Nachfolgefirmen der I.G. Farben
Die I.G. Farbenindustrie AG wurde 1952 von der Alliierten Hohen Kommission ‚entflochten‘. Es wurden vier Nachfolgefirmen – Bayer, BASF, Hoechst und Cassella geschaffen. Der Einfluss ehemaliger NS-Wirtschaftsgrößen, darunter leitende I.G.-Manager, war im Prozess der ‚Entflechtung‘ bestimmend gewesen. Ab Oktober 1953 konnten Aktionäre ihre I.G.-Aktien in Aktienpakete der Nachfolgefirmen umtauschen. Am 21. Januar 1955 erließ die Alliierte Hohe Kommission im Einvernehmen mit der Bundesregierung das ‚I.G.-Liquidationsschlussgesetz‘[1], das nicht nur die Grundlage der I.G. Farben i.L. bildete, sondern auch Artikel 10 des Gesetzes Nr. 35 über die „Aufspaltung des Vermögens der IG Farbenindustrie AG“ von 1950 annullierte. Dieser hatte den erneuten Zusammenschluss der Nachfolgefirmen und eine Übernahme im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben verurteilter ehemaliger I.G.-Manager verboten.
Noch 1955 wurde der in Nürnberg wegen Kriegsverbrechen verurteilte I.G.-Vorstand Friedrich Jähne Aufsichtsratsvorsitzender der Hoechst AG. 1956 übernahm der ebenfalls in Nürnberg verurteilte ehemalige I.G.-Vorstand Fritz ter Meer denselben Posten bei der Bayer AG. Das I.G.-Vorstandsmitglied Carl Wurster, vormals „Wehrwirtschaftsführer“ und Träger des „Ritterkreuzes zum Kriegsverdienstkreuz“, war nach seinem Freispruch in Nürnberg bereits seit 1952 Vorstandsvorsitzender der BASF AG. Neben diesen drei standen an den Spitzen der Nachfolgefirmen etliche weitere Manager, die während des Nationalsozialismus führende Funktionen bei der I.G. Farben bekleidet hatten.
Bayer, BASF und Hoechst konnten schon 1956 eine Dividende von je 10 Prozent ausschütten. 1970 wurde Cassella von Hoechst übernommen, so dass keine zwanzig Jahre nach Abschluss der ‚Entflechtung‘ nur die ‚Großen Drei‘ der deutschen Chemieindustrie übrig geblieben waren, von denen schon 1916 im „Interessen-Gemeinschafts-Vertrag“ die wesentlichen Impulse zur Bildung des I.G. Farben-Konzerns im Jahr 1925 ausgegangen waren. Bereits zwanzig Jahre nach der Neugründung von Bayer, BASF und Hoechst war „jedes einzelne der drei Unternehmen […] größer, als die IG im Zenit ihrer Geschichte es war“[2].
Rechtlich betrachteten sich diese Nachfolgefirmen als unbelastet: Die Entschädigungsforderungen ehemaliger Zwangsarbeiter/innendes I.G.-Konzerns wiesen Bayer, BASF und Hoechst bis in die späten 1990er Jahre stets weit von sich. Ihre Argumentationslinie war, dass bei der Entflechtung der I.G. Farben „drei organisatorisch völlig neue selbständige Unternehmen“ gebildet worden seien, die „keine Verantwortlichkeit für die Greueltaten des Naziterrors an Zwangsarbeitern“ trügen,[3] wie der Vorstandsvorsitzende von Hoechst, Jürgen Dormann, noch 1995 bei einer Jahreshauptversammlung auf eine Rede des antifaschistischen Widerstandskämpfers Peter Gingold erwiderte, der eine Entschädigung ehemaliger I.G.-Zwangsarbeiter/innen von den I.G.-Nachfolgefirmen forderte.[4]Kritische Aktionäre, die auf den Jahreshauptversammlungen der Unternehmen eine Beschäftigung mit dem Thema einforderten, wurden von Werkschutzangehörigen – teilweise recht brutal – des Saales verwiesen. Erst als überlebende NS-Zwangsarbeiter/innen bei US-amerikanischen Gerichten Ende der 1990er Jahre Sammelklagen gegen ihre ehemaligen ‚Arbeitgeber‘ einreichten und diese sich aufgrund ihrer I.G.-Vergangenheit mit internationalen medienwirksamen Protesten konfrontiert sahen, die ihre Auslandsgeschäfte zu gefährden drohten, lenkten Bayer, BASF und Hoechst ein: 1999 traten sie der „Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft“ bei.
Die Hoechst AG schloss sich 1999 mit Rhône-Poulenc zur Aventis S.A. zusammen und spaltete die verbliebenen Chemieaktivitäten in der Celanese AG ab. 2004 fusionierte Aventis mit Sanofi-Synthélabo zu Sanofi-Aventis; 2005 wurde Hoechst in eine GmbH umgewandelt und zu einer Zwischengesellschaft innerhalb der Sanofi-Aventis Gruppe ohne eigenes operatives Geschäft. Doch blieb der Industriepark Höchst Firmensitz und größter Standort von Sanofi-Aventis. Zur Bayer AG mit Sitz in Leverkusen gehören heute, im Jahr 2008, etwa 350 Unternehmen in aller Welt; 2007 erwirtschaftete Bayer Umsatzerlöse in Höhe von 32,385 Milliarden Euro. Die BASF mit Sitz in Ludwigshafen betreibt heute etwa 150 Produktionsstandorte weltweit und erzielte 2007 bei einem Umsatz von 57,951 Milliarden Euro einen Nettogewinn von 4,065 Milliarden Euro.
(MN/PEH)