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Was sollte die I.G. Auschwitz produzieren?

Baustelle der Synthese-Anlage in I.G. Auschwitz'© Fritz Bauer Institut (Zahn-Nachlass)
Baustelle der Synthese-Anlage in I.G. Auschwitz
© Fritz Bauer Institut (Zahn-Nachlass)

Bei dem im April 1940 in Auschwitz gegründeten Werk der I.G. Farbenindustrie, handelte es sich nicht nur um eine Fabrik zur Produktion von synthetischem Kautschuk (Buna), wie dies die auch geläufige Werksbezeichnung „Buna IV“ suggeriert. Die I.G. Auschwitz war vielmehr von vornherein als eine äußerst komplexe chemische Fabrik konzipiert, die neben Buna auch Hochleistungs-Treibstoffe (u.a. Flugbenzin und Heizöl für die Marine), verschiedene Kunststoffe, Kunstfasern, Stabilisatoren, Harze, Methanol, Stickstoff und Pharmazeutika herstellen sollte. Neben dem Buna- und Treibstoffwerk plante die I.G. Farben seit Sommer 1941 mit dem Oberkommando des Heeres den staatlich finanzierten Aufbau eines dritten Werkskomplexes, der sogenannten Montan-Anlage. Diese sollte Vorprodukte chemischer Waffen an das von der I.G. Farbenindustrie in Dyhernfurth bei Breslau errichtete Nervengaswerk liefern, das im Mai 1942 die Produktion des Nervengases Tabun aufnahm.

 

Das Bunawerk:

Auf der ersten Baubesprechung der I.G. Auschwitz wurden Ende März 1941 die Hauptlinien der geplanten Produktion des neuen Werkes erörtert. Die I.G. Auschwitz sollte jährlich 30.000 t Buna-S herstellen (S steht für die Verbindung Styrol, welche in die Butadienkette eingebaut wird). Dabei sollte ausgehend von Kohle und Kalk zunächst das Vierstufen-Verfahren zur Anwendung kommen, welches später teilweise auf das neuere Reppe-Verfahren umgestellt werden sollte. Das zur Polymerisation verwendete Styrol sollte hierbei durch eine andere Polymerisations-Komponente, wie das Isopren, ersetzt werden. Dieser von Anbeginn geplante Wechsel des Herstellungsverfahrens ist vor dem Hintergrund der dualen technologischen Konzeption der I.G. Auschwitz zu sehen: Einerseits sollte das Werk die militärische Nachfrage nach Treibstoffen und Buna befriedigen, zugleich aber auch eine Nachkriegsperspektive offen halten, um die Anlagen in Auschwitz rasch auf die Hochdruck-Reppe-Chemie (Acetylen- und Ethylenchemie) und  damit auf die zukunftsträchtige Kunststoffproduktion umstellen zu können. Das I.G.-Vorstandsmitglied Otto Ambros sah in den Bunawerken daher „die Keimzellen für die Aldehydchemie, sei es für Loesungsmittel, Kunststoffe, Harze oder Weichmacher“[1].

 

Von 1936 bis 1943 stieg der Umsatz der I.G. Farbenindustrie auf dem Kunststoff-Gebiet von 5  auf 122,6 Millionen RM, während sich die Umsatzrendite allein in den ersten drei Kriegsjahren von 7,4 auf 20,6 Millionen RM fast verdreifachte. Mit dem Bau der I.G. Auschwitz war der Einstieg in die Produktion von thermoplastischen Kunststoffen (Polyamide) vorgesehen, die u.a. als synthetische Textilfasern genutzt wurden. Zugleich sollte I.G. Auschwitz im Rahmen des vom Reichsamt für Wirtschaftsausbau vorgelegten kriegswirtschaftlichen „Lackplans“, einem Teil des Vierjahresplans, „Bindemittel auf synthetischer Basis“ produzieren.[2]

 

Das Treibstoffwerk:

Wie für die Buna-Produktion sollte die von der I.G. Farbenindustrie übernommene Kohlegrube „Fürstengrube“ als Rohstoff- und Energiegrundlage für die Treibstoffproduktion der I.G. Auschwitz dienen. Die Fürstengrube sollte von einer Förderkapazität von 550.000 t im Jahre 1941 bis 1943 auf jährlich 1,2 Millionen t Steinkohle erweitert werden.[3] Davon sollten 650.000 Tonnen in einer Schwelanlage zu Schwelkoks und 550.000 Tonnen zur Energiegewinnung verwendet werden. Das Treibstoffwerk der I.G. Auschwitz sollte während des Krieges jährlich 75.000 t Benzin aus Steinkohle mit Hilfe eines modifizierten Fischer-Tropsch-Verfahrens (Umwandlung von Synthesegas in flüssige Kohlenwasserstoffe) erzeugen. In Friedenszeiten sollte diese Anlage auf die Produktion des Treibstoffs „Synol“ umgestellt werden. Der dabei als Nebenprodukt anfallende Teer sollte in einer Schwelanlage zu jährlich 40–50.000 t Heizöl verarbeitet und an die Kriegsmarine geliefert werden. In drei Ausbaustufen waren die Produktion von Treibstoff, Alkoholen und Olefinen sowie die Herstellung von Methanol, Ethanol, Propanol und Isobutanol über die Isobutyl-Öl-Synthese vorgesehen.[4] Aufgrund von Versorgungsengpässen und Arbeitskräftemangel verzögerten sich die Bauarbeiten an dem Treibstoffwerk und die zunächst für 1943 vorgesehene Aufnahme der Treibstoffproduktion musste wiederholt verschoben werden. Die zuletzt für 1945 in Auschwitz vorgesehene Aufnahme der Treibstoffproduktion sah eine monatliche Produktion von 2.100 t des Hochleistungstreibstoffs Tanol sowie 900 t Autobenzin vor.[5]

 

Allein die Methanolproduktion wurde in Auschwitz im Oktober 1943 in großindustriellem Maßstab begonnen. Methanol fand als Treibstoffzusatz, als wichtiges Grundprodukt der organischen Chemie sowie als Lösungs-, Extrahier- und Methylierungsmittel, wie auch auf vielfältige Weise zur katalytischen Oxidation in der Kunststoffproduktion Verwendung. Allein im letzten Kriegsjahr 1944 erzeugte die I.G. Auschwitz, einer Aufstellung aus der Vierjahresplanbehörde des GBChem zufolge, insgesamt 28.998 t Methanol, was etwa 15% der deutschen Jahresproduktion von 1944 entsprach. Die Angaben dieser Aufstellung umfassen die Methanol-Produktion 1944 in den Werken Leuna, Waldenburg, Oppau, Heydebreck und Auschwitz, deren Gesamtproduktion bei 186.416 t lag.[6] Die Methanolproduktion der I.G. Auschwitz war somit von relevanter Bedeutung für die deutsche Kriegswirtschaft, deren Treibstoffproduktion infolge der strategischen Luftangriffe der Alliierten 1943/44 vor allem in Westdeutschland beträchtliche Ausfälle zu verzeichnen hatte.

 

Die Montan-Anlage: Vorprodukte für Chemiewaffen

Nach dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion im Sommer 1941 stieg der Bedarf des Heeres und der Luftwaffe an Glykol, einem wichtigen Vorprodukt zur Herstellung von Sprengstoffen und chemischen Kampfstoffen. Seit Juli 1941 verhandelte die I.G. Farbenindustrie mit dem Oberkommando des Heeres über den Aufbau einer aus staatlichen Mitteln finanzierten „Montan-Anlage“ in Auschwitz. Die vorgesehene „Querschnittserweiterung Diglykol“ der I.G. Auschwitz sollte jährlich 30.000 t Chlor, 6.000 t Glykol und 3.000 t Diglykol produzieren, die größtenteils zur Weiterverarbeitung in der Tabun-Produktion der Nervengasfabrik Dyhernfurth vorgesehen waren.

(FS)



Quellen

Dr. Giesen (Generalbevollmächtigter für Sonderfragen der chemischen Erzeugung – Der Beauftragte für Methanol und Isooktan), Reinmethanolproduktion 1944, 6.1.1945. Bundsarchiv Berlin-Lichterfelde, R 3112/189.

I.G. Auschwitz, 1. Baubesprechung am 24.3.1941 in Ludwigshafen/Rh., 31.3.1941, NI-11115. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 72 (d), Bl. 158–179.

I.G. Auschwitz, 2. Baubesprechung am 1.4.1941 in Ludwigshafen/Rh., 3.4.1941, NI-11116. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 72 (d), Bl. 182–197.

I.G. Auschwitz, 19. Baubesprechung am 30.6.42 in Ludwigshafen/Rhein, 13.7.1942. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB (d) 74, Bl. 48–71.

Die Produktionsentwicklung auf den wichtigsten Gebieten der chemischen Erzeugung. Stand 1. März 1945 nach Ausfall der Industrie in O.S. und in Auswirkung der schweren Luftangriffe auf Produktionsstätten und Verkehr. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, R 3112/36.

 

Literatur

Birkenfeld, Wolfgang: Der synthetische Treibstoff 1933–1945. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Wirtschafts- und Rüstungspolitik. Göttingen/Berlin/Frankfurt am Main: Musterschmidt 1964.

Hayes, Peter: Industry and Ideology: IG Farben in the Nazi Era. Cambridge/New York: Cambridge UP 1987.

Plumpe, Gottfried: Die I.G. Farbenindustrie AG. Wirtschaft, Technik und Politik 1904–1945. Berlin: Duncker & Humblot 1990.

Roth, Karl Heinz: I.G. Auschwitz. Normalität oder Anomalie eines kapitalistischen Entwicklungssprungs? In: Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur (Hg.): „Deutsche Wirtschaft“. Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen für Industrie und Behörden. Symposium Wirtschaft und Konzentrationslager. Hamburg: VSA 1991, S. 79–95.

[1] I.G. Auschwitz, 19. Baubesprechung am 30.6.1942 in Ludwigshafen/Rhein, 13.7.1942. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 74 (d), Bl. 48–71, hier Bl. 51.

[2] I.G. Auschwitz, 1. Baubesprechung am 24.3.1941 in Ludwigshafen/Rh., 31.3.1941, NI-11115. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB  72 (d), Bl. 158–179, hier Bl. 160.

[3] I.G. Auschwitz, 2. Baubesprechung am 1.4.1941 in Ludwigshafen/Rh., 3.4.1941, NI-11116. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB  72 (d), Bl. 182–197, hier Bl. 188.

[4] I.G. Auschwitz, 1. Baubesprechung, Bl. 162.

[5] Die Produktionsentwicklung auf den wichtigsten Gebieten der chemischen Erzeugung. Stand 1. März 1945 nach Ausfall der Industrie in O.S. und in Auswirkung der schweren Luftangriffe auf Produktionsstätten und Verkehr. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, R 3112/36, Bl. 5.

[6] Dr. Giesen (Generalbevollmächtigter für Sonderfrage der chemischen Erzeugung – Der Beauftragte für Methanol und Isooktan), Reinmethanolproduktion 1944, 6.1.1945. Bundsarchiv Berlin-Lichterfelde, R 3112/189. Einer anderen Aufstellung aus dem Reichsamt für Wirtschaftsaubau von März 1945 zufolge lag die deutsche Methanolproduktion etwas höher bei 204.300 t im Jahr 1944. Vgl. hierzu: Die Produktionsentwicklung auf den wichtigsten Gebieten der chemischen Erzeugung. Stand 1. März 1945 nach Ausfall der Industrie in O.S. und in Auswirkung der schweren Luftangriffe auf Produktionsstätten und Verkehr. Bundesarchiv Berlin, R 3112/36, Bl. 5.