Umgang der vier Besatzungsmächte mit I.G. Farben-Werken in ihren Besatzungszonen
Schon während des Zweiten Weltkrieges hatte es in der US-Regierung Diskussionen darüber gegeben, die I.G. Farben nach dem Ende des Krieges zu zerschlagen, ebenso wie die gesamte deutsche Rüstungsindustrie. Entsprechend verfügte die US-Militärregierung für ihre Besatzungszone am 5. Juli 1945 die Beschlagnahme des gesamten I.G.-Vermögens, die Absetzung und Entlassung der Konzernleitung und die Suspendierung der Rechte der Aktionäre. Die von der US-Militärregierung eingeleiteten Maßnahmen wurden vom Alliierten Kontrollrat jedoch erst Ende November 1945 bestätigt, mit folgenden Zielen: Produktionsanlagen und Vermögensteile für Reparationen einzusetzen; Anlagen, die ausschließlich der Rüstungsproduktion dienten, zu zerstören; die Eigentumsrechte an den verbleibenden Anlagen und Vermögensteilen aufzuspalten und damit alle Kartellbeziehungen auszuschalten; die Kontrolle von Forschung und Produktion durch die Besatzungsbehörden. Die Umsetzung dieser Absichten erfolgte – wie die Umsetzung des Potsdamer Abkommens insgesamt – in den vier Besatzungszonen jedoch in sehr verschiedenem Ausmaß und auf unterschiedlichen Wegen.
Bei Kriegsende lagen 15 Betriebe der I.G. Farben in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. im sowjetischen Sektor Berlins; diese entsprachen mit einem Wert von 520 Millionen RM einem Konzernanteil von 26,7 Prozent. Die Sowjetische Militäradministration wandelte einen Großteil dieser Betriebe – darunter das Leunawerk, das Bunawerk Schkopau und die Werke in Bitterfeld, Wolfen und Eilenburg – in Sowjetische Aktiengesellschaften (SAG) um, die der Aufbringung von Reparationen dienen sollten, weswegen für sie keine Produktionsbeschränkungen erlassen wurden. Gleichzeitig wurden aber auch Anlagen zu Reparationszwecken demontiert, so in Bitterfeld, und in die Sowjetunion gebracht. Doch scheinen diese Demontagen die Produktion mittelfristig nicht weiter beeinträchtigt zu haben: 1948 lag der Wert der Bitterfelder Produktion bereits über dem von 1936; 1951 wurde der Höchstwert von 1944 übertroffen. Nach dem Abschluss der Reparationen an die Sowjetunion 1953 wurden die SAG an die DDR zurückgegeben und unter der Bezeichnung Volkseigene Betriebe (VEB) Staatseigentum.
In der französischen Besatzungszone zielte die Besatzungsmacht seit Juli 1945 auf eine möglichst lückenlose Kontrolle der Chemieindustrie, dies betraf vor allem die relativ stark zerstörten Werke in Ludwigshafen und Oppau. Die Leitungspositionen in den Werken wurden mit französischen Experten besetzt. Vorrangig ging es den französischen Besatzungsbehörden jedoch darum, die Produktion schnell wieder anzukurbeln, zum einen für Reparationszwecke, zum anderen, um das technische Know-how für die französische Wirtschaft zu nutzen und diese mit deutschen chemischen Produkten zu beliefern. Zur Förderung der Exportproduktion arbeiteten die französischen Kontrolloffiziere auch mit leitenden I.G.-Managern zusammen, wie den Vorstandsmitgliedern Otto Ambros und Carl Wurster. Beide wurden im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben angeklagt, aber nur Ambros verurteilt, zur höchsten der verhängten Strafen: acht Jahre Haft. Mitte 1948 erreichte die chemische Produktion in der französischen Besatzungszone wieder 91 Prozent ihres Vorkriegsstandes.
Die britischen Besatzungsbehörden beschlagnahmten die I.G.-Anlagen in ihrer Zone offiziell erst im November 1945, dabei blieb jedoch der Bayer-Komplex – bestehend aus den Werken in Leverkusen, Uerdingen, Dormagen und Elberfeld – als Einheit erhalten. Die Werksdirektoren der I.G. wurden in ihren Ämtern belassen, unter ihnen Ulrich Haberland, der Leiter der Leverkusener Werke, der den britischen Besatzungsbehörden im Folgenden als Berater für den Export diente. Die Herstellung chemischer Kampf- und Sprengstoffe wurde untersagt, doch verfolgten die britischen Besatzungsbehörden das Ziel, den Export chemischer Produkte aus ihrer Zone zu steigern, um damit einen Teil der Besatzungskosten zu decken. Entsprechend wurden, wo dies notwendig schien, Produktionsbeschränkungen von der für die Überwachung der chemischen Industrie zuständigen British Control Group wieder gelockert.
Innerhalb der US-Militäradministration kam es bereits 1945 zu Auseinandersetzungen über das weitere Vorgehen gegen die I.G. Farben. Die Mitarbeiter der Finance Division unter Leitung von Oberst Bernard Bernstein orientierten sich an der Strategie des ‚Industrial Disarmament‘, entwickelt von Henry Morgenthau Jr., die auf eine völlige Zerstörung der deutschen Rüstungsindustrie und der mit ihr verbundenen Schlüsselindustrien zielte. Ihnen gegenüber stand die Economics Division unter Leitung des Investmentbankers William H. Draper, die um gute Beziehungen zur ehemaligen NS-Wirtschaftselite bemüht war und darauf zielte, Deutschland als starken Wirtschaftsstandort im beginnenden Kalten Krieg zu erhalten. Ihr Fürsprecher Robert Murphy stand als Berater erst General Dwight D. Eisenhower, dann Militärgouverneur Lucius D. Clay zur Seite, der die Finance Division am 12. September 1945 in ihrer bisherigen Struktur auflöste und Bernstein absetzte. Damit war die Richtung des weiteren Umgangs mit der I.G. Farben entschieden: ‚Entflechtung‘ statt Zerschlagung. Ab Januar 1946 war der neu geschaffene Decartelization Branch unter Leitung von James Stewart Martin für die I.G. Farben betreffende Fragen zuständig. Martins Aufgabe war es, Vorlagen für ein Gesetz zur Entflechtung der Großindustrie in allen vier Besatzungszonen auszuarbeiten, auf dessen Grundlage auch die Entflechtung der I.G. Farben erfolgen sollte. Währenddessen produzierten fast alle 55 in der amerikanischen Zone gelegenen I.G.-Werke wieder und wurden bei der Zuweisung von Transportmitteln und Energie bevorzugt behandelt. Während die höchsten I.G.-Manager verhaftet worden waren und den Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben erwarteten, waren die alten Betriebsleitungen wieder voll etabliert.
(MN/PEH)