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Das Urteil im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben

Fritz ter Mer (stehend) bei der Urteilsverkündung im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben, 29./30. Juli 1948
'© National Archives, Washington, DC
Fritz ter Mer (stehend) bei der Urteilsverkündung im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben, 29./30. Juli 1948
© National Archives, Washington, DC
Otto Ambros (stehend) bei der Urteilsverkündung im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben, 29./30. Juli 1948
'© National Archives, Washington, DC
Otto Ambros (stehend) bei der Urteilsverkündung im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben, 29./30. Juli 1948
© National Archives, Washington, DC
Carl Krauch (stehend) bei der Urteilsverkündung im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben, 29./30. Juli 1948
'© National Archives, Washington, DC
Carl Krauch (stehend) bei der Urteilsverkündung im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben, 29./30. Juli 1948
© National Archives, Washington, DC
Walther Dürrfeld (stehend) bei der Urteilsverkündung im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben, 29./30. Juli 1948
'© National Archives, Washington, DC
Walther Dürrfeld (stehend) bei der Urteilsverkündung im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben, 29./30. Juli 1948
© National Archives, Washington, DC

Am 28. Mai 1948 wurde die Hauptverhandlung mit dem 152. Verhandlungstag beendet. Bis zur Verkündung des Urteils am 29./30. Juli 1948 vergingen jedoch noch zwei Monate. Grund dürften Meinungsverschiedenheiten unter den Richtern gewesen sein, die sich in einer dem Urteil beigegebenen „Abweichenden Stellungnahme“[1] des Richters Paul Macarus Hebert äußerten. Hebert unterzeichnete das Urteil jedoch trotz seiner Vorbehalte mit, so dass es unmittelbar rechtsgültig wurde.

 

In den Anklagepunkten 1 und 5 (Vorbereitung eines Angriffskriegs und Verschwörung gegen den Frieden) folgten die Richter den Argumenten der Verteidigung und sprachen alle Angeklagten frei. Alles in allem sei der Versuch der Anklage gescheitert, den Angeklagten die Kenntnis darüber nachzuweisen, „daß die Wiederaufrüstung ein Bestandteil eines Angriffsplanes war oder die Führung von Angriffskriegen zum Ziele hatte“[2]. Infolgedessen könne ihnen auch keine gemeinsame Verschwörung gegen den Frieden zur Last gelegt werden.

 

Dagegen fand das Gericht die Beschuldigung, die I.G.-Manager hätten sich in den besetzten Gebieten Privateigentum angeeignet (Anklagepunkt 2: Raub und Plünderung), in mehreren Punkten bestätigt und bezog sich insbesondere auf das Vorgehen der I.G. in Polen, Norwegen, Elsass-Lothringen und Frankreich. Wegen ihrer aktiven Beteiligung an diesen Delikten wurden die neun Angeklagten Hermann Schmitz, Georg von Schnitzler, Fritz ter Meer, Max Ilgner, Ernst Bürgin, Paul Haefliger, Friedrich Jähne, Heinrich Oster und Hans Kugler schuldig gesprochen.

 

Unter Anklagepunkt 3 (Menschheitsverbrechen und Sklavenarbeit) hielten es alle drei Richter für erwiesen, dass die Beschuldigten keine Komplizen oder Mitwisser der Massentötungen und medizinischen Experimente gewesen seien; bezüglich der Beschäftigung von ausländischen Zwangsarbeiter/innen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen sahen es die Richter als erwiesen an, dass die Beschuldigten im Fall der I.G. Auschwitz und Fürstengrube nicht infolge Befehlsnotstandes, sondern aus eigener Initiative gehandelt hätten: für die I.G.-Leitung habe „von Anfang an der Plan bestanden […], die Deckung des Arbeiterbedarfs mit Konzentrationslagerhäftlingen zu ergänzen“[3]. Auch habe die I.G. auf „eigenes Betreiben“[4] KZ-Häftlinge beschäftigt, und der Häftlingseinsatz sei „in Kenntnis der schlechten, ja unmenschlichen Behandlung erfolgt“[5]. Deshalb müssten die für den Standort unmittelbar Verantwortlichen, nämlich Otto Ambros, Heinrich Bütefisch und Walther Dürrfeld sowie Carl Krauch und Fritz ter Meer zur Rechenschaft gezogen werden.

 

Bezüglich des Anklagepunktes 4 (SS-Mitgliedschaft) kamen die Richter übereinstimmend zu einem Freispruch der drei in diesem Punkt angeklagten Manager Christian Schneider, Heinrich Bütefisch und Erich von der Heyde.

 

Die Schuldsprüche vom 29./30. Juli 1948 fielen, gemessen an der Schwere der Vorwürfe, recht milde aus: Dreizehn Angeklagte erhielten Haftstrafen, zehn wurden freigesprochen. Die höchsten Strafen (acht Jahre Haft für Otto Ambros und Walther Dürrfeld) erhielten die unter dem Anklagepunkt 3 (Versklavung und Massenmord) Verurteilten, für Plünderung und Raub (Anklagepunkt 2) wurden die Angeklagten zu Strafen zwischen eineinhalb und fünf Jahren verurteilt.

 

Paul M. Hebert gab in seiner Abweichenden Stellungnahme vor allem in Bezug auf die Notstandsbehauptung der I.G.-Manager Dissens zur Urteilsbegründung zu Protokoll: „Aus dem Verhandlungsprotokoll schließe ich, daß die I.G. in Verfolg einer grundsätzlichen Politik mit Genehmigung des TEA und den Vorstandsmitgliedern freiwillig am Sklavenarbeitsprogramm mitwirkte […].“[6] Nachträglich wandten sich Hebert und der stellvertretende Richter Clarence F. Merrell aber auch gegen den Freispruch in den Punkten 1 und 5 (Vorbereitung und Führung von Angriffskriegen und Verschwörung gegen den Frieden).

(SP)



Download

[pdf] Karl_Heinz_Roth_Case_VI_Der_Nuernberger_Prozess_gegen_IG_Farben

 

Materialien 

[pdf] Urteile_Nuernberger IG Farben Prozess  

 

Literatur

Boll, Bernd: Fall 6: Der IG-Farben-Prozeß. In: Gerd R. Ueberschär (Hg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943-1952. Frankfurtam Main: Fischer 1999, S. 133–143.

OMGUS: Ermittlungen gegen die I.G. Farbenindustrie AG. Nördlingen: Greno 1986.

Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess. Der vollständige Wortlaut. Offenbach am Main: Bollwerk 1948.

[1]Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess. Der vollständige Wortlaut. Offenbach am Main: Bollwerk 1948, S. 151–152.

[2] Urteil im I.G. Farben-Prozess, S. 38.

[3] Urteil im I.G. Farben-Prozess, S. 122.

[4] Urteil im I.G. Farben-Prozess, S. 123.

[5] Urteil im I.G. Farben-Prozess, S. 130.

[6] Richter Paul Heberts „Dissenting Opinion“ bei Urteilsverkündung ist abgedruckt in: Urteil im I.G. Farben-Prozess, S. 151–152.