Zahlen der Opfer
Über die Zahl der Toten der I.G. Auschwitz liegen stark voneinander abweichende Schätzungen vor. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die kurz vor Kriegsende durchgeführte systematische Aktenvernichtung sowohl durch die SS als auch durch Mitarbeiter der I.G. Farbenindustrie. Daher ist eine historische Rekonstruktion der Totenzahlen größtenteils auf Schätzungen angewiesen: Neben der lückenhaft überlieferten Häftlingskartei und den Totenbüchern des KZ Buna/Monowitz basieren Angaben zur Anzahl der im KZ Buna/Monowitz ermordeten Häftlinge zumeist auf Schätzungen ehemaliger Häftlinge. Diese schwanken zwischen mindestens 23.000 und höchstens 40.000 Toten. In der historischen Forschung schwanken die Angaben zwischen 10.000 Toten durch den polnischen Historiker Piotr Setkiewicz und „insgesamt 30.000 direkt durch die Tätigkeit für die IG gestorbener Häftlinge“[1], von denen Bernd C. Wagner ausgeht.
Wagners Berechnungen ergeben „für 1943 einen Wert von 7.200 und für 1944 von 16.800, zusammen also 24.000“ Häftlingen, die auf der Baustelle der I.G. Auschwitz umgekommen seien,[2] was überraschend genau mit den in den Zeugenberichten überlebender Häftlinge wiedergegebenen Angaben übereinstimme.[3] Diese Angaben würden darüber hinaus auch mit den zeitgenössischen Quellen zur Anzahl der aus dem Häftlingskrankenbau im KZ Buna/Monowitz zur Vernichtung nach Birkenau, bzw. in der Anfangsphase in das Stammlager, von den SS-Ärzten selektierten Häftlinge korrespondieren. Die für die Zeit vom 1. November 1942 bis Oktober 1944 überlieferten Überstellungslisten des KZ Buna/Monowitz enthalten insgesamt etwa 7.293[4] Namen bzw. Nummern von Häftlingen, die nach Birkenau, bzw. in der Anfangsphase noch in das Stammlager Auschwitz, „überstellt“ wurden. In dieser Zahl sind die Lagerselektionen, denen Wagners Schätzungen zufolge „ebenfalls einige Tausend Häftlinge zum Opfer gefallen sein dürften“, nicht erfasst worden.[5] Ferner müssten „noch die unmittelbar auf dem Werksgelände gestorbenen oder ermordeten Personen“ hinzugerechnet werden, die in dem Totenbuch des Konzentrationslagers mit „mindestens 1647“ anzusetzen seien.[6] Wagner sieht durch die Überrestquellen die „Annahme einer Zahl von etwa 23.000 bis 25.000 Toten“ des KZ Buna/Monowitz bestätigt. Hierzu kämen noch die Häftlinge, die in den Kohlengruben der I.G. Auschwitz in Außenlagern starben, die Wagner auf „einige Tausend weitere Häftlinge“ beziffert.[7]
Setkiewiczs Berechnungen gehen demgegenüber von etwa 7.200–7.300 „überstellten“ Häftlingen aus dem KZ Buna/Monowitz nach Auschwitz-Birkenau und ins Stammlager Auschwitz aus, von denen max. 20% überlebten.[8] Weitere 1.670 Tote sind, wie Setkiewicz hervorhebt, durch das Totenbuch des KZ Buna/Monowitz belegt.[9] Die außerhalb des Häftlingskrankenbaus selektierten Häftlinge, die umgebracht wurden, schätzt er auf 800–1.000 Tote. Hinzu kommen mindestens 2.400 im Lager selektierte Häftlinge der Jahre 1943 und 1944. Für die niedrigeren Angaben Setkiewiczs, der von mindestens 10.000 Todesopfern des KZ Buna/Monowitz ausgeht, sprechen auch die über einen längeren Zeitraum präzise belegten Angaben der beiden Häftlinge Felix Rausch und Stefan Heymann, die 1947 in einer Latrine auf dem Lagergelände versteckt gefunden wurden. Diese heimlich aufgezeichneten statistischen Daten dokumentieren jedoch nur die im Häftlingskrankenbau von der SS durchgeführten Selektionen. Außerhalb des Häftlingskrankenbaus durchgeführte Selektionen im Lager wurden darin nicht erfasst und bleiben ein Unsicherheitsfaktor, weil sie nur unvollständig in anderen Überrestquellen dokumentiert sind. Aus diesen Gründen ist die von Setkiewicz ermittelte Zahl von 10.000 Toten des KZ Buna/Monowitz als die absolut unterste Minimalschätzung anzusehen, die Zählung Wagners kann als die wahrscheinlichere gelten.
Auf der Werksbaustelle der I.G. Auschwitz starben viele Häftlinge bei Arbeitsunfällen, häufigste Todesursachen waren aber körperliche Auszehrung und unbehandelte Krankheiten. Die durchschnittliche Überlebensdauer der Häftlinge betrug in Monowitz drei bis vier Monate.[10] In den Kohlegruben, die von der I.G. Farben-Beteiligungsgesellschaft Fürstengrube GmbH in den KZ Außenlagern Fürstengrube und Janinagrube betrieben wurden, mussten die KZ-Insassen unter noch extremeren Bedingungen Sklavenarbeit leisten und überlebten dort im Durchschnitt nur vier bis sechs Wochen.[11] Allein in der Günthergrube, die ebenfalls zur Fürstengrube GmbH gehörte, lag die Sterberate etwas niedriger, weil die Lebensmittelversorgung und die hygienischen Bedingungen weniger katastrophal waren.
Es bedarf noch weiterer Forschungen, um unter Heranziehung aller verfügbaren Quellen die Totenzahlen des KZ Buna/Monowitz und die Totenzahlen in den drei KZ-Nebenlagern mit den zum I.G. Farben-Konzern gehörenden Kohlegruben (Fürstengrube, Janinagrube und Günthergrube) innerhalb des Außenlagerkomplexes Auschwitz III präziser zu klären.
(SP; erstellt auf der Grundlage von Florian Schmaltz: Die Totenzahlen des KZ Buna/Monowitz)