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E715 – Lager für britische Kriegsgefangene

Gruppe britischer Kriegsgefangener in E715'© Fritz Bauer Institut (Bestand APMO / Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau)
Gruppe britischer Kriegsgefangener in E715
© Fritz Bauer Institut (Bestand APMO / Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau)

Auf dem Werksgelände der I.G. Auschwitz existierte ein Lager für britische Kriegsgefangene. Es lag zwar innerhalb des der SS unterstellten „Interessengebietes Auschwitz“, wurde aber als Arbeitsaußenlager des Stammlagers (Stalag) VIII B in Lamsdorf (ab November 1943 in Teschen), dem größten NS-Kriegsgefangenenlager, von der Wehrmacht unter der Bezeichnung E715 verwaltet und bewacht. Die britischen Kriegsgefangenen waren in Auschwitz nahe der Baustelle des Buna-Werks, einige hundert Meter westlich des KZ Buna/Monowitz untergebracht. Sie konnten durch die Zäune hindurch die Vorgänge im KZ Buna/Monowitz sehen, sie hörten nachts Schüsse und sahen die Erhängten. Auch auf der Baustelle begegneten die britischen Kriegsgefangenen den KZ-Häftlingen.

 

Die britischen Kriegsgefangenen in E715 kamen aus fast allen Ländern des Commonwealth.[1] Manche von ihnen waren bereits 1940 in Dünkirchen in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten, die meisten jedoch in Nordafrika zunächst von italienischen Truppen gefangen genommen worden. Sie wurden nach dem Seitenwechsel Italiens 1943 von der deutschen Armee in Kriegsgefangenenlager in Schlesien und schließlich nach Auschwitz gebracht. Anfang September 1943 trafen die ersten 200 britischen Kriegsgefangenen in Auschwitz ein, unter ihnen Robert William Ferris. Im Winter 1943/44 waren etwa 1400 britische Kriegsgefangene in E715 interniert. Im Februar und März 1944 wurden etwa 800 von ihnen nach Blechhammer und Heydebreck verlegt. Danach lag die Zahl der britischen Kriegsgefangenen in Auschwitz konstant bei etwa 600.

 

E715 verfügte über ein eigenes Lazarett. Die dort tätigen britischen Militärärzte waren neben dem Vertrauensmann (Man of confidence) die einzigen Offiziere im Lager. I.G. Farben wollte ihnen eine Krankenrate von höchstens 3% des Lagers vorschreiben. Um diese zu kontrollieren, besuchten die I.G.-Fabrikärzte Ulrich Peschel und Bonk E715 und ließen die Kranken, die sie als „arbeitsfähig“ einstuften, von Wachen auf die Baustelle zur Arbeit schaffen. Denn die Auslastung des Lazaretts in E715 lag meist bei 10–15% der Lagerinsassen.

 

Durch illegalen Radioempfang waren die britischen Kriegsgefangenen über die Entwicklung des Kriegsgeschehens informiert. Sie versuchten, wichtige Ereignisse, wie die Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944, an die KZ-Häftlinge weiterzugeben. Manche, unter ihnen Charles Joseph Coward, schmuggelten Nachrichten über die Geschehnisse in Auschwitz in Briefen an das British War Office oder informierten Schweizer Vertreter des Roten Kreuzes, die E715 im Sommer 1944 zweimal besuchten.

 

Sonntag, den 20. August 1944, flog die U.S. Army Air Force ihren ersten Luftangriff auf I.G. Auschwitz. Eine Bombe traf das Lager der britischen Kriegsgefangenen, das nur über unzureichende Luftschutzanlagen verfügte, so dass 39 britische Kriegsgefangene ums Leben kamen. Bei weiteren Luftangriffen bis Ende 1944 wurde das Lager, trotz der Nähe zur Baustelle, nicht erneut getroffen.

 

Ab Dezember 1944 erreichten die Rotkreuz-Pakete, welche ihnen auf Grund der Genfer Konvention zustanden, die britischen Kriegsgefangenen in E715 nicht mehr. Als sich im Januar 1945 die Rote Armee Auschwitz näherte, löste die Wehrmacht am 21. Januar 1945 E715 auf und ließ die britischen Kriegsgefangenen durch Polen und die Tschechoslowakei nach Bayern marschieren. Dabei wurden die britischen Kriegsgefangenen besser behandelt als die von der SS auf den Todesmarsch getriebenen KZ-Häftlinge. Doch gab es für sie auf dem vier Monate dauernden Marsch nur wenige Lebensmittel, nur selten erreichten Rotkreuz-Pakete die Kriegsgefangenen. Im April 1945 wurden die britischen Kriegsgefangenen aus Auschwitz im Stalag VII A in Moosburg durch die U.S. Army befreit.

(MN)



Quellen

William Allen, Eidesstattliche Erklärung, 1.7.1947, NI-11410. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 69 (e), Bl. 76–77 (withdrawn 27.1.1948).

Charles Joseph Coward, Eidesstattliche Erklärung, 24.7.1947, NI-11696. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (e), Bl. 47–55.

Frederick Davison, Eidesstattliche Erklärung, 19.7.1947, NI-11694. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (e), Bl. 63–69.

Eric James Doyle, Eidesstattliche Erklärung, 14.11.1947, NI-12388. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (e), addendum, 211, 7 Bl.

Eric James Doyle, Zeugenvernehmung, 17.11.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot. (e), Bl. 3920–3927.

Robert William Ferris, Eidesstattliche Erklärung, 1.7.1947, NI-11693. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (e), Bl. 56–62.

Robert Robertson, Eidesstattliche Erklärung, 20.7.1947, NI-11700. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (e), Bl. 173–174.

Ian Osborne Bradford Spencer, Eidesstattliche Erklärung, 19.7.1947, NI-11707. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (e), Bl. 171–172.

 

Literatur

White, Joseph Robert: IG Auschwitz: The Primacy of Racial Politics. Dissertation, University of Nebraska at Lincoln, NE, 2000.

White, Joseph Robert: “Even in Auschwitz…Humanity Could Prevail”: British POWs and Jewish Concentration-Camp Inmates at IG Auschwitz, 1943–1945. In: Holocaust and Genocide Studies 15 (2001), H. 2, S. 266–295.

White, Joseph Robert: The British Connection to Auschwitz: Work Camp E715 and the IG Farben Chemical Plant, 1943–1945. Zuletzt geändert am 25.2.2008,  http://warandgame.blogspot.com/2008/02/british-connection-to-auschwitz-work.html (Zugriff am 18.3.2008).

[1] Entsprechend der NS-Rassenhierarchie behandelte die Wehrmacht jedoch afrikanische Soldaten der britischen Armee bzw. Afro-Amerikaner der U.S. Army anders als Soldaten mit einem europäischen Hintergrund, vgl. David Killingray: Africans and African Americans in Enemy Hands. In: Bob Moore / Kent Fedorowich (Hg.): Prisoners of War and Their Captors in World War II. Oxford: Berg 1996, S. 181–204.