Peter Wolff (1924–2007)
(Peter Wolff: Ein Überleben. Ein deutscher Jude im 20. Jahrhundert. Saarbrücken: Conte 2008, S. 61.)
Ich stand überhaupt nicht im Leben. Mir wurde die Familie, die Ausbildung, der Beruf und überhaupt der normale Umgang mit Menschen im normalen Leben zwangsläufig entzogen. Nicht nur die Jugend, nein auch die normalen Entwicklungsjahre hatte ich verloren. Es fehlte mir die Kenntnis der aktuellen allgemeinbildenden Literatur, der politischen und geographischen Entwicklungen und natürlich der Stand der Technik in vielen Bereichen. Ich hatte also sehr viel nachzuholen, insbesondere aber aufzuholen.
Es ging aber nicht nur um die Bildung. Auch der gesellschaftliche Bereich läßt sich nicht so über das Knie brechen. Der Umgang mit Menschen, das jeweils angemessene Verhalten, die Kontaktfreudigkeit, der Aufbau neuer Bekanntschaften und Freundeskreise – ganz zu schweigen von Freundschaften – mußte in Angriff genommen werden. Und all das in einem Land, dessen Sprache ich noch nicht beherrschte. Ich hatte noch viel zu lernen.“
(Peter Wolff: Ein Überleben. Ein deutscher Jude im 20. Jahrhundert. Saarbrücken: Conte 2008, S. 109–110.)
„Die Vergangenheit kann man nicht ‚bewältigen‘ – wie es so schön heißt. Sie läßt sich weder ändern noch ungeschehen machen. Aber mit ihr muß man sich immer wieder auseinander setzen, denn sie ist für alle – auch nach diesen vielen Jahren – unverständlich geblieben.“[1]
Peter Wolff wurde am 7. September 1924 als Sohn des Kandidaten der Medizin Leo Wolff und seiner Frau Helene in Berlin geboren. Nach der Trennung der Ehepartner heiratete die Mutter erneut, 1928 kam Peters Schwester Anita Borger zur Welt. Die Familie zog bald nach Katowice, wo der Großvater eine Tischlerwerkstatt besaß. Das Foto von Peter, Anita und ihrer Mutter wurde hier aufgenommen. Peter Wolff besuchte zunächst die deutsche, ab 1933 die polnische Schule. In seiner Klasse waren drei jüdische Jungen, ab und zu kam es zu Raufereien mit den christlichen Jungen. Neben der Schule half Peter dem Großvater oder unternahm Ausflüge mit der Zionistischen Jugend.
Leo Wolff war 1937 nach Palästina emigriert, kurz vor Kriegsausbruch floh Helene Borger mit Anita und Peter nach Warschau; sie wurden jedoch von den Deutschen eingeholt, gaben sich als Deutsche aus und gelangten, getarnt als „Volksdeutsche“, nach Berlin. Von hier gelang es Helene und Anita Borger, über Istanbul nach Palästina auszuwandern. Peter Wolff, für den die Auswanderung über die Jugend-Aliya vorgesehen war, kam nach Schniebinchen in ein Hachschara-Lager, aber zur Auswanderung war es für ihn zu spät. Die Jugendlichen mussten 1941, als die Hachschara verboten wurde, zunächst in ein Arbeitslager nach Paderborn umziehen und wurden im März 1943 nach Auschwitz deportiert.
Dort wurden die jungen Männer und Frauen getrennt, die meisten Männer kamen ins KZ Buna/Monowitz. Nach drei Monaten Schwerstarbeit und schlimmen Schikanen bei völlig unzureichender Ernährung auf dem Baugelände der I.G. Farben
Peter Wolff schloss sich den heimkehrenden französischen Kriegsgefangenen auf der Fahrt nach Paris an. Er wollte zu seiner Mutter nach Palästina und kam im Juli 1945 in Haifa an.
(SP)