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Die Hauptverhandlung im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben

Blick von der Zuschauertribüne des Nürnberger Gerichtssaal auf die Anklagebank (vorne links), 
'die Anklagevertretung (vorne rechts) und die Übersetzerkabine (hinten) im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben
'© National Archives, Washington, DC
Blick von der Zuschauertribüne des Nürnberger Gerichtssaal auf die Anklagebank (vorne links),
die Anklagevertretung (vorne rechts) und die Übersetzerkabine (hinten) im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben
© National Archives, Washington, DC
Anklagebank im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben'© National Archives, Washington, DC
Anklagebank im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben
© National Archives, Washington, DC
August von Knieriem (stehend) plädiert am 14. August 1947 auf „nicht schuldig“'© National Archives, Washington, DC
August von Knieriem (stehend) plädiert am 14. August 1947 auf „nicht schuldig“
© National Archives, Washington, DC

Mit einer Rede des Chefanklägers Telford Taylor wurde am 27. August 1947 die Hauptverhandlung im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben eröffnet. Den zwölf Anwälten der Anklagevertretung standen 87 Strafverteidiger für die Angeklagten gegenüber, jeweils unterstützt durch Mitarbeiter und Stäbe. An insgesamt 152 Verhandlungstagen wurden 102 Zeugen der Verteidigung und 87 Zeugen der Anklage aufgerufen.[1] Die Verteidigung sah sich offensichtlich belastenden Dokumenten gegenüber, die schwierig zu entkräften schienen. Die Strategie war daher eine doppelte: Die Angeklagten, einerseits, hatten sich im Vorfeld unter der Vermittlung Fritz ter Meers auf eine Linie entpolitisierter Strukturbeschreibung der I.G. Farben verständigt; sie hätten mit den zur Verhandlung stehenden Entscheidungen nichts zu tun gehabt, Sachvorgaben und insbesondere der Einsatz von KZ-Häftlingen in Monowitz seien von politischer Warte getroffen und der I.G. aufgezwungen worden, Widerstand sei unmöglich gewesen. Abweichende Geständnisse eigener Beteiligung, wie sie etwa Georg von Schnitzler zunächst gemacht hatte, zog dieser unter dem Druck seiner Mitangeklagten zurück. Davon ausgehend, konstruierten die Verteidiger andererseits Strategien zur Abwehr der Anklagepunkte in Bezug auf die individuellen Beschuldigten.

 

Das Vorgehen ging größtenteils auf: Während das Gericht bereits am dritten Tag seinen Unmut über die ausführlichen Darlegungen der Anklage kundgetan hatte, gelang es der Verteidigung, den „Gesamtzusammenhang I.G. […] nach wenigen Tagen“[2] auszuklammern. Dabei spielte ihr auch das politische Klima in die Hände: Als der Prozess begann, erreichte der Kalte Krieg seinen Höhepunkt. Darüber hinaus gab es in den USA starke politische und wirtschaftliche Unterstützer der I.G. Farben. Dies führte zu „unverhohlen antisemitische[n]“[3] Angriffen auf die Anklagevertretung, insbesondere Josiah E. DuBois, zu Auslassungen über die „zu vielen Juden“ in der Anklagevertretung seitens konservativer US-Medien und sogar zu den Nachforschungen eines Richters, „ob DuBois ein ‚Jude‘ sei“.[4]

 

Während die Angeklagten grundsätzlich Verantwortlichkeit, häufig sogar Kenntnis von ihnen zur Last gelegten Vergehen leugneten, oder, im Fall des Anklagepunkts 3, der sich auf die Vorgänge in Monowitz bezog, behaupteten, alles in ihrer Macht stehende zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Häftlinge getan zu haben, wurde ihnen gerade in diesem Punkt vehement von den Opferzeugen widersprochen: Ehemalige Häftlinge und britische Kriegsgefangenewaren nach Nürnberg gekommen, stellten sich im November 1947 den Direkt- und Kreuzverhören und ließen die brutale Realität im Lager und auf der Baustelle der I.G. Farben wieder aufleben. Dem hatte die Verteidigung wenig entgegenzusetzen; sie beschränkte sich auf Relativierung der individuellen Verantwortlichkeit der Angeklagten und die Berufung auf ‚Befehlsnotstand‘. Es fiel der Anklage nicht leicht, den Akteuren des Unternehmens individuelle Tatbestände zuzuschreiben; in wesentlichen Punkten gelang es ihr jedoch, frühere Aussagen der Angeklagten in den Kreuzverhören zu entkräften und den Anteil des Konzerns an den Kriegsvorbereitungen im Rahmen des Vierjahresplans nachzuweisen. Die Hauptverhandlung endete am 28. Mai, das Urteil erging am 29./30. Juli 1948.

(SP)



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[pdf] Karl Heinz Roth_CaseVI. Der Nuernberger Prozess gegen IG Farben

 

Quellen

Gregoire M. Afrine, Zeugenvernehmung, 14.11.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot. (e), reel 005, Bd. 11, Bl. 3855–3873, bzw. Prot. (d), reel 050, Bd. 11a,

Bl. 3880–3899.

Charles Joseph Coward, Zeugenvernehmung, 13.11.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot. (e), Bl. 3679–3691.

Berthold Epstein, Zeugenvernehmung, 18.11.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot. (e), reel 005, Bd. 12, Bl. 3986–3992, bzw. Prot. (d), reel 050, Bd. 12a,

Bl. 4011–4019.

Felix Rausch, Zeugenvernehmung, 13./14.11.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot. (e), reel 005, Bd. 11, Bl. 3753–3778, bzw. Prot. (d), reel 050, Bd. 11a,

Bl. 3777–3804.

Arnest Tauber, Zeugenvernehmung, 7. u. 12.11.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot. (e), reel 005, Bd. 10 u. 11, Bl. 3535–3596, bzw. Prot. (d), reel  049, Bd. 10a u. reel 050, Bd. 11a, Bl. 3555–3618.

Noack Treister, Zeugenvernehmung, 26.2.1948. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot. (e), reel 008, Bd. 22, Bl. 7697–7732, bzw. Prot. (d), reel 053, Bd. 22a,

Bl. 7815–7849.

Robert Elie Waitz, Zeugenvernehmung, 14.11.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot. (e), reel 005, Bd. 11, Bl. 3779–3808, bzw. Prot. (d), reel 050, Bd. 11a,

Bl. 3804–3834.

Norbert Wollheim, Zeugenvernehmung, 13.11.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot. (e), reel 005, Bd. 11, Bl. 3700–3718, bzw. Prot. (d), reel 050, Bd. 11a,

Bl. 3724–3742.

 

Literatur

Boll, Bernd: Fall 6: Der IG-Farben-Prozeß. In: Gerd R. Ueberschär (Hg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 19431952. Frankfurtam Main: Fischer 1999, S. 133–143.

OMGUS: Ermittlungen gegen die I.G. Farbenindustrie AG. Nördlingen: Greno 1986.

Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess. Der vollständige Wortlaut. Offenbach am Main: Bollwerk 1948.

[1]Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess. Der vollständige Wortlaut. Offenbach am Main: Bollwerk 1948, S. 3.

[2] OMGUS: Ermittlungen gegen die I.G. Farbenindustrie AG. Nördlingen: Greno 1986, S. LVI.

[3] Bernd Boll: Fall 6: Der IG-Farben-Prozeß. In: Gerd R. Ueberschär (Hg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 19431952. Frankfurtam Main: Fischer 1999, S. 133–143, hier S. 140.

[4] OMGUS: Ermittlungen, S. LVI.