Britische Kriegsgefangene in Auschwitz
Die Britischen Kriegsgefangenen, die in Auschwitz im Kriegsgefangenenlager E715 zwischen September 1943 und Januar 1945 untergebracht waren, mussten auf der Baustelle der I.G. Farben arbeiten. Nach der Genfer Konvention war es nicht zulässig, sie in der Rüstungsindustrie arbeiten zu lassen. Als deshalb einige gegen den Einsatz in der Benzinproduktion protestierten, machte ihnen der zuständige Lagerleiter der I.G., Gerhard Ritter, mit der Waffe klar, dass er die Auslegung der Genfer Konvention in Auschwitz bestimme.
Die britischen Kriegsgefangenen mussten etwa 12 Stunden am Tag arbeiten, es gab nur wenige freie Tage. Sie wurden in den verschiedensten Kommandos eingesetzt, teils auch als Facharbeiter. Viele britische Kriegsgefangene sabotierten bei der Arbeit die deutschen Kriegsanstrengungen. Sie verlegten z. B. Kabel oder Rohrleitungen für das Kraftwerk der I.G. Auschwitz fehlerhaft und beschädigten Waggons bei Arbeiten im Eisenbahndepot. Allerdings ist unklar, in welchem Maße die britischen Sabotageaktionen den Bau der Fabrik verzögern konnten.
Auf der Baustelle kam es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen den britischen Kriegsgefangenen und deutschen Zivilarbeitern der I.G. Farben, SS- und Wehrmachts-Angehörigen. Anlass war meist die schlechte Behandlung der KZ-Häftlinge und der osteuropäischen Zwangsarbeiter/innen. Doch meinten manche I.G.-Meister auch, sie könnten die Kriegsgefangenen wie die KZ-Häftlinge behandeln, so dass die Wehrmacht die Bauleitung der I.G. Auschwitz entsprechend ermahnen musste. Über zwei Fälle brutaler Übergriffe gegen britische Kriegsgefangene haben ehemalige Häftlinge nach 1945 berichtet: Corporal Reynolds wurde von einem SS-Mann auf der Baustelle erschossen, da er sich weigerte, eine riskante Arbeit ohne Schutzmaßnahmen durchzuführen. Private Campbell wurde von einem SS-Mann niedergestochen, da er einer polnischen Frau half; er überlebte den Angriff.
Im Allgemeinen wurden die britischen Kriegsgefangenen besser behandelt als alle anderen Gruppen unfreier Arbeitskräfte der I.G. Auschwitz. Da die Deutschen die Westalliierten entsprechend der Genfer Konvention behandelten, hatten die britischen Kriegsgefangenen Anrecht auf Lebensmittelpakete des Roten Kreuzes, Briefverkehr mit ihren Angehörigen und Besuche von Rotkreuz-Vertretern. Die Lebensmittelpakete ermöglichten eine relativ gute Essensversorgung der britischen Kriegsgefangenen. So konnten sie auf die Suppe, welche sie in I.G. Auschwitz erhielten, verzichten und diese einzelnen KZ-Häftlingen schenken.
Kontakte hatten die britischen Kriegsgefangenen auch zu ukrainischen Zwangsarbeiterinnen auf der Baustelle, von deren schlechter Behandlung sie später berichteten; es kam wohl zu einigen Affären mit Ukrainerinnen, ebenso mit polnischen Frauen aus der Umgebung. Britische Kriegsgefangene sollen mit auf der Baustelle tätigen ‚Fremdarbeitern‘ Uniformen getauscht haben, um ‚Ausflüge‘ in die Umgebung bis Katowice zu machen.
Ihre spärliche Freizeit gestalteten sich die britischen Kriegsgefangenen mit Sport, vor allem Fußball, und Theateraufführungen. Dabei war besonders Eric Lindsay aktiv, der für eine Inszenierung im Dezember 1944 Lord Dunsanys A Night at an Inn um die Shylock-Figur „The Hunchback Saul“ erweiterte. Auch andere Begebenheiten weisen auf antisemitische Einstellungen bei manchen der britischen Kriegsgefangenen hin, doch scheint dies die meisten nicht davon abgehalten zu haben, den überwiegend jüdischen KZ-Häftlingen, denen sie auf der Baustelle begegneten, zu helfen.
(MN)