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Peter Wolff (1924–2007)

Peter Wolff mit seiner Mutter Helene und 
'seiner Schwester Anita Borger, Katowice, 1931
'© Fritz Bauer Institut
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Peter Wolff mit seiner Mutter Helene und
seiner Schwester Anita Borger, Katowice, 1931
© Fritz Bauer Institut

 a  „Unsere ersten Arbeitstage im Betonkommando bestanden darin, daß wir Kies in Loren schippen und anschließend diese Loren zu der Stelle schieben mußten, wo der Kies mit Sand, Zement und Wasser zu Beton vermischt wurde. Zunächst konnten wir diese Loren mit fünf oder sechs Mann von der Stelle schieben. Bereits nach einigen Tagen jedoch konnten wir dies nur noch mit zehn oder zwölf Mann schaffen. So schnell verließen uns schon bei dieser Ernährung die Kräfte. Beigetragen hierzu hat natürlich auch die lange Arbeitszeit und die unmenschliche Behandlung.“

(Peter Wolff: Ein Überleben. Ein deutscher Jude im 20. Jahrhundert. Saarbrücken: Conte 2008, S. 61.)

 

 b  „Eine bislang ganz unbekannte Umgebung mit einem ungewohntem Klima und natürlich wildfremde Menschen. Ich freute mich schon sehr auf das Wiedersehen mit Mutter und Schwester und war gespannt, wie dies ausgehen würde. Ich wußte nicht, wie und wo ich unterkommen würde, konnte mir jedoch vorstellen, Sonnenbäder im Sand zu machen und im Meer zu schwimmen. Ich hatte kein Geld, kaum Kleidung – die hierher auch nicht paßte – und keine Vorstellung von der Zukunft. Ich glaube nicht, daß es normalerweise einen jungen Mann von 20 Jahren geben könnte, der überhaupt keine Vorstellung davon hat, was er demnächst tun müßte, könnte oder sollte. In diesem Alter hat man entweder seine Lehre hinter sich oder man steckt mitten im Studium. Man hat aber auf jeden Fall die letzten Jahre mit seiner Ausbildung oder seinem Beruf zu tun gehabt. Man hat normalerweise aber auch laufend Kontakt mit Familie und Gleichaltrigen gehabt. Mit einem Wort: man stand und steht im Leben.

Ich stand überhaupt nicht im Leben. Mir wurde die Familie, die Ausbildung, der Beruf und überhaupt der normale Umgang mit Menschen im normalen Leben zwangsläufig entzogen. Nicht nur die Jugend, nein auch die normalen Entwicklungsjahre hatte ich verloren. Es fehlte mir die Kenntnis der aktuellen allgemeinbildenden Literatur, der politischen und geographischen Entwicklungen und natürlich der Stand der Technik in vielen Bereichen. Ich hatte also sehr viel nachzuholen, insbesondere aber aufzuholen.

Es ging aber nicht nur um die Bildung. Auch der gesellschaftliche Bereich läßt sich nicht so über das Knie brechen. Der Umgang mit Menschen, das jeweils angemessene Verhalten, die Kontaktfreudigkeit, der Aufbau neuer Bekanntschaften und Freundeskreise – ganz zu schweigen von Freundschaften – mußte in Angriff genommen werden. Und all das in einem Land, dessen Sprache ich noch nicht beherrschte. Ich hatte noch viel zu lernen.“

(Peter Wolff: Ein Überleben. Ein deutscher Jude im 20. Jahrhundert. Saarbrücken: Conte 2008, S. 109–110.)

„Die Vergangenheit kann man nicht ‚bewältigen‘ – wie es so schön heißt. Sie läßt sich weder ändern noch ungeschehen machen. Aber mit ihr muß man sich immer wieder auseinander setzen, denn sie ist für alle – auch nach diesen vielen Jahren – unverständlich geblieben.“[1]

 

Peter Wolff wurde am 7. September 1924 als Sohn des Kandidaten der Medizin Leo Wolff und seiner Frau Helene in Berlin geboren. Nach der Trennung der Ehepartner heiratete die Mutter erneut, 1928 kam Peters Schwester Anita Borger zur Welt. Die Familie zog bald nach Katowice, wo der Großvater eine Tischlerwerkstatt besaß. Das Foto von Peter, Anita und ihrer Mutter wurde hier aufgenommen. Peter Wolff besuchte zunächst die deutsche, ab 1933 die polnische Schule. In seiner Klasse waren drei jüdische Jungen, ab und zu kam es zu Raufereien mit den christlichen Jungen. Neben der Schule half Peter dem Großvater oder unternahm Ausflüge mit der Zionistischen Jugend.

 

Leo Wolff war 1937 nach Palästina emigriert, kurz vor Kriegsausbruch floh Helene Borger mit Anita und Peter nach Warschau; sie wurden jedoch von den Deutschen eingeholt, gaben sich als Deutsche aus und gelangten, getarnt als „Volksdeutsche“, nach Berlin. Von hier gelang es Helene und Anita Borger, über Istanbul nach Palästina auszuwandern. Peter Wolff, für den die Auswanderung über die Jugend-Aliya vorgesehen war, kam nach Schniebinchen in ein Hachschara-Lager, aber zur Auswanderung war es für ihn zu spät. Die Jugendlichen mussten 1941, als die Hachschara verboten wurde, zunächst in ein Arbeitslager nach Paderborn umziehen und wurden im März 1943 nach Auschwitz deportiert.

 

Dort wurden die jungen Männer und Frauen getrennt, die meisten Männer kamen ins KZ Buna/Monowitz. Nach drei Monaten Schwerstarbeit und schlimmen Schikanen bei völlig unzureichender Ernährung auf dem Baugelände der I.G. Farben  a  meldete sich Peter Wolff als „schwindelfreier Hochbauschlosser“. Einmal konnte er eine Karte an die Mutter schreiben. Wegen des Vorwurfs von Diebstahl wurde er zum Kohleabbau in das Nebenlager Janinagrube zwangsversetzt. Nach sieben Monaten gelangte er ins KZ Buna/Monowitz zurück. Den Todesmarsch im Januar 1945 überstand er trotz eines Oberarmdurchschusses. Im KZ Mittelbau-Dora grub er sich nach einem Bombenangriff unverletzt aus den Barackentrümmern und floh mit seinem Freund Ernst Lobethal. Am 2. April 1945 wurden sie von der U.S. Army befreit.

 

Peter Wolff schloss sich den heimkehrenden französischen Kriegsgefangenen auf der Fahrt nach Paris an. Er wollte zu seiner Mutter nach Palästina und kam im Juli 1945 in Haifa an.  b  Hier arbeitete er als Elektroinstallateur. 1946 lernte er in Netanya seine spätere Frau Susanne kennen. Die beiden bekamen einen Sohn und eine Tochter. Peter Wolff kämpfte im israelischen Unabhängigkeitskrieg. Um zu studieren kehrte Peter Wolff mit seiner Familie 1957 nach Deutschland zurück: Zunächst fand er Arbeit bei der AEG und machte seinen Abschluss als Elektroingenieur in Esslingen. Er war dort der älteste Student, 39 Jahre alt. Dann ließ sich die Familie in Neu-Isenburg nieder, wo Peter Wolff 2007 verstarb. Von seinen Freunden aus der Hachschara überlebten nur wenige die Konzentrationslager, einige gingen nach dem Krieg nach Israel. Insbesondere nach seiner Pensionierung erzählte Peter Wolff in zahlreichen Gesprächen mit Jugendlichen von seiner Lagerhaft.

(SP)

 

 

Fototafel von Peter Wolff



Quelle

Peter Wolff, Lebensgeschichtliches Interview [Dt.], 26.8.1996. USC Shoah Foundation Institute, Survivors of the Shoah Visual History Archive, Code 19445.

 

Literatur

Wolff, Peter: Ein Überleben. Ein deutscher Jude im 20. Jahrhundert. Saarbrücken: Conte 2008.

[1] Peter Wolff: Ein Überleben. Ein deutscher Jude im 20. Jahrhundert. Saarbrücken: Conte 2008, S. 37.