Glossar

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Britische Kriegsgefangene und die Häftlinge des KZ Buna/Monowitz

Die im Kriegsgefangenenlager E715 in Auschwitz internierten britischen Kriegsgefangenen begegneten auf der Baustelle der I.G. Farben den Häftlingen des KZ Buna/Monowitz. Von den Eindrücken dieser Begegnungen legen sowohl die Aussagen britischer Kriegsgefangener in Prozessen als auch Berichte ehemaliger Häftlinge Zeugnis ab.

 

Die meisten britischen Kriegsgefangenen waren vom ersten Anblick der KZ-Häftlinge auf der Baustelle und der dort herrschenden Brutalität von Seiten der Meister, Kapos und SS geschockt; täglich erlebten sie mit, wie Häftlinge auf der Baustelle ums Leben kamen. Wiederholt kam es deswegen zu Zusammenstößen der britischen Kriegsgefangenen mit I.G.-Angestellten und SS. Offiziell war den britischen Kriegsgefangenen jeder Kontakt mit den Häftlingen verboten, dennoch versuchten sie, diese durch Zurufe moralisch aufzubauen und ihnen mit Essen und Kleidung zu helfen.

 

Durch Lebensmittelpakete des Roten Kreuzes, die ihnen auf Grund der Genfer Konvention zustanden, waren die britischen Kriegsgefangenen relativ gut mit Essen versorgt. So konnten sie auf die Suppe, welche sie auf der Baustelle erhielten, verzichten und diese den KZ-Häftlingen schenken. Oft hinterließen sie die Suppe an dafür verabredeten Orten, damit weder Meister noch Kapos oder SS dies bemerkten. Denn das hätte unweigerlich zur Bestrafung des Häftlings und einem mutwilligen Verschütten der Suppe geführt. Manche Häftlinge, darunter Norbert Wollheim, konnten besonders gute Kontakte zu britischen Kriegsgefangenen aufbauen, so dass sie auch mit abgelegter Kleidung unterstützt wurden bzw. britische Kriegsgefangene für sie Briefe nach draußen schickten. Allerdings gab es im Herbst 1944 im KZ Buna/Monowitz 17mal so viele KZ-Häftlinge wie britische Kriegsgefangene in E715, so dass es letzteren unmöglich war, jedem zu helfen.

 

Vereinzelt wird von antisemitischen Einstellungen einzelner britischer Kriegsgefangener berichtet, doch scheint die Mehrheit der Kriegsgefangenen trotzdem angesichts der KZ-Häftlinge vor allem „pity and shame“[1] empfunden zu haben und eine Verpflichtung, den Häftlingen zu helfen, soweit es möglich war. Diese Hilfe wurde auch als aktiver Widerstand gegen das feindliche Deutschland verstanden.

 

Den britischen Kriegsgefangenen war sehr schnell klar, welches Schicksal den KZ-Häftlingen in Auschwitz zugedacht war. Ab Mitte 1944 waren sie im Lager VI direkt neben dem KZ Buna/Monowitz untergebracht und konnten die Ereignisse dort, wie Hinrichtungen und Selbstmorde, durch den Zaun sehen, auch marschierten sie auf ihrem Weg zur Baustelle an Monowitz vorbei. Auf der Baustelle – und auch durch den Geruch in der Luft – war allen bekannt, dass die nicht mehr „arbeitsfähigen“ Häftlinge nach Birkenau in die Gaskammer geschickt wurden. Mehrere britische Kriegsgefangene berichteten später davon, dass I.G.-Angestellte ihnen gegenüber die Ermordung der jüdischen Häftlinge guthießen.

 

Vereinzelt wird davon berichtet, dass britische Kriegsgefangene Häftlingen zur Flucht verhalfen. So berichten Charles Joseph Coward und Yitzhak Persky, dass sie Leichen auf der Baustelle von einem Deutschen gekauft, diese am Weg versteckt und gegen Häftlinge ausgetauscht hätten, mit denen zuvor vereinbart worden war, dass sie die Kolonne der Häftlinge an einer bestimmten Stelle verlassen sollten. Die Flüchtlinge seien dann mit Kleidung und Essen für den Weg ausgestattet worden; doch ist bisher von keinem Überlebenden berichtet worden, dass ihm auf diese Weise die Flucht gelang. Auf der Suche nach einem britischen Marinearzt, Karel Sperber, der als Jude von den deutschen Behörden ins KZ Buna/Monowitz gebracht worden war, verbrachte Coward sogar eine Nacht in Monowitz, nachdem er mit einem Häftling Kleider getauscht hatte. Diese Nacht hinterließ einen tiefen Eindruck in seiner Erinnerung, doch gelang es ihm nicht, Sperber unter den tausenden Häftlingen ausfindig zu machen.

(MN)



Quellen

Eidesstattliche Erklärungen und Zeugenvernehmungen ehemaliger britischer Kriegsgefangener im Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI.

 

Literatur

White, Joseph Robert: IG Auschwitz: The Primacy of Racial Politics. Dissertation, University of Nebraska at Lincoln, NE, 2000.

White, Joseph Robert: “Even in Auschwitz…Humanity Could Prevail”: British POWs and Jewish Concentration-Camp Inmates at IG Auschwitz, 1943–1945. In: Holocaust and Genocide Studies 15 (2001), H. 2, S. 266–295.

White, Joseph Robert: The British Connection to Auschwitz: Work Camp E715 and the IG Farben Chemical Plant, 1943-1945. Zuletzt geändert am 25.2.2008,  http://warandgame.blogspot.com/2008/02/british-connection-to-auschwitz-work.html (Zugriff am 18.3.2008).

[1] Joseph Robert White: IG Auschwitz: The Primacy of Racial Politics. Dissertation, University of Nebraska at Lincoln, NE, 2000, S. 256.