Glossar

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I.G. Farben am Ende des Zweiten Weltkriegs

 a  „Somit hätte die I.G. im Sommer 1945 theoretisch mehr für die Rüstung produzieren können als im September 1939 – und gemessen am Kriegsjahr 1943 waren dies 100 Prozent des damals gelieferten Giftgases, Nickels und Magnesiums, 95 Prozent des Sprengstoffs, 90 Prozent der organischen Zwischenprodukte, 84 Prozent des synthetischen Kautschuks, bis zu 80 Prozent der Plastiziermittel, 75 Prozent des Methanols, 60 Prozent der Schmiermittel, 53 Prozent des synthetischen Benzins, eine schier endlose Liste.“

(Bernd Greiner: ‚IG-Joe‘. IG Farben-Prozess und Morgenthau-Plan. Frankfurt am Main: Fritz Bauer Institut 1996, S. 9.)

Am Ende des Zweiten Weltkriegs konnte die I.G. Farbenindustrie, damals eines der größten Chemieunternehmen weltweit, auf erfolgreiche Geschäftsjahre zurückblicken. Nicht nur hatte die Kriegswirtschaft dem Unternehmen enorme Profite beschert, dank der Autarkiepolitik und den daraus folgenden Investitionen der NS-Regierung in die Produktion von Rüstungsgrundgütern wie synthetischem Benzin (Leuna), synthetischem Kautschuk (Buna), Sprengstoffen etc. hatte die I.G. ihre Anlagen um große Neubauten erweitern bzw. mit der I.G. Auschwitz ein neues Werk errichten können. Letzteres musste mit dem Eintreffen der Roten Armee am 27. Januar 1945 in Auschwitz jedoch verloren gegeben werden; es wurde in der Nachkriegszeit teils demontiert, teils als polnisches Chemiewerk später in Betrieb genommen.

 

Durch die 1933 einsetzende Aufrüstungspolitik der NS-Regierung waren die Profite der I.G. Farben schnell gewachsen. 1935 hatte der Netto-Gewinn 66,8 Millionen RM betragen, 1941 lag er bei 311,5 Millionen RM und fiel gegen Kriegsende auf 145,4 Millionen RM. Der Umsatz des Konzerns erreichte 1943 mit 3,1 Milliarden RM seinen historischen Höchststand. In den Jahren 1941–1943 hatte es eine Gewinnsteigerung von 366 Prozent gegenüber 1935 gegeben, von 1936–1944 standen 2 Milliarden RM für Dividendenzahlungen und Rückstellungen zur Verfügung. Daneben wurden hohe Investitionen in neue Betriebsteile und Werke – wie die I.G. Auschwitz – getätigt, zum Teil in Hinblick auf Planungen für die Nachkriegszeit. Allein in den Jahren nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 investierte die I.G. 2,1 Milliarden RM. Die Ermittler der Finance Division der US-Militärregierung in Deutschland veranschlagten das Inlandsvermögen der I.G. 1945 mit 6 Milliarden RM, das Auslandsvermögen mit 1 Milliarde RM. 87 Prozent des Maschinenparks, den die I.G. 1943 betrieben hatte, waren bei Kriegsende uneingeschränkt nutzbar.  a 

 

Die Gewinne der I.G. Farben und ihre anhaltende wirtschaftliche Stärke aufgrund von Produktionsanlagen und Maschinenpark resultierten nicht nur aus der Produktion kriegswichtiger Stoffe, sondern in nicht unerheblichem Maße aus der Ausbeutung von Zwangsarbeiter/innen bis hin zu deren Ermordung, der ‚Arisierung‘ des Eigentums jüdischer Menschen und aus der Übernahme und Plünderung der chemischen Industrie in den vom Deutschen Reich besetzten Ländern. Angesichts ihrer verbrecherischen Geschäftsaktivitäten musste sich die I.G.-Leitung fragen, wie die siegreichen Alliierten mit dem Konzern einerseits und seinen leitenden Managern andererseits umgehen würden. Diese kamen glimpflich davon: Zwar wurden 24 I.G.-Manager im Mai 1947 von den amerikanischen Ermittlungsbehörden vor dem US-Militärgericht in Nürnberg angeklagt, doch wurden am Ende des Nürnberger Prozesses gegen I.G. Farben im Juli 1948 nur 13 Angeklagte zu Haftstrafen von bis zu acht Jahren verurteilt. Bereits 1951 wurden die letzten vom Alliierten Hohen Kommissar John McCloy begnadigt und konnten unmittelbar danach ihre Karriere innerhalb der westdeutschen Wirtschaft fortsetzen.

 

Schon 1940 hatte das US-Justizministerium in zahlreichen Anti-Trust-Verfahren versucht, gegen Kartellabsprachen zwischen deutschen und amerikanischen Unternehmen vorzugehen – u.a. zwischen der I.G. Farben und der Standard Oil. Seit 1942 hatte das US-Finanzministerium unter Henry Morgenthau Jr. und die von James Stewart Martin geleitete Economic Warfare Section des US-Justizministeriums gefordert, nach einem Sieg über Deutschland das ökonomische Rückgrat des deutschen Militarismus zu brechen, indem man die Rüstungsindustrie zerschlage, vor allem die I.G. Farben. Allerdings konnte sich diese Position nicht einmal innerhalb der US-Militärverwaltung in Deutschland nach 1945 durchsetzen, dazu kam ein sehr uneinheitlicher Umgang der vier Besatzungsmächte mit den in ihrer Zone gelegenen Werken der I.G. Farben. In den Westzonen bzw. der aus ihnen hervorgegangenen BRD entstanden bei der Entflechtung der I.G. Farbenindustrie AG drei große NachfolgefirmenBayer, BASF und Höchst – sowie die I.G. Farbenindustrie in Liquidation.

(MN/PEH)



Download

[pdf] Peer Heinelt_Die Entflechtung und Nachkriegsgeschichte der IG Farbenindustrie AG

 

Literatur

Greiner, Bernd: Die Morgenthau-Legende. Zur Geschichte eines umstrittenen Plans. Hamburg: Hamburger Edition 1995.

Greiner, Bernd: ‚IG-Joe‘. IG Farben-Prozess und Morgenthau-Plan. Frankfurt am Main: Fritz Bauer Institut 1996.

OMGUS: Ermittlungen gegen die I.G. Farbenindustrie AG. Nördlingen: Greno 1986.

Reichelt, W[erner]-O[tto]: Das Erbe der IG Farben. Unter Mitwirkung von Manfred Zapp mit einer Einleitung von Dr. Franz Reuter. Düsseldorf: Econ 1956.

Stokes, Raymond George: Recovery and resurgence in the West German chemical industry. Allied policy and the I.G. Farben successor companies 1945–1951. Ann Arbor, MI: University Microfilms International 1986.