivitäten der Jugendbewegung im Verborgenen und als private Treffen getarnt fortgeführt. Norbert Wollheim nahm an diesen, wie auch am öffentlichen jüdischen Kulturleben teil.  e  Im September 1938 wurde die Firma, in der Wollheim arbeitete, „arisiert“ und allen jüdischen Mitarbeiter/innen umgehend gekündigt. Norbert Wollheim machte einen Schweißerlehrgang, da er hoffte, ein praktischer Beruf werde ihm bei und nach der Auswanderung helfen. Zur gleichen Zeit wurde er wieder intensiv in der Sozialarbeit der Jüdischen Gemeinde Berlin tätig, da Martin Sobotker im Oktober 1938 Helfer/innen aus der Jugendbewegung organisierte, um polnische Jüdinnen und Juden zu unterstützen, die aus Deutschland ausgewiesen und von der Gestapo über Berlin zur polnischen Grenze gebracht wurden. Diese Arbeit ging nahtlos in die Hilfe für jüdische Männer über, die am 9./10. November 1938 von der Gestapo verhaftet und in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt worden waren. Einige von ihnen wurden in den folgenden Tagen und Wochen wieder freigelassen. Die Helfer/innen holten sie vom Bahnhof ab, versorgten sie mit Kleidung und Essen, stellten Kontakte zu ihren Familien her und sorgten dafür, dass sie nach Hause zurückkehren konnten.

 

Mitten in dieser Arbeit erhielten sie einen Anruf von Otto Hirsch von der Reichsvereinigung, dass Großbritannien bereit sei, jüdische Kinder aufzunehmen. Norbert Wollheim und andere aus der Jugendbewegung begannen mit der Organisation der Kindertransporte.

(MN)



Quellen

Norbert Wollheim, Interview mit Nikolaus Creutzfeldt [Eng.], New York 1986–88 (Heinlyn Productions; produziert von Leslie C. Wolf). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Transkript.

Norbert Wollheim, First Interview [Eng.], 10.5.1991. United States Holocaust Memorial Museum, Transkript.

Wollheim, Norbert: Die Mitarbeit der Jugend in der Gemeinde. In: Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin 23 (Sept. 1933), Nr. 9,  S. 284–285.

Wollheim, Norbert: Die Jugendarbeit der Gemeinde. In: Jüdisches Gemeindeblatt für Berlin 27, Nr. 51, 19.12.1937, S. 5.

 

Literatur

Angress, Werner T.: Auswandererlehrgut Gross-Breesen. In: Leo Baeck Institute Year Book 10 (1965), S. 168–187.

Meier-Cronemeyer, Hermann: Jüdische Jugendbewegung. In: Germania Judaica 8 (1969), S. 1–122.

Trefz, Bernhard: Jugendbewegung und Juden in Deutschland. Eine historische Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung des Deutsch-Jüdischen Wanderbundes "Kameraden". Frankfurt am Main u.a.: Lang 1999.

[1] Martin Sobotker: Die Deutsch-Jüdische Jugendgemeinschaft. In: Von Deutsch-Jüdischer Jugend 1 (Sept. 1925), Nr. 18, S. II, zit. n. Bernhard Trefz: Jugendbewegung und Juden in Deutschland. Eine historische Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung des Deutsch-Jüdischen Wanderbundes "Kameraden". Frankfurt am Main u.a.: Lang 1999, S. 88.

[2] Norbert Wollheim, Interview mit Nikolaus Creutzfeldt [Eng.], New York 1986–88 (Heinlyn Productions; produziert von Leslie C. Wolf). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Transkript, S. 17.