Glossar

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Das Konzernmanagement der I.G. Farben und die Kriegsvorbereitung des NS-Regimes

Im September 1936 verkündete Hitler auf dem Parteitag der NSDAP in Nürnberg den Vierjahresplan, der in der Forderung gipfelte, Wehrmacht und Wirtschaft bis 1940 „kriegsfähig“ zu machen. Bereits am 26. August 1936 hatte Hitler eine zusammenfassende geheime Denkschrift vorgelegt, in der er die im Detail in der Öffentlichkeit nicht bekannten Aufrüstungsziele aufschlüsselte. Innerhalb von vier Jahren sollte Deutschland durch die Synchronisierung der militärischen und wirtschaftlichen Aufrüstung sowie den beschleunigten Ausbau der Ersatzstoff- und Buna-Erzeugung kriegsbereit werden. Wesentliche Überlegungen und Planziffern der geheimen Denkschrift Hitlers basierten auf Vorlagen des Vorstandsmitglieds der I.G. Farben, Carl Krauch, der seit 1935 als Berater von Hermann Göring fungierte. Nach der öffentlichen Verkündung des Vierjahresplans im September 1936 wurde Hermann Göring per „Führer“-Erlass von Hitler zum „Beauftragten für den Vierjahresplan“ ernannt und mit weitreichenden Befugnissen gegenüber allen Reichsbehörden ausgestattet. Dies war der Start zum Aufbau einer Koordinationszentrale der Aufrüstung, die Ämter für die Devisenbeschaffung, die Sicherung der Ernährung, die Arbeitskräfteplanung und die Kontrolle der beginnenden Inflation durch eine Preiskontrollbehörde vorsah.

 

Das Deutsche Reich war in einer wirtschaftlich riskanten Situation, weil bei stark rückgängigem Export zugleich hohe Devisenausgaben für Rohstoffimporte anfielen. Dieser „Zahlungsbilanzkrise“ sollte durch das im Oktober 1936 eingerichtete „Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe“ entgegengewirkt werden, in dem alle Sonderinstanzen und Stäbe zusammengefasst wurden, die sich um den Ersatz von Rohstoffen durch chemisch erzeugte Stoffe bemühten. Hier übernahm der I.G.-Manager Carl Krauch mit seinem von der I.G. mitgebrachten Team die Abteilung „Forschung und Entwicklung“. Die Interessen der Investitionsplanungen und Forschungen des Konzerns konnten nun mit der auf Autarkie gerichteten Kriegsvorbereitung der NS-Reichsregierung zur Deckung gebracht werden, indem die Technologie- und Kapazitätskalkulationen der I.G. Farben mit den Entwicklungs-, Qualitäts- und Mengenvorgaben der wirtschaftlichen Kriegsvorbereitung in den Sektoren Sprengstoffe und Chemiewaffen, Kunstfasern, Leichtmetalle, Treibstoffe und Mineralöle, Kunststoffe und Synthesekautschuk abgestimmt wurden.

 

Die anhaltenden Exportprobleme Deutschlands hatten sich auch negativ auf die Geschäfte der I.G. Farben niedergeschlagen; deshalb plädierte die Leitung des Konzerns anfangs für eine Wiederherstellung der internationalen Verflechtungen der deutschen Industrie. Da dies nicht zu erreichen war, schlugen Georg von Schnitzler und Max Ilgner am 19. August 1937 Göring vor, „die deutschen Industrieinvestitionen zur Herstellung wirtschaftlicher Autarkie auf die Mitwirkung an der Industrialisierung unterentwickelter Länder zu verlegen, um diese Länder zu Käufern deutscher Exporte zu machen.“[1] Auch diese Initiative schlug fehl, doch setzte die I.G. nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges ihre Pläne einer neuen ‚internationalen Verflechtung‘ des Konzerns durch Übernahmen in den besetzten Gebieten um.

 

Im Sommer 1938 führten die Zahlungsbilanzkrise des Deutschen Reiches und sein außenpolitischer Aggressionskurs zu einer weiteren Aufwertung der I.G. Farben und ihrer „Ersatzstoffe“. Krauch wurde Göring als „Generalbevollmächtigter für Sonderfragen der chemischen Erzeugung“ direkt unterstellt. Jetzt verhandelten I.G. Farben-Manager mit Regierungsvertretern, die der Konzern zuvor für diese staatlichen Aufgaben beurlaubt hatte, aber weiter bezahlte.

 

Den militarisierten Grundstoffbereichen der I.G. Farben stand auf der Behördenseite die von Carl Krauch geleitete Abteilung des „Generalbevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen Erzeugung“ gegenüber, die in diesen zentralen Funktionsbereichen der Rüstung für die Zuteilung von Arbeitskräften, Baumaterial (Eisen, Stahl, Zement usw.), elektrischer Energie, Maschinen und verfahrenstechnischen Apparaturen zuständig war. Die dafür erforderlichen Rahmendaten ließ Krauch durch die im Dezember 1939 zum Reichsamt aufgewertete Reichsstelle für Wirtschaftsausbau erarbeiten, zu deren Leiter Göring ihn inzwischen ernannt hatte. Nach dem Tod von Carl Bosch im Jahr 1940 übernahm er zusätzlich den Aufsichtsratsvorsitz der I.G. Farben. Damit kam zu Krauchs Tätigkeit als Leiter staatlicher Gremien nun auch wieder eine aktive Rolle an der Spitze von I.G. Farben hinzu. So wurde die enge Verbindung zwischen Reichsregierung und Konzern noch verstärkt.

 

Das I.G. Farben-Management nutzte die NS-Außenpolitik und die damit verbundenen „volkstumspolitischen“ Konzepte. Die meisten I.G.-Vertrauensmänner im Ausland arbeiteten eng mit der NSDAP-Auslandsorganisation zusammen. Um eine entsprechend lückenlose Zusammenarbeit zu gewährleisten, sollten in die Auslandsvertretungen der I.G. Farben nur solche „Herren herausgesandt werden“, die sich zur „Vertretung des nationalsozialistischen Deutschtums“ verpflichtet hatten.[2] Parallel dazu gründete die Kaufmännische Abteilung des Konzerns mehrere Scheinfirmen, die sie der Auslandsabteilung der Wehrmacht-Abwehr zur Verfügung stellte, und richtete in einigen Niederlassungen eigene Nachrichtensammelstellen ein.

 

Auch beim Übergang der Kriegführung des Deutschen Reiches zur strategischen Defensive blieb Krauch einer der wichtigsten Rüstungstechnokraten der NS-Diktatur, der immer zugleich die Interessen der I.G. Farben (Gewinnmaximierung, Produkterweiterung) und diejenigen der „Zentralen Planung“ des Rüstungsministeriums durchzusetzen wusste. Auf diese Weise kontrollierten die I.G. Farben, mit Ausnahme der Eisen- und Stahlerzeugung, die Grundstoffbasis der deutschen Kriegführung und bildeten zugleich einen der dynamischsten Faktoren ihrer militärischen Forschungs- und Entwicklungsprogramme. 

 

Die I.G. Farben war wie kein anderes deutsches Unternehmen in die personellen, institutionellen und technologisch-fabrikatorischen Strukturen der deutschen Rüstungsunternehmungen für den Zweiten Weltkrieg eingebunden.

(GK; erstellt auf der Grundlage von Karl Heinz Roth: Die I.G. Farbenindustrie AG von 1933 bis 1939)



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[pdf] Karl Heinz Roth_Die IG Farbenindustrie AG von 1933 bis 1939

 

Quellen

Protokoll des Kaufmännischen Ausschusses vom 10.9.1937, NI-4959. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 14 (d), Bl. 11–23.

Ministerratssitzung bei Göring am 4.9.1936. Abgedruckt als Dokument Nr. 138 in: Akten der Reichskanzlei. Die Regierung Hitler, Bd. III: 1936.Bearb. v. Friedrich Hartmannsgruber. München: Oldenbourg 2002, S. 500–594.

 

Literatur

Borkin, Joseph: Die unheilige Allianz der I.G. Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich. Frankfurt am Main/New York: Campus 1990.

Hayes, Peter: IG Farben und der IG Farben-Prozeß. Zur Verwicklung eines Großkonzerns in die nationalsozialistischen Verbrechen. In: Fritz Bauer Institut (Hg.): Auschwitz: Geschichte, Rezeption und Wirkung. Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust 1996. Frankfurt am Main/New York: Campus 1996, S. 99–121.

OMGUS: Ermittlungen gegen die I.G. Farbenindustrie AG. Nördlingen: Greno 1986. 

[1] Peter Hayes: IG Farben und der IG Farben-Prozeß. Zur Verwicklung eines Großkonzerns in die nationalsozialistischen Verbrechen. In: Fritz Bauer Institut (Hg.): Auschwitz: Geschichte, Rezeption und Wirkung. Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust 1996. Frankfurt am Main/New York: Campus 1996, S. 99–121, hier S. 106.

[2] Protokoll des Kaufmännischen Ausschusses vom 10.9.1937, NI-4959. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 14 (d), Bl. 11–23.